Ein Kaleidoskop der Epochen
Inmitten malerischer Natur, nicht weit von der Ostsee entfernt, dort wo die beiden Flüsse Memel und Neris ineinanderfließen, liegt die heimliche Hauptstadt Litauens: Kaunas ist neben Novi Sad und Esch Kulturhauptstadt im Jahr 2022.
Zu Unrecht steht die zweitgrößte Stadt des Landes im Schatten von Vilnius, gilt doch die rund 300 000 Einwohnerstadt als architektonisches Juwel. Neben dem historischen Stadtkern, in dem Gotik und Barock ihre Spuren hinterlassen haben ist die mittelalterliche Burg das Wahrzeichen der Stadt. Erstmals 1361 in der Geschichte Litauens erwähnt, wurde das Bollwerk rund um den runden Wehrturm in den vergangenen Jahren aufwendig rekonstruiert.
Neben ihrer mittelalterlichen Altstadt weist Kaunas auch ein beachtliches architektonisches Erbe der Moderne auf – vor allem der Einfluss des Dessauer Bauhauses der Zwanziger- und Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts ist deutlich spürbar. In ihrer Geschichte hat die Hansestadt jedoch viel Zerstörung erlebt. Deswegen rückt Kaunas das Erinnern ins Zentrum seines Europäischen Kulturhauptstadtjahres.
Litauen, das im Westen an den Oblast Kaliningrad und im Südosten an Weißrussland grenzt, hat seine ganz eigene Geschichte mit Russland. Noch um 1900 war Kaunas Garnisons- und Grenzstadt des Zarenreichs, umringt von neun massiven Forts, einem Schutzwall gegen das benachbarte Preußen. Laut einer Volkszählung waren damals von über 70 000 Bewohnern rund ein Viertel Russen, ein Viertel Polen, ein Viertel Juden, sechs Prozent Litauer und vier Prozent Deutsche.
Nach dem Ersten Weltkrieg änderte sich fast alles. Die russischen Soldaten zogen ab. Die Polen kehrten in das wieder gegründete Polen zurück. Die bisher vor allem auf dem Land ansässigen Litauer strömten nach Kaunas. Aus der multiethnischen Stadt wurde eine überwiegend litauische. Im zweiten Weltkrieg wurde die Stadt von der deutschen Wehrmacht fast vier Jahre lang besetzt.
In jener Zeit wurde auch ein großer Anteil der jüdischen Bevölkerung der Stadt deportiert und ermordet. Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges stand die Stadt wie auch das gesamte Litauen unter Russischer Besatzung, bis zur singenden Revolution im Jahre 1990 und der erneuten Unabhängigkeit des Landes.
Unter dem Motto „Von der Gegenwart in die Moderne“ will man im Kulturhauptstadtjahr an Licht und Schatten einer Grenzregion erinnern, die stets um Selbstbewusstsein gerungen hat.
TV-Beitrag: Barbara Pichler-Hausegger