zeit.geschichte
Die Alliierten in Österreich - Autriche, mon amour
Nach dem Einzug der Franzosen machten Tiroler und Vorarlberger erstmals Bekanntschaft mit exotischen Gästen: In der Uniform der „Grande Nation" marschierten Hunderte Marokkaner in Westösterreich ein. Um die „Söhne der Wüste" in alpiner Umgebung ranken sich Anekdoten genauso wie Erinnerungen an Rassismus und Angst.
Mit den Franzosen kam der historische Erbfeind bereits zum zweiten Mal nach Tirol: Nie hatten die Tiroler vergessen, dass Napoleon 1810 den Nationalhelden und Freiheitskämpfer Andreas Hofer hinrichten ließ. Um die historische Hypothek loszuwerden, setzten die Franzosen auf Charmeoffensiven. Im Gegensatz zum 19. Jahrhundert stand die Besatzung nun unter dem Motto: „Ici Autriche, pays amis – hier ist Österreich, ein befreundetes Land.“ Fraternisierung statt Konfrontation war das Programm.
In „Autriche, mon amour“ erzählen Zeitzeugen über den geänderten Umgang mit der Bevölkerung. Demonstrativ stellte die französische Militärverwaltung die neue Verbundenheit zur Schau: sie förderte Trachtentanz und Schützenwesen, half beim Aufbau des Tourismus und des Wintersports, veranstaltete Sprachkurse, Kinowochen und Kunstausstellungen, um die beiden Kulturnationen einander näher zu bringen.
Trachtentanz neben französischer Lebensart, alpines Volksbrauchtum neben französischen Filmklassikern. Anton Defregger und Max Weiler neben Pablo Picasso und Henri Matisse. „Die Franzosen haben eine neue Qualität in die heimische Kultur gebracht, das war eine wunderbare Ablenkung von Hunger und Not“, erinnert sich eine Innsbruckerin.
Den spektakulärsten Akt der Versöhnung zwischen Tirolern und Franzosen lieferte der französische Hochkommissar persönlich: General Bethouart ehrte Andreas Hofer öffentlich. Ein hochrangiger Mitarbeiter des Generals, gleichzeitig der letzte Zeitzeuge aus dem „oberen Kreis“ der französischen Militärverwaltung, konnte als Interviewpartner gewonnen werden. Im Zusammenhang mit der Versöhnungsgeschichte zwischen Besetzten und Besatzern lüftet ORF-Dokumentarfilmer Tom Matzek ein besonderes Geheimnis.
Gleichsam als „lebendige Frucht“ entspannter Beziehungen wurden Hunderte Besatzungskinder geboren. Diese intime Form der Fraternisierung sahen die Einheimischen jedoch gar nicht gern - so weit sollte die neue Freundschaft auch wieder nicht gehen. Frauen, die Beziehungen mit Besatzungssoldaten eingingen, waren im Volksmund schnell als „Franzosenhuren“ verschrien. In den wenigsten Fällen wurden Besatzungskinder von ihrer Umgebung akzeptiert. Schon gar nicht, wenn sie aus Verbindungen mit Marokkanern stammten. Sie waren die „Russen des Westens“, gleichzeitig gefürchtet und als Exoten bestaunt. Die Konfrontation mit arabischer Alltags- und Feierkultur haben die Tiroler und Vorarlberger schon vor sechzig Jahren erlebt. Sie führte damals wie heute zu Konflikten. Stellvertretend kanalisierte sich die Ablehnung auf Frauen, die Liebschaften mit Marokkanern eingegangen waren.
Bis heute verschweigen die Kinder solcher Verbindungen lieber ihre Herkunft. In der Öffentlichkeit ist das Thema tabu. Die Tochter eines marokkanischen Besatzungssoldaten war bereit, in dieser TV-Dokumentation Tabus, Schweigen und Anonymität zu brechen: „Meine Mutter wurde als Schande für die ganze Familie bezeichnet, als Schande für das ganze Dorf“, sagt sie. Begleitet von Tom Matzek begab sich die Frau auf die Suche nach ihrem Vater, den sie nie kennen gelernt hatte. Nach dreimonatigen Recherchen in Frankreich und Marokko, nach der Schaltung mehrerer Suchinserate in marokkanischen Zeitungen, gelang eine kleine Sensation.
Ein Film von Tom Matzek