'Zum Weltfrauentag am 8.3.24'

Universum History

Aufstand im Bordell - Frauenhandel um 1900

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Ein Skandalprozess erschüttert die Wiener Gesellschaft und wird zum Stadtgespräch: Die brutale Behandlung von Frauen im Bordell.

November 1906: Die Bordellbesitzerin Regine Riehl wird vom k.k. Landesgericht Wien zu dreieinhalb Jahren Kerker verurteilt. Sie hat junge Prostituierte in ihrem Haus eingesperrt, ausgebeutet und misshandelt. Eine von ihnen, Marie König, hat den Aufstand gewagt und sich einem Journalisten anvertraut. Seine Veröffentlichungen lösen einen Skandal aus, der die Wiener Gesellschaft erschüttert und ihre Doppelmoral offenbart. Zugleich werfen Marie Königs Enthüllungen ein scharfes Licht auf die Abgründe des weltweiten Prostitutionsgeschäfts des Fin de Siècle. Die bewegende „Universum History“-Neuproduktion „Aufstand im Bordell – Frauenhandel um 1900“ von Stefan Ludwig spannt im Rahmen des ORF-Programmschwerpunkts zum Weltfrauentag am Dienstag, dem 5. März, um 21.05 Uhr in ORF 2 den Bogen von Wien über Hamburg bis Buenos Aires. Die mit Maria Hofstätter in der Rolle von Regine Riehl, Alice Prosser als Marie König und Markus Schleinzer als Richter Feigl hochkarätig besetzte österreichische Produktion entstand als Koproduktion von ORF, NDR-ARTE und Geyrhalter Film, gefördert vom Fernsehfonds Austria und Filmfonds Wien, mit Unterstützung von VAM und ORF-Enterprise.

Mädchen im weißen Nachthemd steht im Raum mit roten Türen und Tapete, vor ihr ein Mann
ORF/Carolina Steinbrecher/NGF Geyrhalterfilm
Marie König (Alice Prosser) wird seit vier Jahren zur Prostitution gezwungen und bittet einen Bordellkunden um Hilfe.

Eine leistet Widerstand

Die 16-jährige Wiener Arbeitertochter Marie König läuft im Frühjahr 1902 ihrem prügelnden Vater davon. Kurz darauf wird sie in der Praterstraße von einer Kupplerin angesprochen, die sie gegen eine Vermittlungsprovision in das Bordell der Regine Riehl bringt. Statt des versprochenen „selbstbestimmten Lebens in Reichtum“ erlebt Marie dort Sklaverei: Die Türen sind verschlossen, Geld bekommt sie nicht, psychische und körperliche Gewalt sind an der Tagesordnung. Ihr Vater kassiert von Riehl eine monatliche Zahlung. Drei Jahre später vertraut sich Marie dem Journalisten Emil Bader an, der die Zustände im „Salon Riehl“ öffentlich macht und die Bordellbetreiberin vor Gericht bringt. Der Riehl-Prozess, über den auch Karl Kraus berichtet hat, wühlt die Öffentlichkeit auf, weit über Wien hinaus. Mit einer Mischung aus Voyeurismus, Empörung und Mitleid nimmt das Publikum detaillierten Einblick in die Lebensumstände der „Freudenmädchen“.

Interview mit Maria Hofstätter

Marie König ist kein Einzelfall. Die boomende Metropole Wien ist damals Schauplatz einer riesigen Elends- und Gelegenheitsprostitution, von der die polizeilich tolerierten Bordelle nur die Spitze des Eisbergs ausmachen. Prostitution ist zwar illegal, aber toleriert: Die Mehrheit der Gesellschaft betrachtet sie als „notwendiges Übel“ für die sexuellen Bedürfnisse der Männer. Um den Schutz vor Geschlechtskrankheiten zu gewährleisten, überwacht die Polizei die Prostituierten und zwingt sie zu regelmäßigen ärztlichen Untersuchungen. Feministinnen laufen Sturm gegen dieses System der Doppelmoral. Sie wollen die Prostitution abschaffen, anstatt sie staatlich zu regulieren. Die Debatte um Moral, Prostitution und Frauenrechte wird weltweit geführt. Die Parallelen zu heute – sowohl in der internationalen Debatte als auch in den Mechanismen, die zur Ausbeutung der Frauen führen – sind dabei nicht zu übersehen.

Fünf Mädchen sitzen auf der Anklagebank
ORF/Carolina Steinbrecher/NGF Geyrhalterfilm
Marie Pokorny (r., Gina Christof), Marie Winkler (3.v.r., Fanny Altenburger) und Anna Christ (4.v.r., Julia Wozek) wurden im Riehl-Bordell ausgebeutet, sind nun aber wegen Falschaussage angeklagt.

Mutig und selbstbestimmt für eine bessere Zukunft

In „Aufstand im Bordell“ weist Historikerin Nancy Wingfield darauf hin, dass manche Frauen in der Prostitution – trotz ausbeuterischer und gewalttätiger Strukturen – Handlungsoptionen besaßen und selbst an der Verbesserung ihrer Situation arbeiten konnten. Etwa, indem sie aufbegehrten – wie Marie König. Andere schafften innerhalb des Systems Prostitution den Aufstieg oder verließen irgendwann still und leise das Gewerbe, heirateten oder wechselten in andere Jobs. Das Ende des Wiener Riehl-Prozesses zeigt diese unterschiedlichen Lebenswege auf. Riehl wird verurteilt. Marie König lässt die Prostitution hinter sich. Andere bleiben, klagen aber in einem Zivilprozess vorenthaltene Verdienste ein. Eine der Frauen macht später selbst ein Vermögen als Bordellchefin. Der Riehl-Prozess war mehr als ein Skandal. Er war ein Schlüsselmoment, in dem Frauen in der Prostitution erstmals öffentlich aus ihrer Opferrolle heraustraten.

Hochkarätige Besetzung

In den Reenactments agiert Maria Hofstätter in der Hauptrolle der Regine Riehl. Markus Schleinzer, der 2023 im aufsehenerregenden TV-Film „Die Wannseekonferenz“ mitwirkte, spielt Richter Feigl. Mit Alice Prosser als Marie König ist eine aufsteigende Jungschauspielerin zu sehen, die zuletzt in Marie Kreutzers Film „Corsage“ brilliert hat. In weiteren Rollen sind Fanny Altenburger als Angeklagte Marie Winkler, Gina Christof als Angeklagte Marie Pokorny und Julia Wozek als Angeklagte Anna Christ zu sehen.

Bild von
Mädchen mit grünem Hut
ORF/Carolina Steinbrecher/NGF Geyrhalterfilm
Marie König (Alice Prosser) soll bei Gericht gegen ihren Vater aussagen, der von ihrer Ausbeutung im Bordell profitierte.
Bordellchefin Regine Riehl (Maria Hofstätter) steht wegen Freiheitsberaubung vor Gericht, hinter ihr Zuhörer:innen
ORF/Carolina Steinbrecher/NGF Geyrhalterfilm
Bordellchefin Regine Riehl (Maria Hofstätter) steht wegen Freiheitsberaubung vor Gericht.
Richter, neben ihm zwei Kollegen, hinter ihm ein Gemälde
ORF/Carolina Steinbrecher/NGF Geyrhalterfilm
Gerichtspräsident Feigl (Markus Schleinzer, Mitte) beim Prozess gegen Bordellchefin Regine Riehl.
Die Frauenrechtlerinnen Cölestine Truxa (l., Alexandra Maria Timmel) und Else Jerusalem (r., Barbara Bohaczek) sind die einzigen Frauen im Publikum beim Prozess gegen Bordellchefin Regine Riehl.
ORF/Carolina Steinbrecher/NGF Geyrhalterfilm
Die Frauenrechtlerinnen Cölestine Truxa (l., Alexandra Maria Timmel) und Else Jerusalem (r., Barbara Bohaczek) sind die einzigen Frauen im Publikum beim Prozess gegen Bordellchefin Regine Riehl.
Mädchen im Gerichtssaal
ORF/Carolina Steinbrecher/NGF Geyrhalterfilm
Marie Pokorny (Gina Christof) hatte als "erstes Mädchen" eine Leitungsfunktion im Riehl-Bordell
Zwei angeklagte Mädchen, mit Hut, auf der Anklagebank
ORF/Carolina Steinbrecher/NGF Geyrhalterfilm
Anna Christ (l., Julia Wozek) und Marie Winkler (r., Fanny Altenburger) wurden im Riehl-Bordell ausgebeutet und stehen im Gerichtssaal ihrer Ex-Bordellchefin gegenüber.

Regisseur Stefan Ludwig: „Die Riehl-Akten faszinieren mich immer wieder neu: Sie sind ein Stück ‚Geschichte von unten‘, ein Stück Frauengeschichte und ein ganz seltenes historisches Dokument: Hier treten ein Bordellbetrieb um 1900, der Alltag der Sexarbeiterinnen und die enorme Zivilcourage der Frauen detailreich und ungeschminkt zu Tage. Das Geschehen als Courtroom-Drama zu erzählen, fanden wir spannender und weniger voyeuristisch, als die eigentliche Bordellhandlung zu inszenieren. Wichtig war es uns, immer wieder die Balance zu finden: Die Ausbeutung zu thematisieren, aber die Frauen in ihrer Kraft und ihrem Aufbegehren zu zeichnen und nicht stereotyp als Opfer.“

„Universum History“-Chefin Caroline Haidacher: „Mit dieser außergewöhnlichen Produktion gibt ‚Universum History‘ jenen Akteurinnen eine Stimme, die zu den diskriminiertesten und unsichtbarsten Gruppen gehören: den Sexarbeiterinnen. Selbstverständlich haben auch sie in der österreichischen Geschichte eine Rolle gespielt und durch ihren Mut, vor Gericht auszusagen, eine europaweite Debatte ausgelöst. Die Geschichte dieser Frauen muss erzählt werden, ihnen – Frauen wie Marie König, Marie Pokorny, Marie Winkler, Anna Christ – gehört ein Denkmal gesetzt. Auch um zu zeigen, wie wenig sich in manchen Bereichen im gesellschaftlichen Umgang mit Frauen in den vergangenen 120 Jahren verändert hat.“

Regie

Stefan Ludwig