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Jahrzehnte in Rot Weiß Rot - Die 70er Jahre

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Die 70er – ein Jahrzehnt prägend und unvergesslich für mehrere Generationen. Jahre des Aufbruchs, des Fortschritts, der Vollbeschäftigung, eine Zeit unglaublicher sportlicher Erfolge. „Eine Insel der Glückseligen“, meint der Papst in Rom. Goldene Jahre – mit vielen Schattenseiten.

Bruno Kreisky: Ein Jahrzehnt, ein Kanzler, eine Ära

Am Anfang des Jahrzehnts geschieht etwas, das bis dahin für viele unvorstellbar war. Ein Sozialist wird Bundeskanzler. Ein Intellektueller, ein Emigrant, ein Jude, ein überzeugter Österreicher. Ein Mann mit politischen Visionen, dessen Name das ganze Jahrzehnt prägen wird. Einer, der mit den Medien spielt, sie für sich nutzt, wie das zuvor noch keiner tat. Einer, der das kleine Österreich zurück auf die Weltbühne holen will, dem Schulden lieber sind als Arbeitslose. Dreimal gewinnt er die absolute Mehrheit, bildet Alleinregierungen, lässt Oppositionsführer verzweifeln.

"Jahrzehnte in Rot Weiß Rot - Die 70er Jahre": Zeitzeuge: Josef Ratzenböck, ÖVP-Landeshauptmann OÖ, "Kreisky als erster sozialistischer Kanzler war ein Schock für die ÖVP.“
ORF
Zeitzeuge: Josef Ratzenböck, ÖVP-Landeshauptmann OÖ, "Kreisky als erster sozialistischer Kanzler war ein Schock für die ÖVP.“

Sein Name ist untrennbar mit den Wohlstandsjahren verbunden. „Bruno Kreisky, wer sonst“, so lautet der Slogan der Sozialisten, die „Freundschaft“ rufen, wenn sie die Genossen begrüßen. Probleme tauchen auf, die uns bis heute beschäftigen – und dennoch kaum im Gedächtnis geblieben sind. Zu sehr wird diese Zeit mit Kreiskys Namen, seinem Reformwillen und seinem staatsmännischen Auftreten in Verbindung gebracht.

Kritische Auseinandersetzung mit der heilen Welt

Die Dokumentation spannt den Bogen vom Personenkult um den „Sonnenkönig“ Bruno Kreisky über die Konsumgesellschaft, den gestärkten Nationalstolz bis zu den Konflikten dieses Jahrzehnts. Im Mittelpunkt steht die kritische Auseinandersetzung mit der heilen, harmonischen Welt. Die Welt wird schneller, moderner, neue Technik überall. Verlockungen, wohin man schaut, eine Wohlstandswelt, in die nun auch jene Gesellschaftsschichten eintauchen, die bis dahin kaum Chancen hatten, sich ein Stück vom Glück anzueignen. Doch das hat auch seine Nachteile. Frauen arbeiten im Akkord. Kinder müssen sich auf Betonspielplätzen austoben. Radfahren, Fußballspielen – verboten. Zu gefährlich, zu laut.

"Jahrzehnte in Rot Weiß Rot - Die 70er Jahre": Der Käfig: Für die Kinder der Stadt wurde spielen hinter Gittern zur Selbstverständlichkeit.
ORF
Der Käfig: Für die Kinder der Stadt wurde spielen hinter Gittern zur Selbstverständlichkeit.

Die Müllberge wachsen rasant, pflegebedürftige Menschen werden häufig in Altersheime „abgeschoben“. Auch das ist die neue, schöne, moderne Zeit.

Auto, Urlaub, Stereoanlage, Telefonanschluss, Fernseher – für jedermann

Das „Kastl“ bzw. der ORF prägen ein Jahrzehnt. Sportidole werden zu Nationalhelden, vereinen Herrn und Frau Österreicher auf der Sporttribüne, die Wohnzimmer heißt. Es wird mitgefiebert, mitgefeiert, mitgetrauert – mit Annemarie Pröll, Karl Schranz, Franz Klammer, Hans Krankl, Jochen Rindt, Niki Lauda.

"Jahrzehnte in Rot Weiß Rot - Die 70er Jahre": Krankl wird narrisch: Hans Krankl schoss 1978 Weltmeister Deutschland k.o.
ORF
Krankl wird narrisch: Hans Krankl schoss 1978 Weltmeister Deutschland k.o.

Stolz sind die meisten Österreicher/innen auf vieles. Die 42-Stunden-Woche, die Vollbeschäftigung, den starken Schilling, vier Wochen Mindesturlaub, Gratisschulbücher, den freien Universitätszugang. Auf den längsten Straßentunnel und auf die erste U-Bahn.

Protestieren, demonstrieren, agitieren

Und die Demokratie macht's möglich. Dagegen sein. Protestieren, demonstrieren, agitieren. Erstmals regt sich Widerstand gegen Kraftwerke, gegen Naturverschandelung, Bauprojekte. In Molln gehen die erbosten Bewohner/innen auf die Straße, sie wollen keinen Staudamm in ihrer Ortschaft, in Wien muckt die Jugend auf, besetzt alte Fabriken, fordert Autonomie, Jugendzentren, Freiheit.

"Jahrzehnte in Rot Weiß Rot - Die 70er Jahre":  Klick klack: Das Spiel strapazierte die Nerven vieler Eltern
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Klick klack: Das Spiel strapazierte die Nerven vieler Eltern.

Selbst Kreisky unterschätzt Ende der 70er Jahre den Protest gegen Entscheidungsträger. Das Atomkraftwerk Zwentendorf wird zum Symbol. Am Ende des Jahrzehnts ist Kreisky am Höhepunkt seiner Macht. Kein Politiker der Zweiten Republik – weder davor noch danach – hat je so viel Zuspruch erfahren. Und dennoch neigt sich die Ära dem Ende zu. Die 80er werden politische Veränderungen bringen, deren Auswirkungen wir bis heute spüren. 

Peter Liskas Dokumentation lebt von der Bilderflut des ORF-Archivs. Monatelang hat er Material gesichtet und ausgewählt. Mit akribischer Neugierde erweitern die ORF-Kameras den Blick für die gesellschaftliche Vielfalt, dokumentieren erstmals das bisher völlig unbeachtet gebliebene Leben in gesellschaftlichen Nischen und Randgruppen.

"Jahrzehnte in Rot Weiß Rot - Die 70er Jahre": Umweltschutz: In den frühen 70ern noch kaum vorhanden.
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Umweltschutz: In den frühen 70ern noch kaum vorhanden.

Zu Wort kommen Elizabeth T. Spira, Lukas Resetarits, Franz Klammer, Annemarie Moser-Pröll, Hans Krankl, Josef Taus, Norbert Steger, Karl Blecha, Peter Rabl, Peter Michael Lingens u. v. a. Roland Düringer liest aus Volksschulheften, damit vermittelt Regisseur Peter Liska, was den Kindern der 70er Jahre an Werten und Idealen beigebracht wurde – mit der Realität und dem gesellschaftlichen Umbruch hatte das wenig zu tun. „Die Insel der Seligen“ – ein analytisches Panoptikum der 70er Jahre in Wort und Bild.

Gestaltung

Peter Liska