Universum

Wildes Skandinavien (2) - Zwischen Wald und Wasser

Werbung Werbung schließen

Von den borealen Wäldern Skandinaviens ist es nur ein kleiner Schritt in die Welt der nordischen Mythologie.

Am mystischen Weltenbaum Yggdrasil opferte sich der Göttervater Odin, um an das geheime Wissen bei ihren Wurzeln zu gelangen. Es ist wohl kein Zufall, dass ein Baum eine zentrale Rolle im Weltbild der Normannen spielte – weite Teile der skandinavischen Halbinsel werden bis heute von Wäldern geprägt.

Die zweite Folge der neuen Universum-Trilogie WILDES SKANDINAVIEN streift im Wechsel der Jahreszeiten durch diesen uralten, immergrünen und doch wandlungsfähigen Kosmos der Fichten, Kiefern und Tannen. Ein beeindruckender Ort, an dem sich Wohlfühlen und grimmige Überlebenskämpfe ein Stelldichein geben.

Im Wandel der Jahreszeiten

Der schier endlose Winter ist angebrochen, fast ein halbes Jahr lang liegt durchgehend Schnee. Die weiße Decke lässt Bäume wie Bergtrolle erscheinen, die erstarrt und gebückt in der Landschaft verharren. Ein schier unwirtlicher Lebensraum. Aber die Natur hat es verstanden, die Waldbewohner mit erstaunlichen Anpassungsstrategien auszustatten, die eine Existenz hier ermöglichen. Ausgeklügelte Kooperationen, wie das Zusammenspiel von Klugheit und Klauen gehören dazu: Umtriebige Kolkraben und mächtige Steinadler teilen sich das Aas verendeter Tiere – widerwillig zwar, aber zu beiderseitigem Vorteil.

Eine Herde Rentiere läuft durch den tief verschneiten Wald, eine Frau auf einem Schneemobil treibt sie von rechts nach links.
ORF/BBC/Billy Clapham
Die samische Hirtin Margret Fjellström treibt ihre Rentiere mit dem Schneemobil durch die schwedischen Wälder zu neuen Futterstellen

Rentierherden folgen seit jeher Wanderrouten, die über hunderte Kilometer zu Baumriesen mit reichem und nahrhaftem Flechtenbestand führen – den besten Weideplätzen für die trächtigen Hirschkühe. Eine Hirtin aus dem Volk der Samen sorgt dafür, dass die Tiere trotz der immer weiter ins Land vordringenden menschlichen Infrastruktur ihren Weg finden.

Ein Luchs hat sich mit den Vorderpfoten an einem Baumstamm hochgezogen und hält die Nase an die Rinde. Im Hintergrund sind Felsen und Wald erkennbar.
ORF/BBC
Ein männlicher Luchs nutzt die Duftdrüsen in seinen Wangen, um sein Revier in den ausgedehnten Wäldern Schwedens zu markieren

Ein Baum als Liebesbrief? Auch das gibt es! Frühlingsgefühle fallen in den skandinavischen Wäldern heftig aus, denn die Tierwelt steht unter Zeitdruck. Die Frist, eine Partnerin zu finden und den Nachwuchs für den kommenden Winter fit zu machen, währt in der gemäßigt-kalten Klimazone nur kurz. Luchsmännchen markieren daher in ihrem weitläufigen Revier Bäume, um zufällig vorbei streunende Weibchen auf sich aufmerksam zu machen. Andere, wie die Birkhuhn-Hähne fechten tagelang Kämpfe mit hunderten Rivalen aus, um sich einen Harem zu sichern.

Großaufnahme des Kopfs eines kleinen Braunbären, mit der rechten Tatze hält er sich an einem Baumstamm fest.
ORF/BBC
Junge Braunbären sind ausgezeichnete Kletterer und nutzen instinktiv die hohen Kiefern, um jeder möglicher Gefahr zu entkommen

Braunbär-Mütter hingegen haben Zeit: sie kümmern sich jahrelang um ihre Jungen. Nach einem ausgiebigen Winterschlaf nutzen sie die schneefreie Saison, um die Kleinen in Kräuterkunde und Baumklettern zu unterrichten.

Nahrung im Überfluss

Der Sommer: ein kurzes Zeitfenster, in dem die Natur ihr Füllhorn ausschüttet. Die rege Bautätigkeit der Biber trägt nicht unwesentlich dazu bei, dass Nahrung in Hülle und Fülle vorhanden ist. Ihre Dämme verwandeln Wälder in Wasserwelten, die zu beliebten Supermärkten für zahlreiche Tierarten, wie etwa den Fischadler, werden. Da die Weibchen der Greifvögel bereits zu den Winterquartieren in Afrika aufgebrochen sind, kümmern sich die Männchen alleine um die Küken. Das reiche Nahrungsangebot in den überfluteten Wäldern macht es den Strohwitwern möglich, die Jungtiere in wenigen Wochen für die 7000 Kilometer lange Reise aufzupäppeln.

Früh setzt der Herbst ein – die letzte Gelegenheit für Tiere, Winterspeck und Nahrungsdepots anzulegen. Für die Menschen ist es die Zeit, die Wälder noch einmal in ihrer vollen Pracht zu genießen. Neben dem Volkssport Pilze sammeln bietet vor allem Eislaufen auf den frisch zugefrorenen Seen ein besonders intensives Naturerlebnis. Das Gleiten auf dünnem, durchsichtigem Eis inmitten einer unberührten Landschaft, die sich langsam zur Winterruhe legt, öffnet die Sinne für den Wert einer intakten Natur, die auch in der Wildnis Skandinaviens immer stärker unter Druck gerät.

Vom Elch bis zum Wolf, vom Raben bis zum Bären – viele der Waldtiere haben Eingang in die dramatischen, oft erbarmungslosen Ereignisse der nordischen Mythologie gefunden. Ein Zeichen für die Bedeutung, die ihnen die Altvorderen beimaßen. Aber auch ein Spiegel für die Unerbittlichkeit der Natur in diesen Breiten. Das geheime Wissen, das Odin einst am Fuße des Weltenbaumes suchte, liegt vielleicht im Prinzip des Miteinander, das in allen Ökosystemen herrscht: Ohne das Zusammenleben von Bäumen mit speziellen, unscheinbaren Pilzarten, welche die Wurzeln mit lebensnotwendigen Nährstoffen versorgen, würden unsere Wälder erst gar nicht existieren…

Regie: Ingrid Kvale

Audiodeskription gefördert von VGR GmbH

Bearbeitung

Wolfgang Stickler