
Wiener Staatsoper - Weltbühne für Österreich
So richtig frei war Österreich 1955 erst, als am 5. November 1955 die Oper wieder ihren Spielbetrieb im Haus am Ring aufnahm. Die Dokumentation „Wiener Staatsoper – Weltbühne für Österreich“ (Regie: Alexandra Venier, Idee und Buch: Gerald Heidegger) stellt sich aus Anlass des 70. Jahrestags der Wiedereröffnung der Frage, warum ausgerechnet die Staatsoper für die Bildung der österreichischen Identität – über verschiedene politische Systeme hinweg – so prägend werden konnte.
1866, 1918, 1938, 1945 und 1955 sind wesentliche Zäsuren in der Geschichte Österreichs. Die Daten sind eng verbunden mit einer Institution, die für sich Anspruch und Geltung der Idee von Österreich behauptet. Über die Wiener Staatsoper etabliert sich ab 1869 die Erzählung zur Identität eines Landes, auf die selbst in der Phase zwischen 1938 und 1945 zurückgegriffen wird, als Österreich als selbstständiger Staat zu existieren aufhörte. Die Staatsoper rückt ins Bild, wenn alles andere untergeht. Und sie erinnert an das Weitermachen-Wollen. Und entschuldigt scheinbar das Mitmachen-Müssen, das Darüber-hinweg-Spielen und Verdrängen. So paradox es heute scheinen mag: Ausgerechnet vor dem Ende klammert sich der Nationalsozialismus in Österreich mit Pathos und Verzweiflung an eine Institution, die das Überzeitliche und Bedeutsame behauptet. Wien steht da plötzlich wieder als Synonym für ein ganzes Land (im Gegensatz zur Vor- und Nachkriegsgeschichte). Die Treffer der Alliierten im März 1945 werden als „Barbarei“ gegen den als überzeitlich stilisierten Auftrag dieser „kulturellen Weltstadt“ gebrandmarkt.

Über alle Zeitbrüche hinweg, 1918 oder auch 1945, diente die Oper als Rückgriff, die Idee von Österreich wieder zu finden. Ebenso von eigenen Mitverantwortungen abzulenken. Erich Boltensterns Innenraum der Oper wurde zum Ausdruck eines ewig gültigen Österreich-Verständnisses, hätte aber auch anders aussehen können, wie die Dokumentation verdeutlicht: Statt eines Logentheaters wie in der Monarchie hatte Boltenstern auch ein offenes, demokratischeres Rangtheater angedacht. Doch der Rückgriff auf die alte Idee der Oper sollte sich durchsetzen – und so schaffte Boltenstern eine Innengestaltung, die so tat, als wäre sie so immer schon dagewesen. Und ein ganzes Land, ja die Welt schloss sich dieser Sicht auf die Wiener Staatsoper nur bereitwillig an. Dies wurde zum Zeitpunkt der Wiedereröffnung am 5. November 1955 deutlich. Wien und Österreich standen im Blick der Weltöffentlichkeit. Und erst vom Moment an, an dem die Oper spielte, brach ein ganzes Land vor den Augen der Welt in eine neue Zukunft auf. Diesen Anspruch trägt die Oper bis heute in ihrem quasi „genetischen“ Code mit.
Mit einer Reihe von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, Expertinnen und Experten versucht die Dokumentation dem Stolz auf die Staatsoper mit historischer Genauigkeit zu begegnen. Wer Österreich verstehen will, darf mit diesem Film ins Getriebe dieser Institution schauen, in der sich heute internationale Stars die Klinke in die Hand geben – und selbst oft verwundert sind, dass sich ein ganzes Land mit dieser Institution derart identifiziert. Mit den Stimmen und Eindrücken der Zeit- und Musikgeschichte von Susana Zapke, und Oliver Rathkolb, den Kunstexpertinnen Monika Platzer und Lisa Ortner-Kreil, dem Zeitzeugen der Eröffnung Peter Marboe, Staatsoperndirektor Bogdan Roščić, Sängerinnen und Sängern der „Verkauften Braut“ und nicht zuletzt zahlreichen Mitgliedern der Wiener Staatsoper, darunter auch Akteuren mit einem großen „Heimspiel“-Gefühl wie Georg Nigl.

Am Ende zeigt die Dokumentation die Wiener Staatsoper, wie man sie noch nie gesehen hat. Vom Keller bis zum Schnürboden – und Akteuren, die mehr als schwindelfrei sein müssen.
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