zeit.geschichte

Engelbert Dollfuß - Diktator im Kanzleramt

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Österreich im September 1933: Bundeskanzler Engelbert Dollfuß hat das Parlament mit Polizeistaatsmethoden ausgeschaltet. Nach einem Staatsstreich auf Raten agiert der Politiker wie ein Diktator. Am Wiener Trabrennplatz ruft er seinen Anhängern zu, dass er einen „Ständestaat“ errichten wird – einen Staat ohne Parteien. Teile der österreichischen Bevölkerung sind damals demokratiemüde, krisengeschüttelt und diktaturanfällig. Der ehemalige Bauernfunktionär aus Niederösterreich entpuppt sich als Glaubenskämpfer, der nicht nur extrem polarisiert, sondern die demokratischen Strukturen des Landes zerstört. Mit Notverordnungen beseitigt er die Pressefreiheit, das Demonstrationsrecht und andere Bürgerrechte. Dann schlägt Dollfuß den sozialdemokratischen Aufstand im Februar 1934 blutig nieder, bevor er drei Monate später zum Totengräber der Ersten Republik wird. Sein Geburtstag jährte sich am 4. Oktober 2022 zum 130. Mal.

Die versuchte Realisierung seiner berufsständischen Staatsideale überlebt der Kanzler aber nicht lang. Denn Dollfuß hat sich mit dem italienischen Diktator Mussolini gegen Adolf Hitler verbündet und die NSDAP in Österreich verboten. Diese Haltung bezahlt er mit seinem Leben. Am 25. Juli 1934 wird er im Bundeskanzleramt am Wiener Ballhausplatz bei einem braunen Putschversuch getötet. Der tote Austro-Diktator wird in den Jahren bis zum Einmarsch der deutschen Wehrmacht im März 1938 zu einem Mythos – weil er das prominenteste Opfer von Hitlers kompromisslosem Führungsanspruch bei der Durchsetzung des „wahren Deutschtums“ geworden war.

"Engelbert Dollfuß - Diktator im Kanzleramt":  Die Dollfuß-Büste des Bildhauers Adolf Wagner von der Mühl
ORF/Walter Reichl
Dollfuß-Büste des Bildhauers Adolf Wagner von der Mühl

In der „Menschen & Mächte“-Dokumentation „Engelbert Dollfuß – Diktator im Kanzleramt“ von Georg Ransmayr werden die damaligen Ereignisse auch durch historische Spielszenen nachgezeichnet. Neu aufgerollt wird der bis heute nicht restlos geklärte Juli-Putschversuch, bei dem mehrere Minister der Dollfuß-Regierung als Verschwörer oder Mitwisser eine Rolle gespielt haben. Wenig bekannt ist auch, dass Dollfuß während seiner Amtszeit mehrfach Geheimverhandlungen mit den Nazis führte und bereits im Oktober 1933 einen Anschlag durch einen Nazi-Einzeltäter überlebt hat.

Der Film beschäftigt sich aber nicht nur mit der kontroversiellen Laufbahn des christlich-sozialen „Heldenkanzlers“, sondern auch mit dem bizarren Politkult nach seinem Tod. Dollfuß wurde als Märtyrer hochstilisiert, der sich für die österreichische Eigenstaatlichkeit geopfert hätte. Nach 1945 erlebte der Dollfuß-Mythos eine vielschichtige Metamorphose. Die sozialistische Partei verteufelte ihn als „Arbeitermörder“. Die Volkspartei sah ihn ihm überwiegend den ermordeten Kanzler, der Österreichs Freiheit retten wollte. Der Diskurs über Bedeutung und Wirken von Engelbert Dollfuß entzweite jedenfalls die beiden Großparteien jahrzehntelang. Das Kanzler-Gemälde im ÖVP-Parlamentsklub wurde zum ewigen Zankapfel zwischen Rot und Schwarz.

Und jetzt im Jahr 2022: Das vorübergehend geschlossene Dollfuß-Museum in Texing ist nach wie vor ein Politikum. Dass Engelbert Dollfuß ein Diktator war, wird von keinem namhaften Experten angezweifelt. Ob er hingegen auch ein „Austrofaschist“ war, ist weiter höchst umstritten – Engelbert Dollfuß polarisiert eben noch immer.

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"Engelbert Dollfuß - Diktator im Kanzleramt": Engelbert Dollfuß im Büro
ORF/Dollfuß-Museum Texing
Engelbert Dollfuß im Büro
"Engelbert Dollfuß - Diktator im Kanzleramt": Engelbert Dollfuß bei seiner programmatischen Rede am Trabrennplatz, 11.09.1933
ORF/OeSTA
Engelbert Dollfuß bei seiner programmatischen Rede am Trabrennplatz, 11.09.1933
"Engelbert Dollfuß - Diktator im Kanzleramt": Engelbert Dollfuß an seinem Schreibtisch im Kanzleramt
ORF/IFZ
Engelbert Dollfuß an seinem Schreibtisch im Kanzleramt
"Engelbert Dollfuß - Diktator im Kanzleramt": Anton Rintelen (Spielszene - Darsteller Erich Schaar), der Hochverräter beim NS-Juliputsch 1934
ORF/Walter Reichl
Anton Rintelen (Spielszene - Darsteller Erich Schaar), der Hochverräter beim NS-Juliputsch 1934
"Engelbert Dollfuß - Diktator im Kanzleramt": Engelbert Dollfuß tot auf der Couch im Kanzleramt, 25.07.1934
ORF/APA
Engelbert Dollfuß tot auf der Couch im Kanzleramt, 25.07.1934
"Engelbert Dollfuß - Diktator im Kanzleramt": Dreh im Bundeskanzleramt im Marmorecksalon, wo Dollfuß am 25. Juli 1934 erschossen wurde
ORF/Georg Ransmayr
Dreh im Bundeskanzleramt im Marmorecksalon, wo Dollfuß am 25. Juli 1934 erschossen wurde (v.l.n.r.): Walter Reichl (Kamera), Lukas Swatek (Ton/2nd Unit), Georg Ransmayr (Gestalter)
"Engelbert Dollfuß - Diktator im Kanzleramt": Das derzeit geschlossene Dollfuß-Museum in Texing, NÖ
ORF/Walter Reichl
Das derzeit geschlossene Dollfuß-Museum in Texing, NÖ
"Engelbert Dollfuß - Diktator im Kanzleramt": Dreh des Dollfuß-Deckenfreskos in St. Jakob in Defereggen in Osttirol (v.l.n.r.): Georg Ransmayr
ORF/Georg Ransmayr
Dreh des Dollfuß-Deckenfreskos in St. Jakob in Defereggen in Osttirol (v.l.n.r.): Georg Ransmayr (Gestalter), Dietmar Öfner (Licht), Mike Mayer (Kamera)
"Engelbert Dollfuß - Diktator im Kanzleramt": Dreh des umstrittenen Dollfuß-Gemäldes (einst im ÖVP-Parlamentsklub, jetzt im Kulturdepot St. Pölten - v.l.n.r.): Martin Sellner uund Christian Lindtner (Kulturdepot), Georg Ransmayr (Gestalter), Walter Reichl (Kamera), Lukas Roucka (Ton/2nd Unit)
ORF/Georg Ransmayr
Dreh des umstrittenen Dollfuß-Gemäldes (einst im ÖVP-Parlamentsklub, jetzt im Kulturdepot St. Pölten - v.l.n.r.): Martin Sellner uund Christian Lindtner (Kulturdepot), Georg Ransmayr (Gestalter), Walter Reichl (Kamera), Lukas Roucka (Ton/2nd Unit)
"Engelbert Dollfuß - Diktator im Kanzleramt": Transport des Dollfuß-Gemäldes ins Kulturdepot St. Pölten
ORF/Walter Reichl
Transport des Dollfuß-Gemäldes ins Kulturdepot St. Pölten