Universum History

Margarethe Ottillinger - Die Frau, die zu viel wusste

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Jahrzehntelang lag der Fall Margarethe Ottillinger im Dunkel der Geschichte Österreichs.

 Die erst 29-jährige Wirtschaftsexpertin und Sektionschefin wurde am 5. November 1948 an der Ennsbrücke verhaftet, in ein russisches Gulag-Lager verschleppt und zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Der Vorwurf: Spionage für die USA. Der Fall erregte im Nachkriegsösterreich zwar großes Aufsehen – die wahren Hintergründe sind jedoch bis heute nicht ganz geklärt. 1955 wurde die spätere ÖMV-Vorstandsdirektorin aus der Haft entlassen. Der Historiker Stefan Karner hat jahrzehntelang unter Verschluss gehaltene KGB-Verhörprotokolle aufgearbeitet und stieß dabei auf Details in Ottillingers Umfeld, die bisher nicht bekannt waren. Anhand neuer Dokumente des KGB und der westlichen Geheimdienste lässt sich Ottillingers Verschwinden als Verkettung politischer und menschlicher Komponenten rekonstruieren. Ottillinger selbst erfuhr bis zu ihrem Tod 1992 nicht, warum sie sieben qualvolle Jahre in sowjetischen Straflagern zubringen musste.

ORF/Epo Film
Im Bild:Margarethe Ottillinger (Ursula Strauss), Sektionsleiterin der Planungsabteilung im Wirtschaftsministerium.

„Universum History“ verfilmte den Spionagefall Margarethe Ottillinger mit Ursula Strauss in der Titelrolle und Markus Schleinzer als Peter Krauland, Minister für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung. Klaus T. Steindls Film dokumentiert „Margarethe Ottillinger – Die Frau, die zu viel wusste“ am Freitag, dem 25. November, um 23.20 Uhr in ORF 2 Margarethe Ottillingers Leistung für die Republik in der Aufbauzeit nach dem Zweiten Weltkrieg und vermittelt das Bild einer Zeit, als der frühe Kalte Krieg in Europa auch ein unerbittlicher Wirtschaftskrieg war. Das Zusammenspiel aus Reenactments, Archivmaterial und Interviews mit Zeitzeuginnen, Zeitzeugen sowie Historikerinnen und Historikern ergibt ein Porträt dieser jungen, ungewöhnlichen Frau, die durch ihre Wirtschaftskompetenz und ihr Selbstbewusstsein ihrer Zeit weit voraus war.

ORF/Epo Film/Hubert Mican
Im Bild: Margarethe Ottillinger (Ursula Strauss), Minister Peter Krauland (Markus Schleinzer).

Basierend auf den Recherchen Stefan Karners, dessen Buch „Im Kalten Krieg der Spionage. Margarethe Ottillinger in sowjetischer Haft 1948 – 1955“ im Studienverlag erschien, bringt die Dokumentation Licht ins Dunkel der Geschichte. Dabei wird ein Bild jener Personen gezeichnet, die am Schicksal Ottillingers maßgeblich beteiligt waren: Der Österreicher Alfred Fockler, der als amerikanischer Agent den Sowjets in die Hände fiel, wollte seinen Kopf aus der Schlinge ziehen, indem er Ottillinger schwer belastete. Zwei weitere Männer besiegelten Ottillingers Schicksal: der russische Ingenieur Andrej Didenko, der sich in die junge Spitzenbeamtin verliebt hatte und dem sie bei der Flucht in den Westsektor behilflich war, und Minister Peter Krauland, der tatenlos zusah, als seine beste Mitarbeiterin verschleppt wurde.

ORF/Epo Film/Petro Domenigg
Im Bild: Margarethe Ottillinger (Ursula Strauss),aus Verzweiflung versucht sie sich das Leben zu nehmen.

Ottillingers Arbeit für den Wiederaufbau Österreichs mit Hilfe des amerikanischen Marshallplans und die geplante Kürzung der Stahlzuteilungen für die sowjetischen Betriebe in Ostösterreich machten sie für die Sowjets verdächtig und zur mutmaßlichen amerikanischen Spionin. Als mächtige junge Frau, die innerhalb der österreichischen Bürokratie viel Geld zu verteilen hatte, zog sie zudem in einer Männergesellschaft Neid und Missgunst auf sich. Anzeigen bei der sowjetischen Besatzungsmacht waren die Folge. Und Ottillinger, die niemals Angst zeigte, spielte tatsächlich mit dem Feuer: indem sie sich tief in die Netze der Geheimdienste im Wien der Nachkriegszeit hineinwagte. Wien war neben Berlin zu einem gefährlichen Brennpunkt zwischen Ost und West geworden. Ottillinger war mittendrin – als Akteurin, aber auch als „Bauernopfer“. Für die Sektionschefin blieb ab der Entführung die Uhr stehen: vollkommene Isolation, totale Ungewissheit, ständige Verhöre und die Androhung der Hinrichtung als Spionin. Dem Galgen entrann sie nur, weil Stalin 1948 gerade die Todesstrafe ausgesetzt hatte. 25 Jahre Gulag war die Alternative: ein Tod auf Raten.

 

Nach Stalins Tod hegten jedoch auch die Sowjets Zweifel an den Schuldbeweisen – Ottillingers Haft wurde verkürzt. Wenige Wochen nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags konnte die Schwerkranke am 25. Juni 1955 schließlich nach Österreich zurückkehren. Erst 1991 wurde sie in allen ihr zur Last gelegten Punkten rehabilitiert. Mit dem Bau der kubistischen Wotrubakirche in Wien setzte sie ein sichtbares Zeichen für den unterdrückten Menschen in totalitären Regimen. Damit errichtete sie auch ihrem eigenen persönlichen Schicksal ein eindrucksvolles Denkmal.

ORF/Epo Film/Hubert Mican
Im Bild: November 1948: Ottillingers Wagen, in dem sie mit Minister Krauland sitzt, wird von den Sowjets angehalten.