Stadt der Spione - Wien im Netz der Geheimdienste: Gustav Hochenbichler (1937-1995), Staatspolizist und mutmaßlicher DDR-Spion, ca. 1990
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Gustav Hochenbichler (1937-1995), Staatspolizist und mutmaßlicher DDR-Spion, ca. 1990

Menschen & Mächte

Stadt der Spione - Wien im Netz der Geheimdienste

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Giftanschläge, Entführungen und Morde: Wien gilt als eine Hauptstadt der Spionage im Kalten Krieg. Dazu beigetragen hat der Kinoklassiker „Der Dritte Mann“, der 1949 in die Kinos kommt und dabei ein realistisches Bild der Unterwelt im Wien nach dem Zweiten Weltkrieg zeichnet. Die Stadt an der Donau entwickelt sich damals zum wichtigen Knotenpunkt zwischen Ost und West, wo die Supermächte und ihre Verbündeten um Einfluss und Macht kämpfen. Die neue „Menschen und Mächte“-Doku „Stadt der Spione – Wien im Netz der Geheimdienste“ liefert eine umfassende Aufarbeitung der Spionagetätigkeit im Nachkriegsösterreich. Die Gestalter Georg Ransmayr und Gregor Stuhlpfarrer sind bei ihren Recherchen tief in die Welt der Geheimdienste eingedrungen. Spione, Agenten und Terrorfahnder sowie exklusiv der ehemalige Innenminister Karl Blecha schildern, was sich in Wien am Höhepunkt des Kalten Krieges abgespielt hat.

Stadt der Spione - Wien im Netz der Geheimdienste: Albert Stangl, ehem. Staatspolizist und Spezialagent, 1975
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Albert Stangl, ehem. Staatspolizist und Spezialagent, 1975

Eine der spektakulärsten Geheimdienstoperationen der Geschichte geht 1951 in Wien über die Bühne. Mit dabei ist ein junger Soldat, der 40 Jahre später der letzte britische Botschafter in der UdSSR war – und kurze Zeit später der erste im neuen Russland wurde: Rodric Braithwaite. Im ORF-Exklusiv-Interview erinnert sich der heutige Sir Rodric daran, wie er und andere über eine internationale Telefonleitung Gespräche sowjetischer Offiziere in Wien abgehört haben, nachdem der britische Militärgeheimdienst ein unterirdisches Telefonkabel angezapft hatte. „Wir saßen in einem Keller unter dem Aspanger Bahnhof mit unseren Kopfhörern“, schildert der 1932 geborene Braithwaite. „Dieses Modell der Wiener Tunneloperationen war so erfolgreich, dass es Anfang der 1950er Jahre in Berlin von Briten und Amerikanern wiederholt wurde“, sagt der Historiker Oliver Rathkolb.

Braithwaite hat Wien zu Beginn der 1950er Jahre hautnah erlebt. Das war die Zeit, als der Kinofilm „Der Dritte Mann“ die Stadt als Tummelplatz der Schmuggler und Militärpolizisten porträtierte. Erst Jahrzehnte später wurde klar, dass das Dritte-Mann-Filmteam mit Spionen durchsetzt war, die bei den Dreharbeiten „Feindaufklärung“ betrieben haben. Die meisten Crew-Mitglieder bekamen davon nichts mit: „Keiner von uns wusste, dass es diese Verbindungen gab“, sagt Angela Allen, das letzte noch lebende Crew-Mitglied, im Interview mit „Menschen & Mächte“.

Stadt der Spione - Wien im Netz der Geheimdienste: Interview mit Sir Rodric Braithwaite: Georg Ransmayr (Regie), Sir Rodric Braithwaite (ehem. Diplomat,
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Interview mit Sir Rodric Braithwaite: Georg Ransmayr (Regie), Sir Rodric Braithwaite (ehem. Diplomat, Großbritannien), Gregor Stuhlpfarrer (Regie)

In den späten 1960er Jahren entwickelt sich eine weitere geheimdienstliche Spielart, bei der Wien eine Schlüsselposition einnahm – der Schmuggel mit Hochtechnologie von West nach Ost. Ein junger wissenschaftlicher Mitarbeiter im Reaktorzentrum Seibersdorf entschied sich damals dafür, mit dem ostdeutschen Geheimdienst „Stasi“ Geschäfte zu machen. Sein Interview für den ORF gab er nur unter einem Decknamen – in seinem Fall „D. Carlos“: „Rückblickend darf ich sagen: Das war das gefährlichste Geschäft meines ganzen Lebens“, erinnert sich Carlos an die Beschaffung und den Schmuggel eines Spektrometers zur Messung radioaktiver Strahlung über die Tschechoslowakei in die DDR. Übergeben wurde die hochmoderne Gerätschaft in einem Waldstück hinter dem Eisernen Vorhang in der ČSSR: „Plötzlich von links und von rechts und von vorne kamen einige Männer in schwarzen Ledermänteln. Und aus einer Limousine stiegen zwei Herren, die sich als Wissenschaftler vorstellten und das Spektrometer übernahmen.“

Wie viele Agenten im Schattenkrieg der Geheimdienste in Wien umgekommen sind, weiß niemand. Rätselhaft ist bis heute das Verschwinden eines US-Agenten bei einer missglückten Operation. Das Opfer war ein russischer Marineoffizier, der in jungen Jahren aus der Sowjetunion nach Schweden geflohen war. Sein Name: Nicholas Shadrin. Jahrelang versorgte dieser den KGB – unter Aufsicht der CIA – mit falschen Informationen. Doch die Sowjets durchschauten das Doppelspiel und lockten Shadrin im Dezember 1975 in eine Falle. KGB-Agenten betäuben ihn in einem Wagen, um ihn in die Tschechoslowakei entführen und dort verhören zu können. Doch das eingesetzte Präparat ist überdosiert und der Überläufer stirbt. „Der Fall Shadrin war eine der größten Niederlagen, die die CIA in Wien hinnehmen hat müssen“, analysiert Geheimdienstexperte Thomas Riegler.

Wie viel hat aber eigentlich die österreichische Staatspolizei in all den Jahren mitbekommen? Sie soll zum Teil ganz gut informiert gewesen sein, meinen Insider. Personell war die Stapo aber überfordert. In den 1970er Jahren standen den rund 100 Staatspolizisten in Wien mehrere tausend Spione und Spioninnen gegenüber, viele von ihnen gut getarnt in Botschaften oder internationalen Organisationen, andere in illegalen Residenzen. Angesichts dessen konnte die Staatspolizei froh sein, dass ihr Zuständigkeitsbereich eingeschränkt war. In Österreich ist Spionage bis heute nur dann strafbar, wenn sie zum Nachteil Österreichs geschieht.

Stadt der Spione - Wien im Netz der Geheimdienste: Interview mit Wilhelm Dietl: Georg Ransmayr (ORF), Wilhelm Dietl (ex-BND-Agent, BRD), Gregor Stuhlpfarrer (ORF)
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Interview mit Wilhelm Dietl: Georg Ransmayr (ORF), Wilhelm Dietl (ex-BND-Agent, BRD), Gregor Stuhlpfarrer (ORF)

Albert Stangl, in den 1980er Jahren Referatsleiter in der Wiener Staatspolizei, war als Spezialagent des langjährigen Stapo-Chefs Albert Schulz an vorderster Front: „Damals, als ich der Staatspolizei zugeteilt war, kam eine Sache nach der anderen: der Mord an Stadtrat Heinz Nittel, davor der Synagogenüberfall und später die Kurdenmorde 1989.“ Heute lebt Stangl zurückgezogen auf einer spanischen Insel und spricht im ORF-Interview erstmals über seine schillernde Vergangenheit als Top-Agent mit geheimen Sonderaufgaben im In- und Ausland. Auch Oswald Kessler, der Chef der Staatspolizei Anfang der 1990er Jahre, kommt zu Wort. Er berichtet über Österreichs Rolle bei der Terrorbekämpfung: „Die ausländischen Dienste haben unsere Arbeit sehr geschätzt“.

Als neutrales Land mit moderater West-Anbindung und großer geopolitischer Bedeutung im Herzen Europas statteten alle wichtigen Geheimdienste der Welt ihre Teams in Wien überdurchschnittlich gut aus. Als Sitz großer, multilateraler Organisationen wie der Internationalen Atomenergiebehörde, der OPEC und der UNO stand Wien immer im Fokus der Nachrichtendienste.

Österreichische Politiker und Politikerinnen schätzten die Sonderrolle, die das neutrale Österreich spielte – kannten aber auch deren Schattenseite: „Telefone wurden, wurscht wo, abgehört“, erinnert sich Karl Blecha, der von 1983 bis 1989 SPÖ-Innenminister war. „Es gab kein Telefon, das nicht von interessierten Geheimdiensten genutzt und ausgewertet wurde.“ Blecha war für die Sicherheitsinteressen der Regierung Kreisky an vorderster Front. Höchstpersönlich pflegte er Kontakte z. B. zum PLO-Geheimdienstchef Abu Iyad, aber auch zum britischen Geheimdienst MI-6 und dessen oberstem Anti-Terror-Chef Hamilton Macmillan.

Stadt der Spione - Wien im Netz der Geheimdienste: Karl Blecha, Innenminister a.D. im Interview
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Karl Blecha, Innenminister a.D. im Interview

Für die neue „Menschen & Mächte“-Dokumentation „Stadt der Spione – Wien im Netz der Geheimdienste“ haben die Gestalter Georg Ransmayr und Gregor Stuhlpfarrer nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland, Ungarn und Spanien recherchiert.

Gestaltung

Gregor Stuhlpfarrer

Georg Ransmayr