Jahrzehnte in Rot Weiß Rot
Die 20er Jahre - Aufbruch in die neue Zeit
Der ORF setzt seine Erfolgs-Serie der „Jahrzehnte in Rot-Weiß-Rot“ mit den drei Jahrzehnten der Ersten Republik fort: die 20er Jahre mit Charleston und Bubikopf, die 30er Jahre zwischen Weltwirtschaftskrise, Wunderteam und Nationalsozialismus, die 40er Jahre mit Weltkrieg, Befreiung, Frieden und Demokratie. Cornelius Obonya, Erika Pluhar, Georg Stefan Troller, Ursula Strauss, Tarek Leitner, Herbert Prohaska und viele andere Österreicher:innen erzählen, wie ihre Familien diese drei Jahrzehnte erlebten. Jahrzehnte, in denen sich das Leben der Menschen radikal veränderte.
Den Auftakt macht am Freitag, dem 27. Dezember, um 22.35 Uhr in ORF 2 und auf ORF ON Birgit Mosser-Schuöckers Dokumentation „Die 20er – Aufbruch in die neue Zeit“. Um 23.25 Uhr folgen „Die 30er Jahre – Wirtschaftskrise und Wunderteam“ (Regie: Martin Betz), am Montag, dem 30. Dezember, stehen „Die 40er Jahre – Trauma und Hoffnung“ (Regie: Wolfgang Stickler) im Mittelpunkt.
Die „Goldenen Zwanziger“ waren die besten Jahre der Ersten Republik. In den „wilden Zwanzigern“ wird Altes über Bord geworfen, statt Monarchie und Religion herrschen jetzt Demokratie und liberale Gesellschaft. Sexuelle Emanzipation trifft auf Jazz, das „Rote Wien“ erlebt seine Blüte als „Labor der Moderne“, das Radio bringt die große Welt auf Ätherwellen in jedes Wohnzimmer. Vieles scheint möglich, was bisher undenkbar war.
Schauspieler August Zirner erinnert sich an seine Großmutter Ella Zwieback, die das mondäne Bekleidungshaus Maison Zwieback in Wien führte: „Die überlieferte Rolle der Frau hat Ella gar nicht interessiert. Sie war zu libertär, zu freiheitsliebend.“
Ein neues Frauenbild entsteht im Spannungsfeld zwischen Rollenmustern der Vergangenheit und neu gewonnenen Freiheiten. Cornelius Obonya: „Es wurden kürzere Röcke getragen, auch Hosen. Und die Kommentare der Männer waren enden wollend höflich.“
Gleichzeitig bleibt die imperiale Vergangenheit der österreichisch-ungarischen Monarchie eine große Last für die junge Republik. Thomas Schäfer-Elmayer: „Plötzlich wurde aus einem der größten Staaten, die es in Europa gab, einer der kleinsten.“ Vielen in Österreich scheint der kleine „deutsch-österreichische Rest-Staat“ nicht lebensfähig. Peter Michael Lingens: „Meine Mutter war eine Großdeutsche und für einen ,Anschluss’. Allerdings immer der Meinung, Zentrum ist dann Wien und nicht Berlin.“ Aber die Wirtschaft erholt sich, nach den Jahren der Hyperinflation ist der neue Schilling schließlich so stabil, dass er als „Alpen-Dollar“ gehandelt wird.
Viele Familien in Österreich erleben die zwanziger Jahre als eine radikale Übergangszeit. Für den Adel bedeutet die Republik den Verlust von Ansehen und Einfluss. Vielen Katholiken fällt es schwer, die katholische Monarchie gegen die säkulare Demokratie zu tauschen. Die Arbeiterschaft dagegen erlebt die zwanziger Jahre als Aufbruch, mit mehr Rechten. Und in Wien oft mit einem Umzug in einen Gemeindebau. Margit Schwed: „Arbeiterfamilien konnten erstmals ein Leben führen, das besser und freier war als in den alten Zinsburgen.“ Am Land dagegen änderte sich wenig an den Lebensbedingungen der Knechte und Mägde. Hannes Leidinger: „Wenig zum Essen, nichts zum Sagen, erst recht nicht, wenn du noch dazu ein Dirndl bist.“
Viele ideologische und demografische Gegensätze bestimmen die Entwicklungen in der Ersten Republik. Zwischen der Zwei-Millionen-Metropole Wien, die jetzt „Wasserkopf“ eines Kleinstaates ist, und dem Rest Österreichs, der vor allem in Gebirgsregionen oft wirtschaftlich und weltanschaulich rückständig ist, herrschen Vorurteile, Ängste, auch Hass. Die Grenzziehungen nach 1918 bringen viele offenen Fragen, für die Minderheiten in Österreich wie die Kärntner Slowenen oder die Burgenland-Kroaten; aber auch für viele „Alt-Österreicher“, die jetzt als Südtiroler, Sudetendeutsche oder Donauschwaben Minderheiten jenseits der österreichischen Grenzen sind.
Noch scheinen die politischen Differenzen nicht unüberbrückbar, doch Heimwehr und Schutzbund, die bewaffneten Ableger der Parteien, stehen Gewehr bei Fuß. 1927 fallen die Schüsse von Schattendorf, nach dem Freispruch der Täter setzen Arbeiter den Justizpalast in Brand. Der „Schwarze Freitag“ 1929 an der New Yorker Börse bedeutet auch in Österreich das Ende der „Goldenen Zwanziger“ und den Beginn einer jahrelangen Rezession.