Universum History
Verfolgte Liebe - Die Männer mit dem Rosa Winkel
Josef Kohout aus Wien ist der erste homosexuelle KZ-Häftling, der seinen Leidensweg öffentlich gemacht hat – wenn auch unter Pseudonym. Sein Schicksal steht in im Mittelpunkt des zweiten Teils der „Universum History“-Serie über „Meilensteine queerer Geschichte“ von Regisseur Fritz Kalteis. ORF 2 zeigt die Neuproduktion „Verfolgte Liebe – Die Männer mit dem Rosa Winkel“ anlässlich des „Pride Month 2024“ am Dienstag, dem 21. Mai, um 21.05 Uhr. Die Spieldoku entstand als Koproduktion von V-Set und Feature Film mit ORF und ZDF/ARTE in Zusammenarbeit mit ORF Enterprise, gefördert von Fernsehfonds Austria, Filmfonds Wien und Kultur Niederösterreich.
Hochblüte queerer Kultur in der Zwischenkriegszeit
Gab es im Wien und Berlin der Zwischenkriegszeit eine Hochblüte queeren Selbstbewusstseins, endete mit der Machtübernahme Hitlers diese Illusion der Freiheit. Homosexuelle Männer werden verfolgt, inhaftiert, gefoltert und auch ermordet. Wie Tausende andere landet der schwule Josef Kohout nach Monaten in Gestapo-Haft im KZ. Gebrandmarkt mit dem berüchtigten Rosa Winkel liegen fünf qualvolle Jahre vor ihm. Kohout überlebt – und seine Lebensgeschichte wird später unter dem Titel „Die Männer mit dem Rosa Winkel“ zum Schlüsselwerk der zweiten schwul-lesbischen Bewegung. Es ist nicht nur eine Abrechnung mit der Nazizeit, sondern auch mit Österreich nach dem Krieg: Kohout wird von den Behörden eine Entschädigung als NS-Opfer verwehrt.
Wien, Ende der 1960er Jahre: Unter strenger Geheimhaltung erzählt Josef Kohout (gespielt von Stefan Gorski) dem Autor Hanns Neumann (Michael Dangl) von seiner Zeit in der Hölle. Wie Tausende andere homosexuelle Männer landete er im Winter 1940, nach zehn Monaten in Gestapo-Haft, im KZ. Mit dem „Rosa Winkel“ gebrandmarkt, wird er fünf Jahre lang gedemütigt und gequält. Kohout überlebt – auch, weil er sich in ein System aus sexueller Ausbeutung fügt. Dennoch wird ihm nach 1945 von den österreichischen Behörden jede Entschädigung als NS-Opfer verweigert. Der Grund: Homosexuelle Männer gelten in Österreich ebenso wie in Deutschland weiterhin als Kriminelle. Kohout wird bis zum Ende seines Lebens gegen dieses Unrecht ankämpfen – vergeblich.
Denunziation und Verfolgung
Regisseur Fritz Kalteis erzählt in der aufwendig produzierten Spieldoku nun erstmals die Geschichte Josef Kohouts: „Kohouts Schicksal steht stellvertretend für jenes Zehntausender Männer und Frauen, die wie Josef Kohout von den Nazis nur deshalb verfolgt wurden, weil sie anders liebten, als es die Bevölkerungspolitik der Nationalsozialisten vorsah.“ Bereits unmittelbar nach der Machtübernahe hatten die Nazis begonnen, die queere Subkultur, die in den 1920er Jahren vor allem in Berlin und Wien aufgeblüht war, zu zerstören. Im Sommer 1934 lässt Hitler SA-Chef Ernst Röhm verhaften und hinrichten. Röhms Homosexualität galt schon lange als offenes Geheimnis. Erst als Röhm in Hitlers Augen zu mächtig und eigensinnig wurde, lässt er ihn beseitigen – und schiebt eine angebliche homosexuelle Verschwörung als Grund vor. Die Ausschaltung Röhms wird zum Wendepunkt für Homosexuelle in Deutschland. SS-Chef Himmler verschärft den Verbotsparagraphen §175 und richtet die „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung“ ein. Sie systematisiert die Jagd auf Homosexuelle – nach März 1938 auch in Österreich. „Die warteten auf Hinweise von anderen Behörden, von anderen Gestapoleitstellen oder auch auf Denunziationen aus der Bevölkerung – und die kamen auch. Da war Verlass auf die Bevölkerung“, so der Historiker Hannes Sulzenbacher von QWIEN, dem Zentrum für queere Geschichte Wien.
Sexuelle Ausbeutung im KZ
Für viele schwule Männer geht es nach der Gestapo-Haft nicht in die Freiheit, sondern ins KZ. Anfang 1940 findet sich damit auch Josef Kohout im KZ Sachsenhausen wieder. Dort und im KZ Flossenbürg lernt Kohout, sich in ein System aus sexueller Ausbeutung unter den Häftlingen einzufügen, sagt der Historiker Klaus Müller vom United States Holocaust Memorial Museum in Washington, der sich intensiv mit Kohouts Biografie beschäftigt hat: „Kohout wollte überleben. Und ein Kapo hat angeboten, ihn im Austausch gegen sexuelle Gefälligkeiten unter Schutz zu nehmen. Er war jung, er sah gut aus, und er hat diese Lagerzeit auch nur überlebt, weil er dann von einem Kapo zum nächsten diesen Vertrag geschlossen hat, der ihn beschützt hatte.“
Lesbische Frauen leben in einer Zeit der Maskierung
Das Schicksal der Männer mit dem Rosa Winkel ist vergleichsweise gut erforscht. Ganz anders ist die Lage bei lesbischen Frauen. Gleichgeschlechtliche Sexualität unter Frauen war in Deutschland im Gegensatz zu Österreich nicht strafbar – es gab also keinen Rosa Winkel für Frauen. Dennoch standen lesbische Frauen unter großem Druck: Die tschechisch-britische Historikerin Anna Hájková spricht von einer „Zeit der Maskierung, lesbische Frauen mussten also als hetero erscheinen, sich schminken, mit Männern verabreden, vielleicht sogar Kinder bekommen oder heiraten“. Dennoch landeten auch queere Frauen in den KZs der Nazis, wenn auch unter anderen, oft vorgeschobenen Gründen. Der Film spürt auch ihrem Schicksal nach.
Kein Ende der Verfolgung nach dem Krieg
Nach dem Krieg geht die strafrechtliche Verfolgung vor allem homosexueller Männer weiter. In diesem Klima ist Josef Kohout der erste Rosa-Winkel-Häftling, der es wagt, seine Geschichte öffentlich zu machen: „Der politische Appell, den er da eindeutig mitliefert, ist: Ihr müsst uns als Opfer anerkennen“, sagt Hannes Sulzenbacher von QWIEN. Basierend auf Josef Kohouts Erinnerungen erscheint schließlich 1972 das Buch „Die Männer mit dem Rosa Winkel“, wenn auch unter einem Pseudonym. Der erste Erfahrungsbericht eines schwulen KZ-Insassen wird in den späten 1970er und 80er Jahren von der zweiten schwul-lesbischen Bewegung entdeckt und gilt heute als Schlüsselwerk der queeren Geschichte. Der Rosa Winkel wandelt sich durch Kohout vom Stigma zum Zeichen der frühen Pride-Bewegung. „Es war extrem mutig von Josef Kohout, als erster das Schweigen zu brechen. Das macht seine Geschichte so wichtig – auch um zu verstehen, warum es heute noch Queerfeindlichkeit gibt“, so die preisgekrönte Produzentin Alex Wieser. Sie hat den Franz-Grabner-Preis 2024 in der Sparte Dokumentarfilm gewonnen.
Dargestellt wird Josef Kohout von Jungstar Stefan Gorski, der für „Ein ganzes Leben“ erst jüngst mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet wurde und aktuell als „Bester männlicher Hauptdarsteller“ auch für den Österreichischen Filmpreis nominiert ist. Kammerschauspieler Michael Dangl spielt den Autor Hanns Neumann und Markus Freistätter den sadistischen Lagerleiter Karl Fritzsch. Almdudler-Eigentümer Thomas Klein, seit Jahren einer der aktivsten Unterstützer der hiesigen Pride-Bewegung, hat als Kohouts Lebensgefährte Willi Kröpfl einen Überraschungsauftritt.
„Universum History“-Sendungsverantwortliche Caroline Haidacher: „Im Pride Month wird die Diversität gefeiert, für uns auch Anlass, an jene queeren Menschen zu erinnern, die verfolgt, inhaftiert oder ermordet wurden. Josef Kohout hatten den Mut, seine Geschichte zu erzählen. Er repräsentiert die Tausenden queeren Opfer des Nationalsozialismus.“
Regie
Fritz Kalteis