Universum History

Maria Theresias dunkle Seite - Die Vertreibung der Juden aus Prag

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TV-Premiere am 31. Oktober um 21.05 Uhr in ORF 2

Wien: Im Zentrum der Macht des Habsburgerreichs beginnt kurz vor Weihnachten 1744 ein unheilvolles Drama mit Auswirkungen auf ganz Europa. Gegen den Geist der Aufklärung und Toleranz befiehlt die junge Maria Theresia die Vertreibung der angeblich illoyalen Juden aus Prag. Ein Countdown beginnt, denn die Juden Prags haben eine europaweite Kampagne gestartet, um die Monarchin zum Einlenken zu bringen. Die „Universum History“-Dokumentation „Maria Theresias dunkle Seite – Die Vertreibung der Juden aus Prag“ von Monika Czernin und Fritz Kalteis (Reenactments) fragt, wie sich der Judenhass der zur „Mutter ihrer Völker“ hochstilisierten Habsburgerin erklären lässt, die in den Juden „die ärgste Pest“ vermutet. Und warum diese „dunkle Seite“ Maria Theresias so lange unbekannt war. Der Film erzählt am Dienstag, dem 31. Oktober 2023, um 21.05 Uhr in ORF 2 die letzte große Vertreibung der Juden im alten Europa vor dem Holocaust als ein Drama, das angesichts von Fremdenfeindlichkeit und wiedererstarktem Antisemitismus hoch aktuell ist.

ORF/EPO Film/Oliver Indra
Historikerin und Maria Theresia Biographin Barbara Stollberg-Rilinger mit dem Direktor des Österreichisches Staatsarchiv – Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Thomas Just, bei der Recherche im Speicher des HHStA

Die Auswirkungen der Vertreibung der Juden aus Prag auf Europa

Wien, 18. Dezember 1744. Kurz vor der Geburt ihres siebenten Kindes erlässt Maria Theresia einen Befehl, der wie ein Blitz im Habsburgerreich einschlägt und Auswirkungen auf ganz Europa hat: Sie befiehlt die Vertreibung der Juden aus Prag und stellt sich damit gegen den Geist der Aufklärung und Toleranz. Ein Countdown beginnt, ein Kampf, in dem sich halb Europa für die jüdische Bevölkerung von Prag einsetzt. Doch die zur „Mutter ihrer Völker“ hochstilisierte Habsburgerin bleibt gnadenlos. Was treibt die angeblich so aufgeklärte Monarchin zu diesem mittelalterlichen Akt, der rund zwei Jahrhunderte später im Holocaust seine grausame Fortsetzung finden sollte?

Der Film entstand als Koproduktion von EPO-Film, ORF, BR und Česká televize in Zusammenarbeit mit ARTE und ORF-Enterprise, gefördert von Fernsehfonds Austria und Filmfonds Wien.

ORF/EPO Film/Oliver Indra
Heyla Kirschner (Simona Zmrzlá) zieht den Wagen mit den wenigen Habseligkeiten der Familie

Die Antijüdische Verfolgung: Maria Theresias dunkle Seite

Nach Jahrhunderten der antijüdischen Verfolgung im christlichen Europa ist Maria Theresias Befehl der letzte von einer Herrscherin bzw. einem Herrscher verordnete Terrorakt gegen Juden im Alten Europa vor dem Holocaust. Es ist der politische Amoklauf einer absolutistisch regierenden Monarchin, die beratungsresistent ist und gegen den Geist der Aufklärung tiefes Leid über Menschen in ihrer Machtsphäre bringt. „Das ist Maria Theresias dunkle Seite“, so Historikerin und Maria-Theresia-Biografin Barbara Stollberg-Rilinger, „in der populären Geschichtsvermittlung ist das bisher nicht vorgekommen.“ Die Juden von Prag starten eine europaweite Kampagne, um die Regentin – Königin von Ungarn und Böhmen – zum Einlenken zu bringen. Zwei Hofjuden – Männer aus jüdischen Familien, die die Herrscher:innen damals mit Kapital und Luxusgütern versorgten – werden zu prominenten Fürsprechern der jüdischen Bevölkerung: Wolf Wertheimer und Diego d’Aguilar. Zahlreiche Schreiben treffen in Wien ein, die Gesandten Englands und Hollands werden bei Maria Theresia vorstellig und sogar der Papst bittet die fromme Katholikin um Menschlichkeit. Wird Maria Theresia einlenken? Die Dokumentation versucht zu erkunden, wie sich der Judenhass der zur „Mutter ihrer Völker“ hochstilisierten Habsburgerin erklären lässt, die in den Juden „die ärgste Pest“ sah. Ist es der Einfluss ihres jesuitischen Beichtvaters oder die Tradition ihres Großvaters Leopold I., der bereits 1670 alle Juden aus Wien vertreiben ließ? Nach dem Erlass zur Vertreibung steht das Schicksal der jüdischen Gemeinde von Prag auf dem Spiel. „Das war ja nicht irgendeine Gemeinde. Prag war DIE jüdische Gemeinde in Europa, die größte, die wichtigste und die bedeutendste“, sagt Historikerin Rotraud Ries.

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Historiker Alexandr Putik identifiziert Gräber der Opfer der Vertreibung am Jüdischen Friedhof in Prag

Historische Handschriften aus dem Prager Nationalarchiv

Musikalische Klammer der „Universum History“-Produktion ist das El Male Rachamim, das jüdische Totengedenken. Es durchzieht den Film als Leitmotiv, taucht als „Realmusik“ gleich am Anfang bei den Toten des Pogroms auf und führt am Ende bis in die Gegenwart. Es ist einer der Höhepunkte der Dokumentation, wenn Rabbi Michael Dushinsky in der ältesten erhaltenen Synagoge Europas, der Altneu-Synagoge in Prag, das Totengedenken für die Opfer von Pogrom, Vertreibung und Holocaust singt.

Ein besonderes Augenmerk legt die Produktion auf historische Dokumente, die zum Teil in hebräischer Schrift sind. Es sind Handschriften aus dem Prager Nationalarchiv, die den Fall detailliert belegen und vom besten Spezialisten für die Vertreibung der Juden aus Prag, dem Historiker Alexandr Putik, dechiffriert werden. Ein weiteres Highlight ist die Identifizierung von bisher unbekannten Grabsteinen der Opfer von Pogrom und Vertreibung am jüdischen Friedhof in Prag. Für die Suche nach jüdischen Spuren in der Stadt wurde eine eigene Kamerasprache gefunden.

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Prag

Die Diskriminierung der Juden

„Um Europa besser zu verstehen, muss man diese Geschichte kennen“, sagt die international renommierte und preisgekrönte Filmemacherin Monika Czernin über die große Bedeutung des Themas. „Ohne die lange christliche, antijudaistische Haltung hätte es die Passivität in der Bevölkerung nicht gegeben, sich gegen den Nationalsozialismus nicht zu wehren“, zieht der christliche Theologe, Judaist und Berater von Papst Franziskus im christlich-jüdischen Dialog, Christian Rutishauser, ein nachdenklich stimmendes Fazit. „Zusammenleben und Diskriminierung der Juden gibt es in Europa seit 1000 Jahren. Die Prager Vertreibung ist auch noch die letzte große Vertreibung der Juden im alten Europa vor dem Holocaust. Christlicher Antijudaismus ist eine Wurzel des Antisemitismus. Diese wichtige Geschichte musste ich für ein breites Publikum erzählen. Vertreibung, Flucht und unsinnige Befehle sind bis heute hochaktuelle Themen, die nur Leid über Menschen bringen!“, so Monika Czernin, Trägerin des Friedrich-Schiedel-Literaturpreises 2023.

Universum History Präsentation im Jüdischen Museum Wien

Das Jüdische Museum Wien, der ORF und EPO-Film luden gestern, am Dienstag, dem 24. Oktober, zur Präsentation des Films ins Jüdische Museum Wien. In Anwesenheit von Museumsdirektorin Barbara Staudinger, Tom Matzek, ORF-TV-Hauptabteilungsleiter Bildung, Wissenschaft und Zeitgeschehen, und der EPO-Film-Produzenten Dieter und Jakob Pochlatko erläuterten Regisseurin Monika Czernin, Historiker Michael Silber von der Hebrew University, der für die Filmpräsentation aus Jerusalem anreiste, und EPO-Film-Producer Heinrich Mayer-Moroni im Gespräch mit „Universum History“-Redakteurin Judith Brandner die Entstehungsgeschichte und Bedeutung der Dokumentation. An der Veranstaltung nahmen weiters Psychoanalytikerin Erika Freeman, Fritz Kalteis, Regisseur der Spielszenen, sowie zahlreiche Darsteller:innen – u. a. Fanny Krausz (Maria Theresia), Julian Loidl (Franz Stephan) und Michael Masula (Wolf Wertheimer) – teil.

„Maria Theresias dunkle Seite – Die Vertreibung der Juden aus Prag“ entstand als Koproduktion von EPO-Film, ORF, BR und Česká televize in Zusammenarbeit mit ARTE und ORF-Enterprise, gefördert von Fernsehfonds Austria und Filmfonds Wien.

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Detail der Altneu-Synagoge in Prag, der ältesten erhaltenen Synagoge Europas

Barbara Staudinger, Direktorin Jüdisches Museum Wien: „Ich freue mich sehr, dass dieser Film zum Teil auch in unserem Haus gedreht wurde und wir Austragungsort dieser Premiere sein können. Die Habsburger galten gemeinhin als die Beschützer der jüdischen Bevölkerung in ihren Territorien. Doch waren es vor allem fiskalische Überlegungen, die sie trotz Jahrhunderte alter Judenfeindschaft dazu bewogen, Jüdinnen und Juden anzusiedeln. Sobald der politische Druck größer wurde oder sich ein finanzieller Vorteil versprach, waren jedoch auch die habsburgischen Herrscher bereit, die jüdischen Gemeinden zu vertreiben. Dies ist die Tradition, in der auch Maria Theresia stand.“

Tom Matzek, ORF-TV-Hauptabteilungsleiter Bildung, Wissenschaft und Zeitgeschehen: „Maria Theresia gehört zu den prägendsten Persönlichkeiten der österreichischen Geschichte. Das zeigen die Erfolge der fiktionalen Serien der vergangenen Jahre ebenso wie die zahlreichen Dokumentationen, die im ORF seit den 1960er Jahren entstanden sind. Doch ein Ereignis in ihrer Regierungszeit blieb dabei meist ausgespart. Die umfassende Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus Prag, die sie selbst gegen den Protest des Papstes durchführen ließ. Dieses Dunkel in der Geschichte Maria Theresias auszuleuchten, ist erstmals mit dieser penibel recherchierten und aufwendig umgesetzten ‚Universum History'-Dokumentation gelungen. Damit zeigt die nun zehn Jahre bestehende ORF-Leiste eindrucksvoll, wie wichtig die ständige Auseinandersetzung mit scheinbar bereits bekannten Epochen der Geschichte ist.“

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Maria Theresia (Fanny Krausz) unterschreibt den Vertreibungsbefehl

Monika Czernin, international renommierte und preisgekrönte Filmemacherin, über die große Bedeutung des Themas: „Um Europa besser zu verstehen, muss man diese Geschichte kennen. Zusammenleben und Diskriminierung der Juden gibt es in Europa seit 2000 Jahren. Diese wichtige Geschichte musste ich für ein breites Publikum erzählen, denn die Wurzeln des Holocaust, aber auch das jahrhundertealte Zusammenleben von Juden und Christen in Europa, die engen Verflechtungen in Handel und Wirtschaft und die wechselnden Allianzen für und gegen die Juden sind zu wenig bekannt. Und noch viel allgemeiner gesprochen sind unsinnige Befehle, Vertreibung und Flucht bis heute hochaktuelle Themen, die nur Leid über Menschen bringen!“

Michael Silber, Historiker, Hebrew University, Jerusalem, zur dunklen Seite Maria Theresias: „Maria Theresia sagte sich, das ist unsere Familientradition. Ihr Großvater hat die Juden aus Wien vertrieben. Und im 16. Jahrhundert hat ein anderer Vorfahre die Juden aus Prag verbannt. Außerdem war sie eine Nachfahrin von Isabella und Ferdinand, die schon die Juden aus Spanien vertrieben hatten.“

Heinrich Mayer-Moroni, Producer EPO-Film: „Ich habe das Potenzial dieses Themas für eine große internationale Koproduktion sofort erkannt, als Monika Czernin mir diesen Stoff angeboten hat. Nach zwei Jahren Entwicklung und Realisierung bin ich stolz auf das großartige Team, das mit Engagement und Begeisterung diesen Film möglich gemacht hat.“

 

Regie

Monika Czernin

Buch

Monika Czernin