
Unser Österreich
Vorarlberg - "Nit lugg lo!"- Nicht aufgeben!
„Nit lugg lo!“, nicht aufgeben – dieses in Vorarlberg weit verbreitete Motto passt nicht nur zur Geschichte des Landes seit 1945, sondern auch zur Lebensgeschichte von drei Menschen, die gleich alt sind wie Österreichs Zweite Republik. Diese drei Geburtstagskinder stehen im Mittelpunkt der Dokumentation des ORF Vorarlberg zum Jubiläum „80 Jahre Zweite Republik“.
Zwei von ihnen waren in der Textilbranche tätig, die mehr als hundert Jahre lang Vorarlbergs Wirtschaft dominierte: Werner Hagen lebt an der Grenze zur Schweiz, die für den Vorarlberger Wirtschaftsboom der Nachkriegszeit eine Schlüsselrolle spielte. Sein Sohn ist der letzte Scherler in Vorarlberg, ein Beruf, der für die Veredelung von Stickereien unverzichtbar ist. Hagen hat das Auf und Ab der Stickereibranche hautnah miterlebt, hat sich mit viel Eigenleistung ein schönes Eigenheim gebaut und mit viel Arbeit einen ansehnlichen Wohlstand erwirtschaftet. Als früherer Spieler und langjähriger Funktionär des Lustenauer Fußballklubs Austria hat er sich auch ehrenamtlich für die Gemeinschaft engagiert – und tut das bis heute, indem er nach jedem Heimspiel die Tribünen säubert.
Renate Abram wuchs in Kärnten auf und ist damit eine von vielen Arbeitszuwanderinnen, ohne die der Aufstieg zur Wohlstandsregion nicht denkbar wäre. Sie hat in einer der zahlreichen Textilfirmen im Vorarlberger Rheintal als Textilarbeiterin begonnen, hat dann einen aus der Steiermark zugewanderten Arbeitskollegen geheiratet und drei Söhne großgezogen, ehe sie wieder – als Näherin – in einen Textilbetrieb zurückkehrte, aber diesmal in ein Modehaus. Zu den schlimmsten Phasen ihres Lebens gehörte die Zeit, als ihr ehemaliger Betrieb schließen musste und sie gleich drei Arbeitslose zu Hause hatte – ihren Mann und zwei ihrer Söhne. Doch alle drei haben schnell wieder Arbeit gefunden, durchaus symbolisch für den gelungenen Strukturwandel der Vorarlberger Wirtschaft seit den 1990er Jahren. Abram trifft sich auch seit beinahe 50 Jahren mit einer Gruppe von Jahrgängern, die einmal jährlich einen gemeinsamen Ausflug organisieren – und die heuer alle ihren 80er feiern.
Der dritte Protagonist der Vorarlberger Ausgabe von „Unser Österreich“ ist Franz Pichler, ein Landwirt, der für Tradition und Bodenständigkeit steht – und doch als einer der ersten Bio-Landwirte Vorarlbergs auch die Umweltbewegung der 1980er Jahre repräsentiert. Schließlich zogen in Vorarlberg 1984 zum ersten Mal „Grüne“ in einen Landtag ein – damals mit der Galionsfigur Kaspanaze Simma. Franz Pichler hat aber auch sonst Berührungspunkte mit der Geschichte Vorarlbergs: Wenige Meter von seinem Elternhaus entfernt überschritten die französischen Truppen Ende April 1945 die österreichische Grenze und erklärten das Land zum „Pays ami“, zum befreundeten Land. Außerdem kostete die Pichlers der Ausbau der Verkehrswege in den 1970er und 1980er Jahren einen Großteil ihrer Weidegründe: Die Autobahnverbindung durch den Pfändertunnel und nach Deutschland führt genau über die ehemaligen Gründe des Pichlerschen Hofes.
Eine höhere Schulbildung war in den Jahren nach 1945 für eine kinderreiche Familie wie die Pichlers nur in Einzelfällen möglich. In ihrem Fall war Meinrad Pichler der Glückliche, dem ein Studium ermöglicht wurde. Der ehemalige Schuldirektor ist einer der bekanntesten Historiker des Landes, der die Entwicklung Vorarlbergs nach 1945 fachkundig kommentiert. Er hebt vor allem die großen Startvorteile hervor, die das Land von anderen Regionen Österreichs unterschieden: Es gab kaum Kriegsschäden, die französischen Besatzer halfen auf allen Ebenen, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, und die Marshallplan-Kredite für Industrie und Fremdenverkehr flossen ebenfalls vorwiegend in den Westen Österreichs. Dazu kommt die Lage an der Grenze zur Schweiz, von der Vorarlbergs Wirtschaft von Anfang an profitierte. Meinrad Pichler gehörte aber auch zu den Akteuren des kulturellen Aufbruchs in den 1970er Jahren, als junge Künstlerinnen und Künstler sowie Kulturschaffende frischen Wind in die Kulturszene des Landes brachten.
Service für hörbeeinträchtigtes Publikum
Die neunteilige Sendereihe „Unser Österreich“ wird umfassend barrierefrei ausgestrahlt. Für die gehörlosen und hörbehinderten Zuschauer:innen stehen bei allen neun Sendungen im ORF TELETEXT auf Seite 777 sowie auf ORF ON Live-Untertitel zur Verfügung. Zudem wird die Sendung mit Österreichischer Gebärdensprache (ÖGS) angeboten und vom jeweiligen ÖGS-Dolmetsch-Team live übersetzt – zu sehen auf ORF 2 Europe (via Satellit und Kabel), ORF 2 W (in SD via Antenne) und auf ORF ON via Live-Stream.
Die barrierefreien Sendungen stehen auf on.ORF.at auch als Video-on-Demand zur Verfügung.
Gestaltung
Markus Barnay
Redaktion
Robert Gokl