Proteste nach dem Freispruch Franz Murers 1963 mit Schild „Judenmord Kavaliersdelikt?“.
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Proteste nach dem Freispruch Franz Murers 1963
'Novemberpogrome 1938'

Menschen & Mächte

Alter Hass, neuer Wahn - Antisemitismus nach 1945

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1945 ist Österreich wieder frei, fast alle österreichischen Jüdinnen und Juden aber entweder ermordet oder vertrieben. In einem Land fast ohne Juden bleibt der Antisemitismus ein zentrales und wirkungsmächtiges Vorurteil in weiten Teilen der österreichischen Gesellschaft – vom Umgang mit der NS-Vergangenheit bis hin zu globalen Krisen der Gegenwart. Im Rahmen des ORF-Programmschwerpunkts zum Gedenken an die Novemberpogrome in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 (Details unter presse.ORF.at) analysiert die „Menschen & Mächte“-Neuproduktion „Alter Hass, neuer Wahn – Antisemitismus nach 1945“ von Robert Gokl die Ursachen und Folgen des Antisemitismus in der Zweiten Republik.

„Der Antisemitismus ist ein Phänomen, das durch die Geschichte laufend sein Gesicht verändert hat. Er ist ungeheuer flexibel.“ Der Historiker Michael Schiestl begleitete als Leiter des Stadtmuseums von Judenburg seit den achtziger Jahren die Aufarbeitung der Judenburger Geschichte. „Allein der Name Judenburg wäre verpflichtend gewesen, dass man unsere Überlebenden des Holocaust wieder einlädt nach Judenburg, dass man zumindest eine Geste setzt. Das hat es nie geben.“

„Der Antisemitismus hat zur Tradition gehört. Ich bin mit den antisemitischen Sprüchl’n meiner Großmutter aufgewachsen.“ Helmut Butterweck erlebte mit, wie auch nach 1945 die Verachtung von und der Hass auf Juden zum Alltag gehört. Gemeinsam mit vielen Österreicherinnen und Österreichern versucht er, dagegen anzukämpfen: „Dass sich ein Verfolgter gegen seine Verfolger wendet, dass ist selbstverständlich. Aber es müssen sich die anderen für die Juden einsetzen, die anderen müssen auf die Straße gehen.“

„Alle in Österreich haben Kontakt mit Antisemitismus gemacht. Das geht von Beschimpfungen oder NS-Vokabular bis hin zu Klischees, Stereotypen, Anschuldigungen gegen Jüdinnen und Juden.“ Historikerin Isolde Vogel sieht nicht nur den Alltag, sondern auch die Politik der Zweiten Republik von antisemitischen Ereignissen durchzogen: von der mangelnden Aufarbeitung der NS-Verbrechen über die Borodajkewycz-Affäre, die Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre, die Waldheim-Affäre ...

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Antisemitische Schmier-Aktion an der Villa Bruno Kreiskys 1960: Hand zeigt auf ein gezeichnetes Hakenkreuz an einer Tür
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Antisemitische Schmier-Aktion an der Villa Bruno Kreiskys 1960
Jüdische Grabsteine mit antisemitischen Schmierereien am Wiener Zentralfriedhof 1980
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Wiener Zentralfriedhof 1980
Nahaufnahme von Gerd Honsik, Holocaustleugner
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Gerd Honsik, Holocaustleugner
Rechtsextreme ANR-Anhänger 1977 stehen vor einem Gebäude
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Rechtsextreme ANR-Anhänger 1977
NDP-Gründer Norbert Burger 1977 spricht am Rednerpult vor Plakaten mit der Aufschrift „JA!“.
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NDP-Gründer Norbert Burger 1977
Veranstaltung der NDP 1977 mit Menschen in Uniform um einen Rednerpult mit Symbol und Schriftzug im Hintergrund.
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Veranstaltung der NDP 1977
Protokoll eines Zuschauer-Anrufs 1979: Handschriftliche Notiz mit Bezug auf die Dokumentation "Endlösung"
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Protokoll eines Zuschauer-Anrufs 1979
Skinhead-Neonazi in einem T-Shirt mit Hitler-Motiv vor einer Hakenkreuzfahne, 1992
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Skinhead-Neonazi 1992
Skinhead-Neonazi sitzt im Freien auf einem Coachsessel und hält eine Bierflasche, 1992
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Skinhead-Neonazi 1992
Antisemitisches Fresko in einer Kärntner Kirche zeigt eine Person mit verbundenen Augen, der ein Schwert in den Kopf gestoßen wird.
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Antisemitisches Fresko in einer Kärntner Kirche
Demonstrationszug mit Bannern und Transparenten zu politischen Forderungen.
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Corona-Demo 2021
Menschen halten Schildern für Freiheit Palästinas bei einer Demonstration 2023
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Demonstration 2023
Schilder bei der Corona-Demo 2021 mit Parolen gegen Impfpflicht
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Corona-Demo 2021
Zwei Menschen stehen bei dem modernen Skulpturen-Denkmal "Ringe der Erinnerung - Denkmal für die einstige jüdische Gemeinde von Judenburg" im Freien.
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Ringe der Erinnerung - Denkmal für die einstige jüdische Gemeinde von Judenburg
Hans Haider vom Verein Erinnern Villach steht im Freien neben einer Wand mit Gedenktafeln
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Hans Haider, Verein Erinnern Villach

Heute entstehen „moderne“ Formen des Hasses auf Juden, in denen sich die Hassreden von Alt- und Neo-Nazis in der Hasskultur des Internets wiederfinden, mit „importiertem“ Antisemitismus mischen und mit durch Corona neu befeuerten antisemitischen Verschwörungserzählungen. Andreas Peham, Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands: „Wir haben heute einen globalen Antisemitismus im Internet. Die sozialen Medien verursachen ihn nicht, aber sie befeuern ihn enorm.“

Die Ereignisse in Israel und im Gazastreifen nach dem Hamas-Angriff im Oktober 2023 haben zu neuen Debatten rund um Antisemitismus geführt. Isolde Vogel: „In Österreich wird immer wieder auch eine Abwehr von historischer Schuld, eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben, indem Israel etwas vorgeworfen wird, was vielleicht die eigenen Großeltern getan haben.“

„Menschen & Mächte“ analysiert die gravierenden Folgen antisemitischer Ressentiments in der österreichischen Bevölkerung und zeigt auch auf, wo gezielte Maßnahmen ansetzen müssten – im Bereich der Bildung ebenso wie im Rahmen der Gesetzgebung.

Gestaltung

Robert Gokl