Republiksjubiläen 2025: Umfangreicher Ö1-Schwerpunkt

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„Gemeinsam erinnern“: ein Ö1-Oral-History-Projekt

Anlässlich des Jubiläums „80 Jahre Zweite Republik“ initiierte Ö1 das partizipative Online-Projekt „Gemeinsam erinnern“. Mit diesem Projekt lädt Ö1 dazu ein, Familiengeschichten aus der Nachkriegszeit zu erzählen und so den Erfahrungsschatz zu bergen, zu teilen und damit das kollektive Gedächtnis Österreichs über diese Zeit zu bewahren – telefonisch ist dies von 22. bis 24. April vormittags möglich oder via Upload von kurzen Audios, Videos, Texten oder Bildern unter oe1.orf.at/zweiterepublik.

An den Alltag nach 1945 können sich 2025 nur mehr wenige aus eigener Erfahrung erinnern. Was es aber gibt, sind Familiengeschichten, die von einer Generation zur anderen erzählt werden und von Müttern auf der Flucht oder von russischen Kinderliedern und amerikanischer Schokolade handeln. Um das Alltagswissen über die Zeit zwischen 1945 und 1955 hör- und sichtbar zu machen, hat Ö1 das Oral-History-Projekt „Gemeinsam erinnern“ initiiert und lädt dazu ein, diese Familiengeschichten zu teilen und so das kollektive Gedächtnis über diese Zeit zu erweitern. Die Geschichten sind dann auf der Erinnerungsplattform oe1.orf.at/zweiterepublik abrufbar.

Begleitend zur „Radiokolleg“-Reihe über „Nationbuilding“ gibt es von 22. bis 24. April jeweils von 9.00 Uhr bis 12.00 Uhr die Möglichkeit, unter der Telefonnummer 0800226979 Ö1-Redakteurinnen anzurufen – sie hören zu und nehmen die Erzählungen auf. Diese Geschichten werden ebenso in die Erinnerungsplattform eingebracht wie von Hörerinnen und Hörern hochgeladene kurze Audios, Videos, Texte oder Bilder. Gesammelt werden auf oe1.orf.at/zweiterepublik Erinnerungen in verschiedenen Kategorien wie Versorgung, Heimkehrer oder Wiederaufbau und Staatsvertrag – Geschichten, die über Generationen weitergegeben wurden und die dazu beitragen, das kollektive Gedächtnis über diese Zeit zu bewahren.

Die Ö1-Sendungen im Detail:

Montag, 14. bis Freitag, 18. April, jeweils um 15.55 Uhr
Betrifft: Geschichte: „In jeder Lebensgeschichte steckt Weltgeschichte“

Am 8. Mai 1945 ging der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende. In Österreich hielten viele Menschen ihre Erlebnisse, aber auch Ängste und Hoffnungen während dieser dramatischen Wochen schriftlich fest. Die überlieferten Schilderungen bieten ein sehr persönliches und unmittelbares Bild der Endkriegsphase aus der Perspektive von Zivilistinnen und Zivilisten: Es sind wichtige Quellen der historischen Forschung. In verschiedenen Archiven und zwei Sammlungen der Universität Wien sind viele dieser Tagebücher erhalten geblieben. „Betrifft: Geschichte“ stellt einige der größtenteils unveröffentlichten Aufzeichnungen vor: Wie verbrachten die Menschen ihre Tage und Nächte in der Zeit erbitterter Kämpfe, wie gingen sie mit ihren Ängsten und der Ungewissheit um? Wie wurde die gefährliche Flucht vor den Bombenangriffen gemeistert? Welche Erwartungen setzten sie in die Alliierten? Gab es auch Schuldgefühle? Wie erlebten Verfolgte und Gegner des Nazi-Regimes die letzten Kriegstage und welche Hoffnungen verbanden sie mit der Befreiung und einem Neubeginn? In all diesen Lebensgeschichten steckt auch Weltgeschichte.

Mittwoch, 16. April, 16.05 Uhr
Im Fokus – Religion und Ethik: „Vikarin im Widerstand“

Auf den „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland hat die evangelische Kirche in Österreich großteils mit Hakenkreuzfahnen auf Kirchtürmen und Dankgottesdiensten reagiert. Sogar Pfarrer wurden auf Adolf Hitler vereidigt. Menschen aus der evangelischen Kirche in Österreich, die sich offen gegen das NS-Regime positionierten, hat es sehr wenige gegeben. Margarete Hoffer war eine von ihnen. Die Religionslehrerin und Theologin, die in Graz aufgewachsen ist, verfasst 1935 das Buch „Evangelisches Christentum: eine kurze Hilfe für kirchliche Unterweisung“ mit. Die NSDAP warnt vor dem Buch, da es eine Grenze für den Gehorsam gegenüber dem Staat festlegt: das Wort Gottes. Margarete Hoffer zieht nach Baden-Württemberg und wird dort Vikarin auf Kriegszeit. Frauen dürfen damals noch nicht Pfarrerinnen werden. Sie werden von der Kirche aber gebraucht, um Pfarrer zu ersetzen, die in die Wehrmacht eingezogen werden. In Baden-Württemberg entstehen damals Widerstandsbewegungen rund um die sogenannte Bekennende Kirche. Eine Strömung in der evangelischen Kirche, die sich klar gegen den Einfluss der Nazi-Ideologie auf die Kirche positioniert. Margarete Hoffer, stark geprägt von Theologen der Bekennenden Kirche wie Dietrich Bonhoeffer oder Karl Barth, schließt sich der sogenannten Pfarrhauskette an. In Schwenningen, nahe der deutsch-schweizerischen Grenze, verstecken ihre Mitglieder jüdische Menschen, helfen ihnen über die Grenze zu kommen oder gefälschte Ausweise zu organisieren. Margarete Hoffer zählt zu den wenigen Menschen der österreichischen evangelischen Kirche, die dem nationalsozialistischen Regime aktiv Widerstand geleistet haben.

Montag, 21. April, 10.05 Uhr
Hörbilder Spezial: „Die Affäre Finaly. Entführt im Auftrag des Vatikan.“

1953 wurden zwei in Frankreich geborene Brüder, deren Eltern in Auschwitz ermordet worden waren, auf Befehl des Vatikans von Priestern gekidnappt und nach Spanien verschleppt. Zuvor waren sie getauft worden – gegen den Willen ihrer aus Wien stammenden Familienangehörigen, die die Kinder verzweifelt suchten. Der Skandal erschütterte und spaltete Frankreich. Einen großen Teil ihrer Kindheit verbringen Robert und Gérald Finaly, 1941 und 1942 geboren, auf der Flucht. Sie wechseln ständig den Wohnort, die Sprache und die Identität. Sie fürchten sich vor den Juden, die sie angeblich entführen wollen – dabei handelt es sich um ihre eigene Familie. Robert und Gérald sind die Kinder eines österreichischen jüdischen Ehepaares, Anni und Fritz Finaly. Diese sind auf der Flucht vor den Nationalsozialisten in Grenoble gestrandet, wo ihre Söhne auf die Welt kommen. Als 1943 Hitlers Truppen auch ins vormals freie Südfrankreich einmarschieren, verstecken Anni und Fritz ihre kleinen Söhne in einem Kinderheim. Wenig später werden die Eltern verhaftet und in Auschwitz ermordet. Robert und Gérald überleben, versteckt bei der Direktorin der Kinderkrippe von Grenoble, Antoinette Brun. Doch die Retterin wird zur Entführerin: Als die überlebenden Schwestern von Fritz Finaly ihre Neffen nach Kriegsende zu sich nehmen wollen, lässt Antoinette Brun die Kinder taufen. Dadurch sichert sie sich die Unterstützung des Vatikans, nach dessen Rechtsverständnis getaufte Kinder nicht in einer jüdischen Familie aufwachsen dürfen. Jahrelang spielt die Kirche mit der französischen Justiz Katz und Maus, ohne Rücksicht auf das Wohl der Kinder und ihrer Familie. Doch warum wollte die Retterin der Kinder diese nicht herausgeben? Wie gelang es ihr, die Justiz jahrelang auszutricksen? Warum genehmigte Papst Pius XII. die Entführung? Und wie gehen Robert und Gérald Finaly, die heute als Pensionisten in Israel leben, mit den traumatischen Erlebnissen um?

Dienstag, 22. bis Donnerstag, 24. April & Montag, 28. bis Mittwoch, 30. April, jeweils ab 9.05 Uhr
Radiokolleg Spezial: „Wie Österreich neu formiert wurde“

Nach dem Zweiten Weltkrieg stand Österreich vor der Herausforderung, „Nationbuilding“ zu betreiben. Das „Radiokolleg“ beleuchtet in sechs je knapp einstündigen Folgen, wie aus Ruinen ein neuer Staat aufgebaut wurde.

Dienstag, 22. April: „Nationbuilding in der Politik“

In der ersten Folge geht es um die Gründungsmythen, welche Rolle die Alliierten bei der Schaffung des politischen Systems spielten, was der Prozess der Entnazifizierung bewirkte und wer die geistigen Väter der Zweiten Republik waren. Die Beiträge:

„Der Geist der Lagerstraße“: Am 21. April 1945 war der Zweite Weltkrieg in Wien zu Ende, wenige Tage später in ganz Österreich. Bereits am 27. April bildete sich aus politischen Kräften, die im Untergrund, im KZ oder im Exil überlebt hatten, eine provisorische Allparteienregierung. Wer waren die Akteure auf Seiten der Alliierten und aus Österreich?

„Was hat ‚Nationbuilding‘ mit der Zweiten Republik zu tun?“: Laut Definition ist Nationenbildung ein Prozess soziopolitischer Entwicklung, der aus locker oder auch strittig verbundenen Gemeinschaften eine gemeinsame Gesellschaft mit einem ihr entsprechenden Staat werden lässt. Als das Nationalbewusstsein der Österreicher:innen erstmals 1956 erhoben wurde, glaubte weniger als die Hälfte der Befragten, dass Österreich eine eigene Nation sei. Der Historiker Oliver Rathkolb erläutert, wie sich Nationbuilding auf die Entstehung der Zweiten Republik anwenden lässt.

„Alliierter Blick auf Österreich“: Bis 1955 war Österreich in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Ein junger Staat mit einer Bevölkerung, die sich mehrheitlich als Deutsche sah. Zum Missfallen der Alliierten: Sie wünschten sich ein von Deutschland unabhängiges Österreich. Welche Bedeutung die Russen, Franzosen, Amerikaner und Engländer für das Nationbuilding hatten, beschreibt dieser Beitrag.

„Der Geist von Glasenbach“: Was tun mit den überzeugten Nationalsozialisten? Sie mussten aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Nicht nur Kriegsverbrecher, sondern Funktionsträger wie Ortsgruppenleiter, aber auch BDM-Führerinnen wurden genauso wie SSler und Angehörige der Wehrmacht im Lager Glasenbach in Salzburg und in Wolfsberg in Kärnten interniert. Das Nationalsozialistengesetz verhinderte, dass die „Belasteten“ sofort wieder an Einfluss gewannen. Welchen Einfluss hatte die Entnazifizierung auf den Prozess des Nationbuildings?

„Die guten Geister der Zweiten Republik“: Das neue Österreich musste erst neu erfunden werden. Der Sozialdemokrat Karl Renner stand ebenso an der Wiege der jungen Republik wie katholische Denker vom Rang eines Friedrich Heer oder der kommunistische Schriftsteller Ernst Fischer. Welche Gräben mussten sie überwinden und welche Werte begründen die Fundamente der Zweiten Republik?

Mittwoch, 23. April: „Nationbuilding im Alltag“

Was war die Rolle der Frauen im Prozess des Nationbuildings? Welcher Mythos steckt hinter den Trümmerfrauen? Welche Traumata bewegen die Nachkriegsgesellschaft und wirken bis heute? In Österreich herrschten nach 1945 Chaos und Elend, Flüchtlingsströme und Vertriebene bewegten sich durchs Land. Die zweite Folge beleuchtet den beschwerlichen Alltag im neu entstehenden Österreich. Die Beiträge:

„Dabei gewesen“: Wie ging es den Menschen, die in der Stadt – oft tagelang in Luftschutzkellern – ausgeharrt hatten, in den ersten Tagen und Monaten nach dem Krieg? Franz Weich (Jg. 1932) und Annie Weich (Jg. 1937), Herbert Grünwald (Jg. 1931) und andere noch lebende Zeitzeugen erinnern sich.

„Mythos Trümmerfrauen?“: Sie waren mit Schaufeln tatkräftig am Werk: Die Trümmerfrauen wurden zu einem Sinnbild des Optimismus und des Neuanfangs. War das bloß eine inszenierte Medienkampagne unfreiwilliger Helferinnen? Viele Nationalsozialistinnen wurden tatsächlich zwangsverpflichtet – und nach Klagen 1951 und später noch einmal 2005 für ihre Arbeit entschädigt.

„Kriegstraumata – Folgen der Gewalt“: Noch viele Jahre nach Kriegsende kehrten Menschen nach Österreich zurück: Soldaten aus der Gefangenschaft, Shoah-Überlebende oder politisch Verfolgte. Sie fanden ein anderes Land vor als jenes, das sie verlassen hatten. Die Familienkonstellationen hatten sich häufig verändert, die physischen wie psychischen Wunden erschwerten den Wiederanfang und belasteten die Familien über Generationen.

„Knotenpunkt für Flüchtlinge, Vertriebene und Displaced Persons“: 1945 befinden sich mehr als 1,5 Millionen Flüchtlinge, Vertriebene und Displaced Persons in Österreich. Darunter sind ehemalige Zwangs- und Fremdarbeiter, Kriegsgefangene aus Ost- und Westeuropa sowie sogenannte Volksdeutsche, ehemalige Wehrmachtsangehörige und umgesiedelte Menschen aus Südtirol. Nur eine geringe Anzahl gehört zu den Überlebenden der Konzentrations- und Arbeitslager. Ihre Versorgung und Unterbringung wird eine humanitäre Belastungsprobe für das von Zerstörung und Versorgungsengpässen gekennzeichnete Land.

„Zwischen Schwarzmarkt und Drittem Mann“: Mag auch der Film „Der Dritte Mann“ ein Fiction-Drama sein, so bildet er doch die Verhältnisse im Wien der späten 1940er Jahre gut ab. Schleichhandel und Schwarzmarkt blühten. So manche biederen Bürger wurden so zu Angehörigen einer Halbwelt.

Donnerstag, 24. April: „Nationbuilding durch Kultur“

In der dritten Folge geht es um die kulturellen Versatzstücke, aus denen die neue österreichische Identität zusammengefügt wurde. Wie wurde das neue Selbstbild inszeniert, welche Filme und Sportidole tragen dazu bei? Welche Rolle spielt das kulturelle Erbe, der Habsburg-Mythos und die US-Populärkultur und wie forcieren Medien die Umerziehung und den Prozess des Nationbuildings? Die Beiträge:

„Influencer in Uniform: Wie die US-Populärkultur nach Österreich kam“: Die Brüder Günter und Reinhold Wagnleitner, aufgewachsen im Innviertel, sind bestes Beispiel dafür, wie viel Einfluss gelungener Kulturtransfer nehmen kann. Günter wurde Jazzpianist, sein jüngerer Bruder Reinhold als Universitätsprofessor Experte für die „Coca-Colanization“, die Kulturmission der USA in Österreich.

„1955 verändert Österreich!“: Nicht nur Julius Raab auf einem Balkon drückt dem Jahr seinen Stempel auf, sondern auch die Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper und eine junge Romy Schneider auf den Kinoleinwänden.

„Inszenierung einer Nation“: 1945 steht Österreich vor der Frage nach der Identität des neuen Staates. Die Antworten sollen Medien, Sport und Kultur liefern. Rückgriffe auf die Monarchie oder Heimatfilme wie „Mariandl“ (1961) beschwören ein Österreichidyll fernab der Politik. Zahlreiche Musik- und Sportidole werden Vorbild des neuen nationalen Selbstbewusstseins. Für die notwendige kritische Reflexion sorgt das von Karl Farkas oder Georg Kreisler kultivierte jüdische Kabarett. Mosaiksteine wie diese wirken bis heute in die Selbstdarstellung Österreichs ein.

„Die Rolle der Medien“: Die Aufteilung Österreichs in vier Besatzungszonen nach Kriegsende bringt auch eine Dezentralisierung der Medienlandschaft mit sich. Das Ziel speziell der Westalliierten ist es, durch die Kontrolle von Presse, Rundfunk und der Wochenschau eine Demokratisierung und gleichzeitig Entnazifizierung im Land voranzutreiben. Nach der Wiedererlangung der Souveränität im Jahr 1955 spielen die Medien eine große Rolle bei der Ausformung einer eigenständigen österreichischen Identität.

„Re-Education und die Kulturoffensive“: Die Westalliierten und hier vor allem die USA waren besonders erfolgreich in ihren Bemühungen um die Umerziehung der Österreicher. In Camp Richie wurden Künstler und Intellektuelle wie Georg Kreisler und Marcel Prawy ausgebildet, um in Österreich kulturell zu wirken, und mit den internationalen Hochschulwochen des Österreichischen College in Alpbach wurden bedeutende Denker zumindest zeitweilig am geistigen Wiederaufbau beteiligt.

Montag, 28. April: „Nationbuilding durch Wiederaufbau“

Die Erfolgsgeschichte der Zweiten Republik ist eng mit dem Wirtschaftsaufschwung der 1950er Jahre verknüpft. Die Wiederaufbauzeit gilt als „heroische Phase“. In Folge vier geht es um den österreichischen Weg mit Marshallplan und Sozialpartnerschaft sowie den Aufbau einer Konsensdemokratie. Identitätsstiftend sind auch der Tourismus in der Alpenrepublik und die Klein- und Mittelbetriebe. Die Beiträge:

„Dabei gewesen“: Während sich Friedrich Gulda in Erdberg in einem ungeheizten Zimmer ohne Fensterscheiben auf seinen ersten internationalen Klavierwettbewerb vorbereitete (den er gewann), parzellierte die Wiener Stadtverwaltung den Heldenplatz, wo auf den kleinen Feldern Kartoffeln und anderes angebaut werden konnte. Milch holte man sich von Bauern aus dem Weinviertel. Die Bahntrasse nach Enzersfeld war nicht beschädigt und so konnte die „Versorgung“ beginnen. Bereits ab dem Sommer 1946 wurden Stadtkinder aufs Land geschickt, um aufgepäppelt zu werden.

„Der Marshallplan war eine Politik der Hoffnung“: Die Sieger haben erkannt, dass es besser ist, die Verliererstaaten aufzupäppeln, als sie darben zu lassen, wie das nach dem Ende des Ersten Weltkriegs der Fall war. „Ohne amerikanische Hilfe hätte es in der unmittelbaren Nachkriegszeit zigtausende Hungertote in Österreich gegeben“, sagt der Historiker Hans Petschar, der mit Günter Bischof ein Buch über die Auswirkungen des Marshallplans geschrieben hat.

„Der österreichische Weg“: Marshallplan, Sozialpartnerschaft und das Proporzsystem zwischen Rot und Schwarz machten den Aufbau einer Konsensdemokratie möglich. Bevor es so weit war, mussten manche Probleme gemeistert werden: Was tun mit dem schweren Erbe der Diktatur? Wie geht man mit Kriegsreparationen an die UdSSR um und was verstand man unter „deutschem Eigentum“?

„Der Tourismus bringt Wohlstand“: 36 Milliarden Euro: So viel spülte der Tourismus 2022 in die Kassen österreichischer Betriebe. Insgesamt erwirtschaften die Branchen „Fremdenverkehr und Freizeit“ 14 Prozent des heimischen Bruttoinlandsprodukts. „Urlaub bei Freunden“: Seit der Wiedererrichtung Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Tourismus – Stichwort: die Alpenrepublik als Gastgeberland – eine der tragenden Säulen österreichischer Identität.

„Das Land der Klein- und Mittelbetriebe“: Heimat bist du kleiner Firmen: 99 Prozent aller Unternehmen in Österreich sind Klein- und Mittelbetriebe. Sie bilden das Rückgrat des heimischen Wirtschaftslebens. Einige dieser KMUs sind sogar so etwas wie Bannerträger der österreichischen Identität geworden – von den Schnitten der Firma „Manner“ bis zur „Almdudler“-Limonade.

Dienstag, 29. April: „Nationbuilding – Österreich in der Welt“

Von der Welt wurde Österreich als souveräne Nation mit der Staatsvertragsunterzeichnung 1955 anerkannt. Das Nationalbewusstsein der Österreicher:innen wurde erstmals 1956 erhoben, damals glaubte weniger als die Hälfte der Befragten, dass Österreich eine eigene Nation sei. In Folge fünf geht es darum, wie sich die Zweite Republik als Ort der Begegnung positionierte und auch die Brüche und die Weiterentwicklung der nationalen Identität werden beleuchtet. Die Beiträge:

„Dabei gewesen“: Ein wenig bekannter Mitgestalter des Österreichischen Staatsvertrags war der Botschafter und damalige Kreisky-Sekretär Karl Hartl. Er steht auf dem offiziellen Foto im Belvedere in der letzten Reihe neben Rudolf Kirchschläger. Hartl war Sozialdemokrat, hatte vor dem Krieg an der bekannten „Marienthal-Studie“ über die Folgen von Arbeitslosigkeit mitgewirkt und überlebte – als Sozialdemokrat und Ehemann einer jüdischen Ärztin – die Nazizeit mit seiner Familie in einem kleinen Dorf in Frankreich, wo er Kontakt zur Résistance hatte. Sofort nach dem Krieg kehrte er nach Österreich zurück. Seine Tochter erlebte die Aufregung rund um die Unterzeichnung des Staatsvertrags im Schloss Belvedere mit. Die heute pensionierte Dolmetscherin besitzt den gesamten Nachlass ihres Vaters, darunter auch Briefe von Bundespräsident Karl Renner.

„Wir sind wieder wer“: Ein netter, harmloser Kleinstaat im Herzen Europas – dialogorientiert, neutral und mit allen gut Freund: In dieser Rolle sah sich Österreich nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags am liebsten. Die Zweite Republik präsentierte sich der Welt als Ort der Begegnung: mit der Ausrichtung des Chruschtschow-Kennedy-Gipfels 1961 zum Beispiel, oder – nach dem Bau der UNO-City – mit Wien als einem von weltweit nur vier UNO-Sitzen. In der „Ära Kreisky“ erreichte das internationale Ansehen Österreichs seinen Höhepunkt.

„Nationbuilding in Österreich: Vorbild für die Welt?“: Was lässt sich aus Regimewechsel und Aufbau der Nation auf andere Länder nach dem Zusammenbruch einer Diktatur übertragen?

„Brüche und Weiterentwicklung der nationalen Identität“: In den 1980er-Jahren gerät mit der „Affäre Waldheim“ das Bild Österreichs als Opfer des Nationalsozialismus ins Wanken. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989 wird die Rolle als neutraler Vermittler zwischen Ost und West obsolet. Die Vergangenheitsbewältigung, die Frage nach der Bedeutung der Neutralität und der Beitritt zur EU: Wie mit diesen Identitätsbrüchen umgegangen wird, das beschäftigt Österreich ebenso wie die globale Gemeinschaft. Die Zugehörigkeit zur EU gilt heute als zentraler Baustein der österreichischen Identität. Vor allem junge Menschen sehen sich als Europäerinnen und Europäer – eine Generationenfrage?

Mittwoch, 30. April: „Nationbuilding – Wer gehört dazu?“

In einer aktuellen Studie über die Geschichtsbilder zur Zweiten Republik stimmen rund acht von zehn Befragten „sehr“ zu, dass es gut ist, „dass Österreich 1945 eine demokratische Republik wurde“. Rund neun von zehn sehen Österreich als „Land mit hoher Lebensqualität“. In der sechsten Folge dieser „Radiokolleg“-Reihe geht es um Verbundenheit und Abgrenzungen. Denn Nationbuilding ist ein Prozess, der permanent im Gange ist. Die Beiträge:

„Ein exemplarisches Stück österreichischer Familiengeschichte“: Staaten verleihen die Staatsbürgerschaft nach von ihnen festgelegten Gesetzen. Jakob Steiner, geboren in Schweden und aufgewachsen in Wien, hat eine sehr altösterreichische und zugleich moderne Migrationsgeschichte. Dass er die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten könnte, ermöglichen seine Großmutter, die in Brünn geboren wurde, und sein Großvater, der nach den Nürnberger Rassegesetzen als Volljude eingestuft wurde und in die Schweiz floh.

„Die ‚Piefkes‘ und ‚wir‘“: Die Nation-Werdung Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg vollzog sich vor allem in der Abgrenzung von Deutschland. Die Verantwortung für den Nationalsozialismus überließ man gern den nördlichen Nachbarn. Das, was Friedrich Heer später den „Kampf um die österreichische Identität“ genannt hat, war ein Gemisch aus Habsburger-Nostalgie und dem Rekurs auf die Traditionen katholisch-barocker Sinnenfreude. Zentral in der nationalen Selbstvergewisserung Österreichs nach 1945 war aber vor allem die Abgrenzung von den „Piefkes“.

„Österreich – Vielvölkerstaat“: Das Gebiet des heutigen Österreich war Durchzugsgebiet, Vielvölkerterritorium, Migrationsland. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die Bevölkerungszusammensetzung nie statisch, sondern immer in Veränderung war: Wie ging und wie geht Österreich mit all den komplexen Begleitumständen, die ein Vielvölkergemisch mit sich bringen, um? Börries Kuzmany, Osteuropa-Historiker, spricht über die Rolle von Minderheiten und Zugewanderten im Prozess des Nationbuildings.

„Österreich im Umbruch. Wer wir heute sind“: So unterschiedlich die Gegebenheiten zwischen dem Bodensee im Westen und dem Neusiedlersee im Osten sein mögen, einige Entwicklungen prägen ganz Österreich ähnlich: der Wandel zur Migrationsgesellschaft, auch innerösterreichisch, die Überalterung, das Stadt-Land-Gefälle. Damit gehen gesellschaftspolitische Fragen einher, allen voran jene, wer wir heute sind und sein wollen. Zweifel daran, ob Österreich als eigenständiger, kleiner Staat funktionieren wird können, sind längst vergangen. So gesehen ist das österreichische Nationbuilding ein Erfolg, bleibt aber auch ein fortlaufender Prozess.

Mittwoch, 23. April, 16.05 Uhr
Im Fokus – Religion und Ethik: „Jehovas Zeugen im KZ“

Sie verweigerten den Hitlergruß, den Wehrdienst und jede Unterstützung der nationalsozialistischen Ideologie – ein Widerstand, der sie ihr Leben kosten konnte. Jehovas Zeugen gehörten einer religiösen Gemeinschaft an, die konsequent und auf organisierte Weise gegen das nationalsozialistische Regime Stellung bezog. Was zu massiven Repressionen führte: Viele „Zeugen“ erlebten während der Zeit des Nationalsozialismus schwere Verfolgung. Trotz Verboten und Inhaftierungen hielten sie an ihrem Glauben fest und setzten sich für ihre Überzeugungen ein. Bereits im Ersten Weltkrieg hatten einige Mitglieder der Zeugen Jehovas, damals noch als „Bibelforscher“ bekannt, den Kriegsdienst verweigert. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten verschärfte sich die Lage: Sie waren die erste Religionsgemeinschaft, die verboten und verfolgt wurde. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs spitzte sich die Situation nochmals zu: Wehrdienstverweigerung führte nun häufig zur Todesstrafe. Viele Mitglieder wurden in Konzentrationslager gebracht, u. a. nach Mauthausen, und unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten. Die „Bibelforscher“ erhielten ein lila Dreieck zur Kennzeichnung, den „Lila Winkel“. Zeugen Jehovas waren die einzigen Insassen der KZs, die sich durch eine Willenserklärung, in der sie ihrem Glauben abschworen, hätten freikaufen und so die KZs verlassen können. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Ausmaß der Verfolgung bekannt: Insgesamt wurden etwa 11.300 Menschen inhaftiert, von denen 1.490 nicht überlebten. Die Geschichten von einzelnen Gläubigen sowie der gesamten Glaubensgemeinschaft werfen ethische Fragen auf: Wie steht es in einer Gesellschaft um Toleranz, wie stark kann Gruppenzwang sein, was heißt persönliche Verantwortung und Achtung vor dem Leben und wer kann der Stimme seines/ihres Gewissens vertrauen?

Samstag, 26. April, 9.05 Uhr
Hörbilder: „Liebe ist alles! Dorothea Neff – eine mutige Schauspielerin“

Als bekannte Schauspielerin, die ihre jüdische Freundin Lilli Wolff in Wien jahrelang vor den Nazis versteckte, riskierte Dorothea Neff alles. Mit viel Mut, Opferbereitschaft und List gelang die Geheimhaltung. Von „Liebe“ ist im Zusammenhang mit Dorothea Neff allerdings nie die Rede. Homosexualität war in Österreich noch bis 1971 strafrechtlich verboten. Das Feature spürt der Beziehung der beiden Frauen in wiederentdeckten Tonaufnahmen nach und zeigt, dass Aktivistinnen und Aktivisten der heutigen LGBTIQ+-Bewegung auf den Schultern queerer Heldinnen und Helden von damals stehen. „Meine größte schauspielerische Leistung habe ich nicht am Theater vollbracht, sondern während der Jahre unter Nazi-Herrschaft“, sagt Dorothea Neff nach der Befreiung. Fast vier Jahre lang hatte sie sich verstellt, den Schein aufrechterhalten und so getan, als wäre sie nur eine Schauspielerin von vielen. In Wirklichkeit hat sie ihrer damaligen Lebensgefährtin Lilli Wolff das Leben gerettet – und damit laut Talmud der ganzen Welt. Aber auch nach der Befreiung Wiens durch die russische Rote Armee musste sich Dorothea Neff weiter verstellen. Homosexualität war in Österreich auch unter Frauen verboten und wurde weiter verfolgt. Bis heute wachsen queere Personen als geschichtslose Wesen auf, ihre Vergangenheit wurde ihnen systematisch genommen, marginalisiert, ausradiert, gelöscht. Die Akten über das Schicksal schwuler oder lesbischer NS-Opfer etwa sind in den Archiven vielfach mit dem Zusatz „Nicht von historischer Bedeutung“ gekennzeichnet, viele sind bereits vernichtet und für immer verloren. Queere Zeitzeuginnen und Zeitzeugen haben nie öffentlich über ihr Schicksal gesprochen, weil dies lange Zeit entweder strafrechtliche Verfolgung oder gesellschaftliche Ächtung bedeutet hätte. Auch Dorothea Neff hat jahrzehntelang nicht über ihre heldinnenhaften Taten gesprochen. Erst als eine Journalistin in den USA auf die Holocaust-Überlebende Lilli Wolff gestoßen ist, wurde die Geschichte öffentlich. Dorothea Neff wurde in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem zu einer „Gerechten unter den Völkern“. Die tatsächliche Beziehung der beiden Frauen während des NS-Terrors wurde allerdings weiterhin verschwiegen, unsichtbar gemacht. Erst in den vergangenen Jahren hat die Wissenschaft damit begonnen, auch queere Geschichte aufzuarbeiten und sichtbar zu machen. So erhalten queere Persönlichkeiten, Heldinnen und Helden, Opfer und viele andere, ihre Namen und ihre Gesichter zurück. Sie werden zu Vorbildern, die ihren Platz auch in der Erinnerung der Mehrheitsgesellschaft finden.

Sonntag, 27. April & Sonntag, 5. Mai, jeweils ab 7.05 Uhr
Lebenskunst – Begegnungen am Sonntagmorgen: „Auf dem Weg in ein unabhängiges, demokratisches Österreich – Die Zeitzeugen Leopold Städtler und Christine Hubka“

An die persönlich wie politisch tiefgreifenden und bahnbrechenden Ereignisse vor 80 und 70 Jahren in Österreich erinnern sich in „Lebenskunst“ zwei Zeitzeugen: in der Sendung am 27. April der 100-jährige katholische Priester, Ehrenprälat und frühere Generalvikar der Diözese Graz-Seckau, Leopold Städtler, in der Sendung am 5. Mai die 1950 in Wien geborene evangelische Pfarrerin i.R., Gefängnisseelsorgerin und Autorin Christine Hubka, die als Kind an der Hand ihrer Großmutter dabei war, als der Staatsvertrag im Wiener Belvedere unterzeichnet und im Jubel präsentiert wurde.

Montag, 28. bis Mittwoch, 30. April & Freitag, 2. Mai, jeweils um 15.55 Uhr
Betrifft: Geschichte: „Ein geschichtlicher Streifzug durch die Welt des Jazz“

Jazz entstand vor rund 120 Jahren in den US-Südstaaten aus afroamerikanischen Musikformen wie Gospel, Ragtime und Blues sowie aus europäischen Einflüssen von Marsch- bis Salonmusik. Als Epizentrum seiner Entstehung gilt New Orleans, früh war er in Großstädten wie New York und vor allem Chicago verbreitet. Jazz war der aufbegehrende, vibrierende Sound, der nach dem Ersten Weltkrieg seinen Siegeszug als Unterhaltungsmusik auch in Europa antrat, in der Swing-Ära der 1930er Jahre in den USA gar als Pop- und Tanzmusik ihrer Zeit galt. Mit ihrer Offenheit für Neues und ihrem Pioniergeist, der freien Improvisation von Rhythmen und Klängen, dem Fokus auf individualistischen Ausdruck, machte sich die innovative Musikform Jazz im 20. Jahrhundert auch viele Feinde. Jazz wurde argwöhnisch betrachtet und verboten, galt unter den Nationalsozialisten als „entartet“. Gerade deshalb wurde Jazz von Musikerinnen und Musikern sowie Liebhaberinnen und Liebhabern umso öfter mit einer widerständigen Haltung in Verbindung gebracht: Unter dem NS-Regime, im Kommunismus oder als antibürgerliche Subkultur nach dem Zweiten Weltkrieg.

Mittwoch, 30. April, 17.30 Uhr
Spielräume: „Hans Koller, die Austrian All Stars, Fatty George, Erich Kleinschuster & Co.: Jazz im Nachkriegsösterreich“

Das Ende des Zweiten Weltkriegs und der Beginn der Besatzungszeit in Österreich bedeuteten gleichsam einen doppelten Entwicklungsschub für die hiesige Jazzszene: Nicht nur konnte swingende Musik endlich wieder legal gespielt werden. Vor allem in der US-amerikanischen, aber auch in der britischen Besatzungszone wurde zudem mit den Besatzungssendern und den Soldatenclubs eine Infrastruktur geschaffen, die sich als fruchtbares Substrat für die Entwicklung hochkarätiger heimischer Jazzmusiker erwies. Nur so ist erklärbar, dass der österreichische Jazz nach dem Krieg rasch Anschluss an westeuropäisches Niveau fand – in Gestalt von Musikern wie Saxofonist Hans Koller, der nach seiner Übersiedlung nach Deutschland zu einem der bekanntesten europäischen Jazzmusiker der 1950er Jahre avancierte. Aber auch in Gestalt des Klarinettisten Fatty George, der mit seiner Two Sound Band traditionellen Dixieland- und modernen Cool Jazz in gleichermaßen hoher Qualität zu spielen wusste. Auch dass Wien mit den Austrian All Stars in den 1950ern eine Band von internationalem Format hervorbrachte, die – ohne jemals in den USA konzertiert zu haben – sogar im Critics Poll des Chicagoer Magazins „Downbeat“ an prominenter Position gereiht wurde, ist ohne den Einfluss der US-amerikanischen Besatzungsmacht nicht denkbar. Am Klavier saß in dieser Band ein gewisser Joe Zawinul, der 1959 in die USA auswanderte und von dort aus zu einem Musiker avancierte, der als Mitglied der Band von Trompeter Miles Davis wie auch mit seiner Rock-Jazz-Formation Weather Report die Jazzgeschichte mitprägte. In Graz und der Steiermark wiederum sorgten die britischen Besatzer für ein liberales, für swingende Klänge aufgeschlossenes Klima, in dem später international bekannte Musiker wie Posaunist Erich Kleinschuster und Pianist Dieter Glawischnig reifen konnten. Seinen Niederschlag fand dies zudem in der europaweit ersten Verankerung der Jazzausbildung auf universitärer Ebene – mit der Gründung des Instituts für Jazz an der damaligen Grazer Musikakademie im Jänner 1965.

Montag, 5. bis Samstag, 10. Mai, jeweils um 6.57 Uhr
Gedanken für den Tag

Die Schauspielerin Katharina Stemberger, die seit vielen Jahren das vom Mauthausen Komitee Österreich veranstaltete Fest der Freude am Wiener Heldenplatz moderiert, liest aus Reden, die österreichische Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Laufe der Jahre für dieses Gedenken verfasst haben: von Eva Menasse über Michael Köhlmeier und Peter Turrini bis zu Franz Schuh.

Montag, 5. bis Freitag, 9. Mai, jeweils um 15.55 Uhr
Betrifft: Geschichte: „Die großen Vier und Österreich“ mit Oliver Rathkolb, Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien

Während am 27. April 1945 in Wien bereits die Unabhängigkeit Österreichs durch die provisorische Staatsregierung ausgerufen wurde, gingen die Kriegshandlungen in westlichen und südlichen Teilen Österreichs bis Anfang Mai weiter. Die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches trat am 8. Mai in Kraft und beendete den Zweiten Weltkrieg in Europa. Nach der Befreiung Österreichs von der NS-Terrorherrschaft ging die staatliche Kontrolle auf die vier Siegermächte USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion über und wurde im Ersten und im Zweiten Kontrollabkommen geregelt. Mit dem Memorandum des Alliierten Rates vom 20. Oktober 1945 erkannten die Alliierten die provisorische österreichische Regierung unter Karl Renner an. Eine zentrale Aufgabe der Alliierten Kommission bestand zunächst darin, die ersten demokratischen Nationalratswahlen in Österreich nach dem Niedergang des NS-Regimes zu gewährleisten. Diese fanden am 25. November 1945 statt. Schrittweise wurde in den nächsten Jahren das Kontrollsystem der Alliierten abgebaut. Bis zur Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages am 15. Mai 1955, der am 27. Juli desselben Jahres in Kraft trat, blieb Österreich in vier Besatzungszonen aufgeteilt, wobei in Wien allein vier Sektoren und eine interalliierte Zone bestanden. Vor allem in der ersten Zeit wurden die Zonengrenzen streng überwacht, so mussten Identitätsausweis und Reiseerlaubnis beim Übertritt vorgewiesen werden. Die Bevölkerung erlebte die Zeit der alliierten Verwaltung zwischen Ost und West unterschiedlich.

Donnerstag, 8. Mai, 18.25 Uhr
Journal Panorama-Klartext: „Geraten die Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg in Vergessenheit?“

Montag, 12. bis Freitag, 16. Mai, jeweils um 15.55 Uhr
Betrifft: Geschichte: „Der österreichische Staatsvertrag“ mit Politikwissenschafter Anton Pelinka

„Der österreichische Staatsvertrag“ mit Politikwissenschafter Anton Pelinka

Nach zehn Jahren Besatzung durch die alliierten Siegermächte Großbritannien, Frankreich, USA und Sowjetunion erlangt Österreich mit der Unterzeichnung des Staatsvertrages am 15. Mai 1955 seine Souveränität, die die Republik 1938 verloren hatte. In den zehn Jahren seit 1945 wurde – erschwert durch die politischen Spannungen im „Kalten Krieg“ – verhandelt. Jahrelang verliefen die diplomatischen Gespräche erfolglos. Einen Durchbruch leitete die Berliner Außenministerkonferenz vom 25. Jänner 1954 ein, wo der österreichische Staatsvertrag explizit auf der Agenda stand. Nun war die österreichische Politik am Zug. Der Vorschlag vom 16. Februar 1954, in dem Österreich sicherheitspolitisch Bündnisfreiheit vorschlug, verbesserte die Verhandlungssituation. Der nächste Schritt zur Erlangung der Souveränität führte nach Moskau. Im Memorandum vom 15. April 1955 kam es neben einer Einigung über das unter Verwaltung der USIA stehende Eigentum in Österreich zum Abkommen über die künftige Rolle als neutraler Staat. Wichtigste Inhalte des Staatsvertrages beinhalten unter anderem das Verbot einer Vereinigung mit Deutschland und das NSDAP-Verbotsgesetz. Eine vorgesehene Klausel, die die Mitverantwortung Österreichs am Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg festschreiben sollte, wurde auf Wunsch des österreichischen Außenmisters, Leopold Figl, getilgt. Dies wurde in der jüngeren Gesichtsforschung als Beitrag zum problematischen Umgang mit der Vergangenheit Österreichs, Stichwort Opferthese, thematisiert. Im „Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich“ vom 15. Mai 1955 wurden die österreichische Souveränität und politische Unabhängigkeit festgeschrieben und erste Minderheitenrechte fixiert. Am 26. Oktober 1955 folgte der Beschluss des Bundesverfassungsgesetzes über die immerwährende Neutralität Österreichs vom Nationalrat. Darin verpflichtete sich Österreich, keinen militärischen Bündnissen beizutreten, sowie die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten nicht zuzulassen. In dieser Reihe werden Originaltöne von 1955 mit den Außenmistern der Alliierten und der ersten Radioreportage über die Präsentation des Staatsvertrages zu hören sein.

Montag, 12. Mai, 16.05 Uhr
Science Arena: „Wo warst Du am 15.5.55?“

Wer beim Festakt der Unterzeichnung des Staatsvertrages am 15. Mai 1955 dabei war, im Park des Wiener Belvedere, oder sogar im Saal – dem wird das ewig in Erinnerung bleiben. Aber kann man allen Reminiszenzen trauen? Die „Science Arena“ hat Geschichten von Menschen gesammelt, die Leopold Figl gehört haben wollen, wie er vom Balkon des Belvedere „Österreich ist frei!“ gerufen haben soll und andere, die das ganze angeblich im Fernsehen sahen. Reicht der Mix aus richtigen und falschen Rückblicken aus, um ein historisches Bewusstsein zu entwickeln? Persönliche Erinnerungen an Zäsuren wie das Kriegsende 1945, die Besatzungszeit und den Staatsvertrag überlagern oft die Vorgabe offiziöser Geschichtsschreiber, möglichst allgemein gültige Codes für Geschichtsbilder zu entwickeln.

Freitag, 30. Mai, 16.05 Uhr
Im Gespräch: „Ich wünsche mir, dass die Menschen mehr Demut entwickeln“

Millionen Menschen kennen Chris Lohner entweder direkt – als Moderatorin und Schauspielerin in zahlreichen TV- und Filmproduktionen, von eigenen Bühnen- und Kabarettauftritten oder etwa aus der legendären Krimiserie „Kottan“ – oder indirekt als Journalistin und Buchautorin. Oder aber als Stimme der Österreichischen Bundesbahnen, die seit Jahrzehnten Zugreisende hierzulande begleitet. In jungen Jahren finanzierte sich Chris Lohner, die 1943 in Wien geboren wurde, ihre Schauspielausbildung als Fotomodell in Italien, Frankreich, der Schweiz und in Deutschland und wurde ab 1973 als Sprecherin und Moderatorin in diversen ORF-Sendungen eingesetzt. Ihr Bühnendebüt erfolgte 1994 mit dem humorvollen Stück „Ein flotter Zweier“. Seither spielte sie eine ganze Reihe Solo- und Zweipersonenprogramme, etwa mit Erwin Steinhauer. Ihr, die mitten im Krieg geboren wurde, ist die entbehrungsreiche Nachkriegszeit im zerbombten Wien in guter Erinnerung. In dem 2020 erschienenen Buch „Ich bin ein Kind der Stadt“ beschreibt sie als kindliche Zeitzeugin ihre damaligen Erfahrungen, die einen krönenden Abschluss mit der Unterzeichnung des Staatsvertrages finden. Kurz vor ihrem 12. Geburtstag war sie gemeinsam mit den Eltern und Tausenden Wienerinnen und Wienern im Schlossgarten des Belvedere mit dabei.

Samstag, 31. Mai, 17.05 Uhr
Diagonal: „Berlin / New York / 1945 – Diagonal zur Ikonographie des Sieges“

1945. Mai, August. Berlin, New York. Reichstag, Times Square. Ein Banner, ein Kuss. Zwei Momente, zwei Kameras, zwei Bilder. „Diagonal“ rekonstruiert die Geschichte zweier Fotografien, die zu Jahrhundertikonen des Sieges über den Faschismus wurden. Es darf als List der Geschichte gelten, dass es gerade die Werke zweier jüdischer Fotografen waren, die zum Inbegriff des Triumphs über den Faschismus wurden und für das Ende des Zweiten Weltkriegs standen. Ihre Schöpfer hießen Jewgeni Chaldej und Alfred Eisenstaedt. Am 2. Mai 1945 fotografiert der eine die Soldaten der Roten Armee, während sie das sowjetische Banner auf dem Berliner Reichstag hissen. Sechs Tage später kapituliert die Wehrmacht. Der andere ist am 14. August 1945 mit seiner Kleinbildkamera in New York unterwegs. Während sich die Nachricht von der bevorstehenden Kapitulation Japans verbreitet, strömen Tausende auf den Times Square. In der ausgelassenen Menge gelingt ihm der Schnappschuss seines Lebens: der Kuss eines Matrosen und einer Krankenschwester. Alfred Eisenstaedt, 1935 vor den Nazis aus Deutschland geflohen, wird einer der gefeierten Fotojournalisten des 20. Jahrhunderts. Jewgeni Chaldej, der seine Mutter noch im Säuglingsalter bei einem Pogrom verliert, sieht sich nach dem Zweiten Weltkrieg antijüdischen Repressalien ausgesetzt. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts brennen sich der Reichstag und der Kuss, Eisenstaedts und Chaldejs Fotomomente, ins ikonografische Bewusstsein ganzer Generationen. Was haben diese Bilder zu erzählen? Bewegen sie auch heute noch? Und: Wer stand eigentlich vor der Linse?

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