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zeit.geschichte

"Arisierung" – Der große Raubzug (1/2)

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Mit März 1938 setzt in Österreich eine unvergleichliche Plünderungswelle ein. Unter dem Begriff der „Arisierung" wurde zuerst ungeordnet und wild, später organisiert von staatlicher Hand, jüdischer Besitz beschlagnahmt, geraubt und an „arische" Neubesitzer (unter Wert) verkauft. Das betraf Besitze vom Ringstraßenpalais über das Schustergeschäft bis zur Taschenuhr. Tausende Österreicher und Österreicherinnen verloren hierbei ihre Lebensgrundlage.

Unmittelbar nach dem Anschluss ans Deutsche Reich am 12. März 1938 beginnen SS-, SA-Angehörige, Gestapo- und Polizeibeamte in Wohnungen und Geschäfte einzudringen und Vermögensgegenstände zu beschlagnahmen. Beutegierige österreichische Partei- und Volksgenossen schließn sich an. Es setzt ein regelrechter Wettlauf ein. Nach den anfänglich „wilden Arisierungen" werden mit Ende April 1938 die Arisierungen staatlich kontrolliert und über die neu geschaffene Vermögensverkehrsstelle abgewickelt.

Meist finden die Verkäufe unter erheblichen Zwängen statt, ein angemessener Preis wird nicht bezahlt. Ein Beispiel ist die Mohrenapotheke in Wien. 1938 ist sie im Besitz zweier Schwestern Edith Solka und Trude Kornwill, beide jüdischer Abstammung. Die Ariseurin Frida Kahls hatte zuvor in der Apotheke gearbeitet und war mit Trude auf die Uni gegangen. Sie beschreibt sich selbst in einem Ansuchen an die Vermögensverkehrsstelle als „aufrechte, treue Parteigenossin".

Manche Unternehmensführer, wie die Familie Kuffner, Besitzer der Brauerei Ottakringer, werden von sich aus tätig und suchen selbst für ihre Unternehmen arische Käufer, um so den Repressalien der Nationalsozialisten zuvor zu kommen.

Bei der Arisierung der großen Industrieunternehmen und Konzerne kommt auch den Banken eine zentrale Rolle zu. Sie übernehmen die Anteile der Unternehmen und verkaufen sie an „arische Besitzer". Eine Hauptrolle spielt die 1938 bei weitem größte österreichische Bank – die Creditanstalt. Die Bilanz der nationalsozialistischen Enteignungspolitik ist verheerend: 100 Bankhäuser, 946 Großbetriebe, 33.000 Klein- und Mittelbetriebe und 60.000 Mietwohnungen sind in ganz Österreich von der „Arisierung" betroffen.

Etwa 130.000 Menschen verlassen bis Mai 1939 das Land, das lange Zeit ihrer Heimat war. Ihre Existenz ist zerstört, sie werden verhaftet oder ermordet. Heute erinnert im Stadtbild wenig an dieses Unrecht. Was bleibt sind Fragmente eines Wiens wie es hätte sein können, hätte es die Zäsur des Zweiten Weltkriegs nicht gegeben.

Mit umfangreichem Archivmaterial, Experten- und Zeitzeugeninterviews schildert diese Dokumentation das Ausmaß dieses systematischen Raubs. Moderiert wird die Dokumentation von Danielle Spera. In Zeitzeugen-Interviews erzählt der Künstler Arik Brauer (1929-2021) vom Schicksal seines Vaters, seinen Erlebnissen als jüdisches Kind in Wien und von den Nachbarn die zwar antisemitisch waren aber „den Herrn Brauer" gerne mochten. Zeitzeuge Hans Hacker, dessen Familie ein Silberwarengeschäft besaß, besucht die Stätten seiner Jugend im 1. Bezirk in Wien.

Die HistorikerInnen Oliver Rathkolb, Hans Safrian und Brigitte Bailer-Galanda erklären die historisch-wissenschaftlichen Hintergründe.

Gestaltung

Sabrina Peer

Ernst Pohn