Bestenliste Oktober
ORF

Die besten 10 im Oktober 2025

Die Jury hat aus den unzähligen Neuerscheinungen ihre Lieblingsbücher gewählt.

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Buch der Gesichter
Zsolnay

1. Marko Dinić (41 Punkte)

„Buch der Gesichter“, Zsolnay

Mit seinem Debütroman „Die guten Tage“ hat der serbische Autor Marko Dinić im Jahr 2019 einen großen Erfolg gelandet. Mit Spannung hat man seither auf seinen zweiten Roman gewartet, der nun unter dem Titel „Buch der Gesichter“ erschienen ist und prompt für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde. Dinić, der 1988 in Belgrad geboren wurde und seit seinem 21. Lebensjahr in Österreich lebt, hat sich darin viel vorgenommen: das Buch ist eine Art Wimmelbild der serbischen Geschichte des 20. Jahrhunderts und spannt einen Bogen von der Zeit der Jahrhundertwende bis hin zum Zerfall Jugoslawiens in den 1990er-Jahren. Das Herzstück des Romans bildet dabei das Jahr 1941, das heißt jenes Jahr, als die deutsche Wehrmacht in das damalige Königreich Jugoslawien einmarschierte, den Staat zerstückelte und in Belgrad eine Marionettenregierung einsetzte. Binnen kurzer Zeit wurde die jüdische Bevölkerung deportiert oder ermordet und das Land für „judenfrei“ erklärt, während der Rest in einem Bürgerkrieg zwischen Partisanen, Kollaborateuren, Ustaše und königstreuen Četniks versank. In diesem Chaos folgt der Roman der Geschichte von Isak Ras, dem womöglich letzten Juden von Belgrad, der seinerseits auf der Suche nach einem rätselhaften jüdischen Gebetsbuch ist, das seine verschwundene Mutter vor Jahrzehnten geerbt hatte. Diese sogenannte „Hagadda“ bildet den roten Faden durch die zahlreichen Handlungsstränge, Perspektiven und Zeitebenen, die sich immer mehr zu einem faszinierenden literarischen Labyrinth verdichten, durch das man sich beim Lesen begeistert seinen Weg bahnt.

Zeit der Mutigen
Kein & Aber

2. Dimitré Dinev (29 Punkte) NEU

„Zeit der Mutigen“, Kein & Aber

Als illegaler Flüchtling kam Dimitré Dinev 1990 nach Österreich, hielt sich als Student mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser, bis er, mit seinem Erstlingsroman „Engelszungen“ einen Bestseller landete. Seither ist der Autor aus der heimischen Gegenwartsliteratur nicht mehr wegzudenken. An seinem jüngsten Buch hat Dinev 13 Jahre gearbeitet: Auf mehr als 1000 Seiten erzählt „Zeit der Mutigen“ von individuellen Schicksalen im Schatten der europäischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Beginnend am Vorabend des 1. Weltkriegs, über die Wirtschaftskrise der 1920er-Jahre, den Aufstieg der Nationalsozialisten, den 2. Weltkrieg, dem kommunistischen Totalitarismus Osteuropas und seinem Nachwirken bis in die 1990er-Jahre. Was die Erzählfäden miteinander verbindet, ist die Donau, an deren Ufern die Romanhandlung über weite Strecken verortet ist. Seine Protagonisten sind Einzelgänger und Außenseiter, eigensinnig und widerspenstig und eben mutig, sei es gegenüber den autoritären Machthabern oder der Mehrheitsgesellschaft in den totalitären Regimen, in den Lagern oder im Krieg. Im Roman heißt es einmal: „Die stärkste Kraft, die wir besitzen, ist die Vorstellungskraft“. Dimitré Dinev ist in jedem Fall einer ihrer talentiertesten Beschwörer.

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Und Federn überall
Luchterhand

3. ex aequo: Nava Ebrahimi (27 Punkte) NEU

„Und Federn überall“, Luchterhand

Spätestens seit der Auszeichnung mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis im Jahr 2021 gilt die in Graz lebende Schriftstellerin Nava Ebrahimi als Fixstern der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Nun liegt der dritte Roman der iranisch-deutschen Autorin vor, mit dem sie auf der Longlist des Deutschen Buchpreises gelandet ist: „Und Federn überall“ kreist um die Frage: Wie bleiben wir menschlich, wenn das Leben immer härter wird? Dreh- und Angelpunkt des Romans ist allerdings ein Tier, und zwar das Huhn. Nava Ebrahimi schildert das Leben von Menschen in einer Kleinstadt, deren wichtigster Arbeitgeber ein Schlachtbetrieb ist. Dass die Hühnerbrust durch eine Krankheit verhärtet, sie wertlos macht, ist hier Problem und Metapher. Jeder muss Federn lassen, für sein kleines Glück kämpfen in diesem Gesellschaftsroman: Die alleinerziehende Fließbandarbeiterin. Der Manager mit weichem Kern. Der blinde Dichter aus Afghanistan. Ebrahimi erzählt einen Tag aus deren unterschiedlichen Perspektiven. Ein Roman voll feiner Ironie, geschrieben mit klarem, humanem Blick. 

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Z Y X
Matthes & Seitz

3. ex aequo: Peter Waterhouse (27 Punkte) NEU

„Z Ypsilon X“, Matthes & Seitz

Das Sich-Bewegen zwischen den Sprachen, das Über-Setzen: es prägt das Leben wie Werk von Peter Waterhouse. Er selbst ist zweisprachig aufgewachsen: mit Deutsch und Englisch. Die zweisprachige Südkärntner Gegend ist einer seiner Lebensmittelpunkte. Seine Eltern haben hier vor Jahrzehnten ein Haus erworben, der Vater war hier als britischer Offizier stationiert. Dieser historisch verwundete wie kulturell reiche Landstrich: er gibt dem jüngsten Werk von Peter Waterhouse einen Rahmen, thematisch wie formal. Ausgangspunkt von „Z Ypsilon X“ ist eine Erbschaft: Bücher der Großeltern mütterlicherseits. Von Shakespeare, Goethe, Dostojewski, Dickens, Hölderlin bis hin zu Kraus, Altenberg und vielen anderen mehr: all das haben sie gelesen. Das hat sie nicht davon abgehalten, dem Nationalsozialismus zu huldigen: der eigene Großvater wurde zu einem wichtigen Rädchen in der NS-Propagandamaschinerie. Peter Waterhouse sagt: „Sie haben alles gelesen und konnten doch nicht lesen.“ Dieses Rätsel ist die Wunde, um die dieser Text kreist. Waterhouse liest die Bücher der Großeltern wieder, auf der Suche nach Zeichen darin, nach Vermerken. Mit „Z Ypsilon X“ liegt ein Monolith der Gegenwartsliteratur vor, in dem Stille und Langsamkeit in ihrer politischen Dimension sichtbar werden.

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Chimäre
Otto Müller

5. Sarah Kuratle (20 Punkte)

„Chimäre“, Otto Müller

Durch die Zerstörung der Natur und extreme Wetterereignisse wie Waldbrände oder steigende Meeresspiegel verlieren viele Menschen ihren Lebensraum. Davon handelt der neue Roman von Sarah Kuratle - mit dem Titel „Chimäre“. Es ist der zweite Roman der in Vorarlberg geborenen Autorin. Sie hat bereits mehrere literarische Auszeichnungen erhalten. Sarah Kuratles neuer Roman handelt von einer Forschungsstation in der Natur: Dort kämpfen Wissenschaftler verzweifelt gegen das Artensterben. Doch deren Pflanzenstudien bringen sie nicht weiter. Zunehmend zerbrechen die Teammitglieder an ihrem Vorhaben. Kuratle erzählt von vertriebenen Menschen, die wegen zunehmender Naturzerstörung ihren Heimatraum verlieren. Ein dystopisches Setting, das gleichzeitig erschreckend nahe an der Jetztzeit ist. Märchenhaft und mit sprachlicher Nähe zur Lyrik zeigt „Chimäre“, wie untrennbar der Mensch mit der Natur verbunden ist.

Wenn du es heimlich machen willst
Luchterhand

6. ex aequo: Anna Maschik (18 Punkte) NEU

„Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten“, Luchterhand

Selten gelingt jungen Autorinnen und Autoren mit dem ersten Roman gleich ein erfolgsversprechendes Debüt. Die junge Wiener Lehrerin Anna Maschik aber hat mit ihrem Erstling eine ebenso inhaltlich wie formal beeindruckende Familiengeschichte vorgelegt, mit dem geheimnisvollen, scheinbar mordlustigen Titel: „Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten“. Anna Maschiks Roman ist jedoch nicht blutrünstig, sondern poetisch und hart: sie seziert eine Familie über vier Generationen, ausgehend von einem Bauernhof in der Nazi-Zeit: der Titel „Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten“ ist auch der erste Satz. Er bezieht sich auf die Praxis des „Schwarzschlachtens“, also behördlich nicht erlaubtes Schlachten von Nutztieren, bei dem bevorzugt die anscheinend geräuschlos und damit unauffällig sterbenden Schafe getötet wurden. Es geht um wortkarge Menschen, die alles anders machen wollen als ihre Vorfahren und deren Lebenswege doch vorgezeichnet sind: um verletzte Verwandte, die sich in Möbel und Pflanzen verwandeln. Ein Roman voller Magie - und voller Auslassungen, denn Maschik setzt stilistisch bewusst auf das Fragmentarische und Lückenhafte. 

Der Hase im Mond
Wagenbach

6. ex aequo: Milena Michiko Flašar (18 Punkte) NEU

„Der Hase im Mond“, Wagenbach

Die Autorin Milena Michiko Flašar ist als Kind zweier Kulturen aufgewachsen: Mit einer japanischen Mutter und einem österreichischen Vater verbrachte sie ihre Schulzeit in Niederösterreich, später studierte sie in Wien und Berlin. Wie stark die Sprache und Kultur Japans ihre Literatur prägen, zeigt auch ihr jüngstes Buch „Der Hase im Mond“, eine Sammlung von Kurzgeschichten. Darin entfaltet Flašar zarte, leise und zugleich scharf beobachtete Miniaturen über Einsamkeit, Nähe und das flüchtige Glück. Immer wieder verwebt sie europäische Erzähltradition mit Elementen der japanischen Literatur: poetische Verdichtung, das Spiel mit Andeutungen und eine fantastische Erzählweise, in der Alltägliches plötzlich ins Traumhafte kippt. So entstehen Geschichten, die scheinbar unscheinbare Momente in den Mittelpunkt rücken – und ihnen eine stille, fast magische Größe verleihen.

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Die echtere Wahrheit
Klett-Cotta

8. Raphaela Edelbauer (14 Punkte)

„Die echtere Wirklichkeit“, Klett-Cotta

Der Umgang mit Fakten und wie leichtfertig mit offensichtlichen Unwahrheiten Politik zu machen versucht wird, ist uns seit einigen Jahren sehr bewusst geworden. Und seither diskutieren viele, wie Lügen ausgeschildert und wirkungslos gemacht werden können. Die österreichische Autorin Raphaela Edelbauer beschäftigt sich damit in ihrem neuen Roman „Die echtere Wirklichkeit“. Edelbauer ist Spezialistin für brennende Zeitfragen und fantastische Überhöhung. Mit ihrem Debüt „Das flüssige Land“ und ganz besonders mit dem Science-Fiction-Digitalisierungs-Epos „Dave“ hat die Autorin Raphaela Edelbauer die Kritik und das Publikum elektrisiert und zahlreiche Preise eingeheimst. Im Zentrum ihrer spannungsgeladenen Romane steht stets ein philosophisches Problem, das die studierte Philosophin literarisch – und höchst unterhaltsam – erörtert. In „Die echtere Wirklichkeit“ geht es um das Thema der Wahrheit: eine philosophische Aktivisten-Gruppe führt darin einen erbitterten Kampf gegen Fake News und Verschwörungstheorien, und es geht um die Frage: Gibt es die „absolute Wahrheit“ überhaupt? Oder nur Meinungen?  Niemandem ist zu trauen in dieser Mischung aus Krimi, Satire und Geschichte der Wahrheits-Philosophie. Lügen ist kein Kavaliersdelikt, zeigt Edelbauer in „Die echtere Wirklichkeit“ - das wird am Ende des Romans auch blutiger Ernst.

unten leben
droschl

9. Gustavo Faverón Patriau (12 Punkte)

„Unten leben“, Droschl
Übersetzung: Manfred Gmeiner

Der peruanische Schriftsteller Gustavo Faverón Patriau ist im deutschsprachigen Raum noch ein unbeschriebenes Blatt. 1966 in Lima geboren, hat er an der renommierten Cornell University in Ithaca promoviert und ist nun Professor für lateinamerikanische Literatur in Maine. Sein 2020 erschienener Roman „Unten leben“ wurde von der Kritik als „Meilenstein der lateinamerikanischen Literatur des 21. Jahrhunderts“ gewürdigt und ist eine Mischung aus Schelmenroman, Horror-Story und historischem Epos. Faverón Patriau greift darin die Geschichte des sogenannten „Sendero Luminoso“ auf, einer maoistisch ausgerichteten peruanischen Guerilla-Gruppe, die das Land ab den 1980er Jahren nach dem Vorbild der chinesischen Volksrepublik umgestalten wollte und dafür in den Untergrundkampf ging. 10 Jahre sollte Peru in bürgerkriegsähnlichen Zuständen versinken, insgesamt 70.000 Menschen starben, vorwiegend Angehörige der indigenen Bevölkerung. Faverón Patriaus Roman setzt an jenem Tag ein, an dem der Anführer der Terror-Gruppe verhaftet wurde – und der amerikanische Filmemacher George Benett in einem dunklen Keller einen brutalen Mord begeht. Bis dieses seltsame Verbrechen verständlich wird, spult der Roman zunächst 25 Jahre zurück und dann 25 Jahre nach vorn – und führt uns durch ein zwielichtiges Labyrinth aus Katakomben, Irrenanstalten und internationalen Gefängnissen.  

Die Holländerinnen
Hanser

10. Dorothee Elmiger (11 Punkte) NEU

„Die Holländerinnen“, Hanser

Seit ihrer Teilnahme beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb im Jahr 2010 zählt die 1985 geborene Dorothee Elmiger zu den spannendsten Stimmen der jüngeren Schweizer Literatur. Vier Romane hat Elmiger bislang vorgelegt, 2020 wurde „Aus der Zuckerfabrik“ auf die Shortlist des Deutschen als auch des Schweizer Buchpreises gesetzt, auch ihr neuer Roman „Die Holländerinnen“ befindet sich auf den Shortlists beider Buchpreise und wurde von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bereits jetzt zum „besten Roman des Bücherherbsts“ gekürt. Im Zentrum des Romans steht das Verschwinden zweier Holländerinnen im lateinamerikanischen Dschungel. Dem rätselhaften Schicksal der beiden Frauen möchte ein Theaterregisseur nachspüren und begibt sich mit einem mehrköpfigen Team hinein in den dunklen Urwald. Mit dabei: die Erzählerin der Geschichte, eine namhafte Schriftstellerin, die die ganze Expedition dokumentieren soll. Der Regisseur treibt die Crew trotz Widerstände immer tiefer und tiefer in den Wald, sein Vorhaben entpuppt sich dabei als weniger von Empathie, sondern von Größenwahn getrieben, denn er scheint mit dem Projekt in Wahrheit in die Fußstapfen von Künstlern wie Werner Herzog und Francis Ford Coppola treten zu wollen. Mittels einer fragmentarischen und ebenso komplexen wie faszinierenden Erzählstruktur lotet Dorothee Elmiger in „Die Holländerinnen“ die Abgründe der menschlichen Existenz aus.

 

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