bestenliste oktober
ORF

Die besten 10 im Oktober 2023

Die Jury hat aus den unzähligen Neuerscheinungen ihre Lieblingsbücher gewählt.

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Arson
Jung und Jung

1. Laura Freudenthaler (48 Punkte)

„Arson“, Jung und Jung

Wer sich für österreichische Gegenwartsliteratur interessiert, kommt an ihr nicht umhin: Laura Freudenthaler. „Arson“ lautet der Titel ihres jüngsten Roman, Auszüge daraus waren bereits im Rahmen des Auftritts der Autorin beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2020 zu hören, wo Freudenthaler mit dem 3sat-Preis ausgezeichnet wurde. „Arson“ bedeutet „Brandstiftung“ - die Welt, die Laura Freudenthaler hier beschreibt, ist eine, die außer Kontrolle geraten ist: der menschengemachte Klimawandel zeitigt verheerende Folgen. Die Schriftstellerin hat für den Roman viel recherchiert, das prägt den Text in seinen Tiefenschichten. Ins Zentrum stellt sie zwei Figuren: eine weibliche, die die aus den Fugen geratende Welt beobachtet und sich zunehmend aus dieser zurückzieht und eine männliche: einen Wildfeuerforscher, den der sich verschlechternde Zustand unseres Planeten immer hilfloser macht. Depression, Schlaflosigkeit: sie sind im Text allgegenwärtig. „Ich muss glauben, dass mein kleines Leben eine Bedeutung hat, sonst mache ich gar nichts mehr“, schreibt Laura Freudenthaler an einer Stelle. „Arson“ zeigt nicht zuletzt: Literatur greift viel tiefer als jede Therapie.

Eigentum
Hanser

2. Wolf Haas (34 Punkte) NEU

Eigentum“, Hanser

Der Autor Wolf Haas ist Kult: nicht zuletzt seiner legendären „Brenner“-Krimis wegen - und deren nicht minder erfolgreichen Verfilmungen. Aber der studierte Germanist schreibt nicht nur Krimis: sein jüngstes Buch „Eigentum“ ist ein weiterer Beleg dafür. Haas setzt nicht nur seiner eigenen Mutter ein unsentimentales Denkmal, sondern legt damit auch ein Buch vor, das das Verhältnis zwischen Schreiben und Leben erforscht. So zu erzählen, dass es möglichst jeder lesen kann, zugleich mit hohem literarischen und ethischen Anspruch: das war immer schon die Ambition von Wolf Haas. Im Herzen des Romans „Eigentum“ steht die Frage: „Kann man vom Leben schreiben?“ Alles dreht sich darin um einen Autor, der mit der Geschichte seiner Mutter ringt und sie schließlich doch zu Papier bringt: es ist die Geschichte einer Frau aus armen Verhältnissen, die ihr Leben lang vom sozialen Aufstieg träumte, davon, selbst einmal Eigentum zu besitzen.

Muna
Luchterhand Literaturverlag

3. Terézia Mora (29 Punkte)

Muna oder Die Hälfte des Lebens“, Luchterhand

Die 1971 in Sopron geborene Schriftstellerin und Übersetzerin Terézia Mora kann auf eine beachtliche Liste von Auszeichnungen zurückblicken, darunter der Ingeborg-Bachmann-Preis, der Deutsche Buchpreis und nicht zuletzt der Georg-Büchner-Preis, der ihr 2018 für ihr Gesamtwerk verliehen wurde. Im Begründungsschreiben der Jury war damals zu lesen: „In ihren Romanen und Erzählungen widmet sich Terézia Mora Außenseitern und Heimatlosen, prekären Existenzen und Menschen auf der Suche und trifft damit schmerzlich den Nerv unserer Zeit.“ Das trifft auch auf ihren neuen Roman „Muna oder die Hälfte des Lebens“ zu, der es abermals auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat. Die Handlung setzt im Jahr 1989 ein, in der DDR, unmittelbar vor dem Mauerfall. Die Abiturientin Muna verbringt eine Nacht mit dem Französischlehrer und Fotografen Magnus, doch im Wirbel der politischen Ereignisse verlieren sich die beiden sogleich wieder aus den Augen. Sieben Jahre später begegnen sich die beiden wieder und lassen sich schnell auf eine Beziehung ein, doch schon früh treten die ersten Probleme auf. Magnus ist oft unbeherrscht und begegnet Muna mit zunehmender Distanz und Gefühlskälte. Doch sie hält an der Beziehung fest, schluckt ihre verletzten Gefühle runter und redet sich ein, dass alles besser wird. Mit bedrückender Genauigkeit beschreibt Terézia Mora was es bedeutet, sein Leben in gänzlicher Abhängigkeit von einem anderen zu führen.

Weil da war etwas im Wasser
Picus

4. Luca Kieser (26 Punkte)

Weil da war etwas im Wasser“, Picus

Der in Wien lebende Autor Luca Kieser entführt die Leser:innen in seinem Debütroman „Weil da war etwas im Wasser“ in die Tiefen des Ozeans. Dort lebt eine Riesenkalmarin – ein besonders großer Tintenfisch. Aus der Sicht ihrer acht Arme wird in dem Roman die Geschichte dieser Riesenkalmarin erzählt. Kieser lässt jeden Arm seine eigene Geschichte erzählen und spielt in dem Roman damit, die klassischen Regeln des Lesens zu brechen. Immer wieder laden die Arme ein, einige Kapitel zu überspringen und Einschübe querzulesen. Außerdem erzählen die Arme historische Geschichten von Männern, die sich in ihrem künstlerischen Schaffen in unterschiedlichen Epochen mit Meerestieren auseinandergesetzt haben. Sie alle sind zu dem Zeitpunkt – ebenso wie der Autor – etwa 30 Jahre alt. Luca Kieser verknüpft in seinem Roman geschickt verschiedene Geschichten mit autofiktionalen und naturphilosophischen Elementen ineinander, die allesamt von einem Meereswesen, der Riesenkalmarin, zusammengehalten werden. Der Roman ist für den Deutschen Buchpreis nominiert.

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Die Dauer der Liebe
C.H. Beck

5. Sabine Gruber (22 Punkte)

Die Dauer der Liebe“, C.H. Beck

Wie schreiben über einen Schmerz, der einen in den Wahnsinn treibt? Wie eine Form finden für den Verlust eines geliebten Menschen, den es plötzlich aus dem Leben reißt? Die Schriftstellerin Sabine Gruber hat sich lange Zeit gelassen, um eine Erfahrung zu Literatur zu machen, durch die sie selbst gehen musste. Nah am eigenen Leben, zugleich mit großer, Präzision ermöglichender Distanz erzählt sie in ihrem neuen Roman „Die Dauer der Liebe“ davon, was es heißt, sich von einem Menschen, mit dem man sein Leben viele Jahre teilte, völlig unvorbereitet verabschieden zu müssen. Es wäre aber nicht Sabine Gruber, wenn es darin nicht zugleich zutiefst politisch zuginge. Dass der Faschismus nicht erst außerhalb der eigenen vier Wände beginnt, sondern es nicht zuletzt familiäre Kontexte, Beziehungen sind, die im Innersten davon geprägt sind, macht dieser Roman geradezu leichthändig anschaulich.  

Nachtfrauen
Suhrkamp

6. Maja Haderlap (16 Punkte) NEU

Nachtfrauen“, Suhrkamp

Mit einem Auszug aus dem Roman „Engel des Vergessens“ hat Maja Haderlap 2011 den Ingeborg Bachmann-Preis gewonnen. Das Buch ist ein Bestseller geworden und hat Haderlap schlagartig bekannt gemacht. Entsprechend groß war die Neugier auf ihr neues Buch „Nachtfrauen“. Es ist Haderlaps erster Roman nach „Engel des Vergessens“, und er spielt erneut in Kärnten. Es sind drei Frauen, die Maja Haderlap in den Mittelpunkt ihres neuen Romans „Nachtfrauen“ stellt: sie gehören unterschiedlichen Generationen an, Großmutter, Mutter, Tochter: gemeinsam ist ihnen die Herkunft aus prekär-bäuerlichen, streng-patriarchalen Verhältnissen, die der Zweiter Krieg noch brutalisiert hat. „Nichts Schlimmeres als zu verweichlichen“, ist hier das Credo. Der Roman ist im zweisprachigen Südkärntner Raum angesiedelt und weist doch weit über diesen hinaus: In „Nachtfrauen“ von Maja Haderlap steckt ein eindringliches Plädoyer für all die vielen unterprivilegierten Frauen, die im Stillen einfach ihr Leben meistern -  ein Roman von hoher zeithistorischer Relevanz und literarischer Qualität. 

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Valentinstag
Hanser Berlin

7. Richard Ford (15 Punkte) NEU

Valentinstag“, Hanser Berlin

Pulitzer-Preisträger Richard Ford gilt nicht nur als einer der wichtigsten Vertreter der zeitgenössischen amerikanischen Literatur, mit seinen gesellschaftskritischen Romanen hat sich Ford auch den Ruf des Chronisten amerikanischer Alltagskultur erschrieben. Eine Figur, die ihn bei dieser Arbeit nun schon seit Jahrzehnten begleitet, ist Frank Bascombe, eine Art Prototyp des amerikanischen Durchschnittsbürgers. Vier Romane hat Ford seinem Helden bereits gewidmet, mit „Valentinstag“ ist nun der fünfte und vorläufig letzte Bascombe-Roman auf Deutsch erschienen. Der inzwischen Mitte 70-Jährige hat in seinem Leben viel erlebt: der frühere Sportreporter hat sich als Immobilienmakler ein bescheidenes Vermögen erwirtschaftet, kann auf zwei gescheiterte Ehen zurückblicken und hat zwei Kinder gezeugt. Nachdem bei seinem Sohn eine unheilbare Krankheit diagnostiziert wird, begeben sich die beiden auf eine letzte gemeinsame Reise durch die USA. Trump ist gerade Präsident, die Corona-Pandemie ist im Anmarsch – in gewohnt subtilem Ton ist Ford abermals ein ebenso kluges wie witziges Porträt der amerikanischen Gegenwart gelungen.   

Tausend und ein Morgen
S. Fischer

8. Ilija Trojanow (13 Punkte)

„Tausend und ein Morgen“, S. Fischer

Während gegenwärtig diverse Dystopien den Buchmarkt beherrschen, bringt Ilija Trojanow mit seinem Roman „Tausend und ein Morgen“ einen Roman heraus, der maßgeblich von einer Utopie geprägt ist: Geld wie Gier sind in dieser erdachten Welt abgeschafft, die Menschenrechte gelten universell, diverse Krisen, die unserer Gegenwart prägen, überwunden. Von dieser Utopie aus schickt Ilija Trojanow seine Heldin Cya, eine Spielart der Scheherezade, in die Vergangenheit, um die Geschichte dort zu korrigieren, wo sie schreckliche Verheerungen angerichtet hat. Ein Roman voller Virilität und rebellischer Erzähllust, der geschichten- und bildreich veranschaulicht: wie wir hinkünftig leben werden, wird auch von unserer Vorstellungskraft und Fertigkeit zu erzählen abhängen.

Der gute Mann Leidegger
Droschl

9. ex aequo: Bernhard Strobel (10 Punkte) NEU

Der gute Mann Leidegger“, Droschl

Der im Burgenland lebende Autor und Übersetzer Bernhard Strobel ist bekannt für seine präzisen Erzählungen, in denen er vor allem Alltagsgeschichten thematisiert. Jetzt legt der 41-Jährige seinen zweiten Roman vor. In „Der gute Mann Leidegger“ geht es um einen Mann, der einen Seitensprung begeht. Dabei nähert sich Bernhard Strobel dem Thema Männlichkeit auf eine ungewohnt humorige Weise: Der "Gute Mann Leidegger" beginnt eine Affäre mit seiner Jugendliebe – und stellt sich dabei äußerst ungeschickt an. Seine linkische, doch liebenswürdige Art lässt beim Lesen an Kult-Figuren wie Mr. Bean denken, auch Loriot und Louis de Funès haben in Strobels Figur deutliche Spuren hinterlassen. Seine Geliebte scheint den verheirateten Leidegger indessen weniger zu beschäftigen, als die Angst, von seiner Frau ertappt zu werden. Gleichzeitig versucht er, diverse Männlichkeitsklischees vehement zu vermeiden, ohne sich bewusst zu sein, wie sehr er diese bereits erfüllt. "Der gute Mann Leidegger" – ein Buch über ein kleines Drama, mit großem Unterhaltungswert.

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Der Anfang vom Ende
Rowohlt

9. ex aequo: Mark Aldanow (10 Punkte)

„Der Anfang vom Ende“, Rowohlt
Übersetzung: Andreas Weihe

„Unser noch relativ junges zwanzigstes Jahrhundert wird wahrscheinlich das schlimmste Jahrhundert aller Zeiten. Dieses junge Geschöpf hat bereits die glänzendsten Erwartungen erfüllt“, heißt es in Mark Aldanows erstmals 1943 erschienen Roman. Der titelgebende „Anfang vom Ende“, von dem der berühmte russische Exilautor schreibt, betrifft nicht weniger als das „Alte Europa“ – und doch erinnert der Verfallsprozess, der darin geschildert wird, so bedrückend an unsere Gegenwart, dass man Aldanows Roman fast ein „Buch der Stunde“ nennen könnte. Die Handlung spielt gegen Ende der 1930er: In Moskau herrscht der stalinistische Terror, in Spanien tobt der Bürgerkrieg, in Deutschland haben die Nazis ihre Macht fest etabliert. Vor dem Hintergrund dieses weltpolitischen Chaos reist ein sowjetischer Botschafter inklusive Gefolgschaft nach Paris, um die unterkühlten außenpolitischen Beziehungen zu verbessern. Die Begegnungen und Gespräche, die sie dort erwarten, machen deutlich: Die Welt ist aus den Fugen und die Katastrophe steht längst vor der Tür.

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