Bestenliste_märz
ORF

Die besten 10 im März 2025

Die Jury hat aus den unzähligen Neuerscheinungen ihre Lieblingsbücher gewählt.

Werbung Werbung schließen
Es werden schöne Tage kommen
dtv

1. Zach Williams (42 Punkte) NEU

Es werden schöne Tage kommen“, dtv
Übersetzung: Bettina Abarbanell und Clemens J. Setz

In den USA gilt Zach Williams als die Entdeckung der letzten Jahre. Zwar ist der 1978 geborene Williams gewissermaßen ein Spätzünder – mit über 40 veröffentlichte er seinen ersten Text – seither geht es mit seiner Karriere jedoch steil bergauf. Er veröffentlichte Kurzgeschichten in den renommierten Zeitschriften „Paris Review“ und „The New Yorker“, 2024 erschien schließlich sein erster Erzählband. „Es werden schöne Tage kommen“ hat am amerikanischen Buchmarkt einen regelrechten Hype ausgelöst, auch, weil der ehemalige US-Präsident Barack Obama das Buch auf seine „Summer Reading List“ gesetzt hat. Die deutsche Übersetzung von Clemens Setz und Bettina Abarbanell sorgt im deutschsprachigen Feuilleton für nicht weniger Euphorie. Im Zentrum von Williams‘ Geschichten steht das Unheimliche: der scheinbar normale Alltag seiner Figuren wird durch groteske Ereignisse gestört, sie werden durch seltsame Situationen aus ihren vertrauten Bahnen geworfen. Da wächst etwa einem Kind ein zusätzlicher Zeh und der Vater verliert sich in Selbstvorwürfen. Ein andres Kind hört einfach auf zu altern, während der Rest der Familie dem Zahn der Zeit ausgesetzt bleibt. Einige Figuren finden sich plötzlich in dystopischen Szenarien wieder, wie einem leeren Bürokomplex, um den herum ein Schneesturm tobt. Überall lauert eine diffuse Gefahr, ein nicht klar zu benennbares Unbehagen zieht sich durch alle Geschichten, einzig der absurde Witz der Erzählungen bringt Erleichterung. Ein fulminantes Debüt, mit dem Williams einerseits unsere immer skurriler werdende Gegenwart einfängt und sich gleichzeitig in eine Tradition einreiht, die von E. T. A. Hoffmann bis David Lynch reicht.

Die letzten Tage
Jung und Jung

2. Martin Prinz (28 Punkte) NEU

Die letzten Tage“, Jung und Jung

Heuer jährt sich das Ende des 2. Weltkriegs zum 80. Mal. Die letzten Wochen des sogenannten Dritten Reichs waren bekanntlich von Chaos und Gewaltexzessen geprägt. Mit einem dieser sogenannten „Endphaseverbrechen“ hat sich der österreichische Autor Martin Prinz in seinem neuen Roman „Die letzten Tage“ beschäftigt. Die Hauptrolle spielt dabei ein Aktenberg aus dem Wiener Stadt und Landesarchiv: Akribisch ist darin der Prozess gegen Johann Braun, den NSDAP-Kreisleiter Neunkirchen, dokumentiert. Im April 1945 errichtete dieser in der Region Rax/Schneeberg ein Standgericht, als dessen selbsternannter Richter er insgesamt 29 Menschen exekutieren ließ. Willkürlich entschied der gelernte Bäcker-Gehilfe mit seinen Schergen über Leben und Tod, machte Jagd auf Fahnenflüchtige und sonstige politisch unliebsame Personen – und dass, während die russische Armee stündlich vorrückte und sich der Untergang des deutschen Reichs überdeutlich abzeichnete. Bewusst hat Prinz die Geschichte nah an den historischen Gerichtsakten erzählt, um so die Sprache, mit der die Täter ihr Vorgehen rechtfertigen, vorzuführen. Der Roman zeigt eindrücklich, wie sich diese in Passivkonstruktionen und Konjunktiven versuchen aus der Verantwortung zu ziehen und bis zuletzt überzeugt davon sind, bloß ihre Pflicht getan zu haben.

Mehr dazu auf sound.orf.at

Halbe Leben
Zsolnay

3. Susanne Gregor (21 Punkte)

Halbe Leben“, Zsolnay

Sie hat als Kind mit ihren Eltern die Slowakei im Jahr 1989 verlassen und ist nach Österreich gekommen. Heute zählt Susanne Gregor, neben Zdenka Becker, zu den prominentesten Vertreterinnen der österreichisch-slowakischen Literatur. Ausgehend von ihrer eigenen Migrationserfahrung setzt sich Gregor mit dem Fremdsein, dem Ankommen, dem Neuanfang auseinander. Das akribische Studium zwischenmenschlicher Beziehungen markiert das Herz ihrer Literatur: anhand von sorgfältig gestalteten Figurenkonstellationen gelingt es ihr, grundsätzliche Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu verhandeln. In ihrem neuen Roman „Halbe Leben“ nimmt sich Susanne Gregor eines der dringlichsten Themen unserer Zeit an: der Pflege. Im Zentrum stehen zwei Frauen: Klara, die mit Job, Familie und der Pflege ihrer kranken Mutter fast auf ein Burnout zugerast wäre. Und Paulína, die von Klara als Pflegerin für ihre Mutter eingestellt wurde und so ihre Familie in der Slowakei ernährt. Das Verhältnis der beiden ist von Dankbarkeit und Anerkennung geprägt, gleichzeitig: von radikaler Ungleichheit. Ein ebenso berührender wie scharfsinniger Roman, der nicht auf ein Urteil, sondern einen Verständnisprozess abzielt. 

Hundert Wörter
Zsolnay

4. Franzobel (17 Punkte) NEU

Hundert Wörter für Schnee“, Zsolnay

Historische Stoffe mit zeitgenössischem Witz erzählen: seit „Das Floss der Medusa“ ist diese Methode zum Markenzeichen des österreichischen Autors Franzobel geworden. Sein neuer Roman „100 Wörter für Schnee“ kreist um das Aufeinandertreffen der amerikanischen Nordpoleroberern mit den Inuit, Hauptschauplatz: Grönland. Hierhin bricht der Polarforscher Robert Peary ab 1886 immer wieder auf, um als erster Mensch den Pol zu erreichen – ein Vorhaben, dass bei den grönländischen Ureinwohnern auf gänzliches Unverständnis stößt. Nach einem gescheiterten Eroberungsversuch gelingt es Peary eine Gruppe von Inuit dafür zu begeistern, ihm in die USA zu folgen, unter ihnen: der 7-jährige Minik. Nachdem die erwachsenen Grönländer rasch von Grippe-Viren getötet werden, wird Minik von einer amerikanischen Familie adoptiert. In einer wilden Mischung aus Fantasie und historischer Detailtreue erzählt Franzobel die Geschichte dieses Kulturschocks und führt dabei die Arroganz des Westen gegenüber den vermeintlichen „Wilden“ genussvoll vor.

Wild
dtv

5. Julia Schoch (15 Punkte) NEU

Wild nach einem wilden Traum“, dtv

Als „Virtuosin des Erinnerungserzählens“ (FAZ) und „Spezialistin im Sezieren von Beziehungen“ (Standard) gilt die deutsche Schriftstellerin Julia Schoch nicht erst seit kurzem. Mit klug komponierten Romanen und Erzählungen, oftmals vor dem Hintergrund der DDR-Vergangenheit, zieht sie Leserschaft und Kritik in den Bann. Nun erscheint der letzte Teil ihrer Trilogie „Biografie einer Frau“, in dem sie sich der körperlichen Leidenschaft und dem Versuch widmet, sie schreibend festzuhalten. Liebe als die intensivste Lebenserfahrung, die Erinnerung strukturiert – davon handeln auch die Vorgängerbände. Nachdem Schoch in „Liebespaar des Jahrhunderts“, die Erzählbarkeit von dauerhafter Liebe, genauer einer 30jährigen Ehe erprobt, unternimmt sie im jüngsten Roman den Gegenentwurf: „Wild nach einem wilden Traum“ führt die Ich-Erzählerin als Stipendiatin für einige Monate in eine Künstlerkolonie unweit von New York und mitten hinein in eine Affäre mit einem katalanischen Autor. Dem Genre der Autofiktion aus weiblicher Perspektive, ähnlich einer Literatur von Annie Ernaux, hat Julia Schoch ein weiteres geglücktes Beispiel hinzugefügt.

Mehr dazu auf sound.orf.at

Unter dem Nussbaum
Matthes & Seitz

6. ex aequo: Michael Donhauser (14 Punkte) NEU

Unter dem Nussbaum“, Matthes & Seitz

Seit bald vierzig Jahren arbeitet der in Liechtenstein geborene und in Wien lebende österreichische Autor Michael Donhauser an seinem der poetischen Wahrnehmung verpflichteten Oeuvre. Der neue Band „Unter dem Nussbaum“ versammelt auf 500 Seiten seine bisher erschienenen Gedichte und kurzen Prosatexte. Dem ist bisher Unveröffentlichtes beigefügt. Damit wird die poetische Entwicklung der letzten Jahrzehnte des mehrfach prämierten Autors und Übersetzers französischer Literatur nachlesbar. Natur ist die wiederkehrende Konstante in Donhausers Gedichten, doch wird sie weder als Symbol noch als Projektionsfläche eingesetzt. „Meist ist es eine im Gehen wahrgenommene, bewegte Natur, und sie initiiert eine sprachliche Bewegung. Wenn diese Gedichte etwas lehren, dann ist es das genaue Hinsehen“, schreibt etwa Cornelius Hell in der Presse. Sprachlich verdichtete Prosa, Variationen von Sonetten, oder aber von Haikus inspirierte „Dreizeiler“ finden sich neben anderen Formerkundungen in diesem Sammelband, der eine eingehende Beschäftigung verdient hat.

Midlife-Prosa
Engeler

6. ex aequo: Mara Genschel (14 Punkte) NEU

Midlife-Prosa“, Engeler

Mit ihrem Auftritt bei den „Tagen der deutschsprachigen Literatur“, besser bekannt als „Bachmannpreis“, hat Mara Genschel 2022 für viel Aufsehen gesorgt. Zwar ging die 1982 in Bonn geborene Autorin ohne Preis nach Hause, aber ihre Lesung – mit Schnurrbart und amerikanischem Akzent – brach mit den seriösen Gepflogenheiten des Wettbewerbs und ließ die Jury tagelang über die Grenzen des Performativen diskutieren. „Midlife Prosa“ heißt ihr neuer Erzählband und natürlich ist man sofort gewillt das Buch mit diversen Mittvierziger-Lebenskrisen in Verbindung zu bringen. Tatsächlich kreisen die insgesamt 9 Erzählungen allesamt um eine Autorin, die mit Mara Genschel viel gemeinsam zu haben scheint. Autobiographisch kann man die Texte jedoch nicht nennen, vielmehr nimmt die Autorin das Genre auf die Schippe. Sie konfrontiert eine Person, die mal Martha Gescheul heißt, mal namenlos bleibt, mit den Widrigkeiten eines Autorinnen-Lebens, und das mit absurdem Witz und einer großen Portion Selbstironie. Etwa, wenn sie als sogenannte „Parlamentspoetin“ champagnerschlürfend mit der E-Limousine in den Bundestag gefahren wird und sich unerwartete Hindernisse auftun.

Schnee von gestern
Suhrkamp

8. Peter Handke (13 Punkte)

Schnee von gestern, Schnee von morgen“, Suhrkamp

An die 100 Bücher hat Peter Handke bislang geschrieben, und diesem Ruf als Vielschreiber bleibt der Literaturnobelpreisträger auch jenseits des 80. Lebensjahrs treu. Erst vor knapp einem Jahr ist „Die Ballade des letzten Gastes“ erschienen, nun liegt wieder ein neues Buch vor. „Schnee von gestern, Schnee von morgen“ heißt der rund 70 Seiten umfassende Text, der als Bühnenstück für einen Sprecher ausgewiesen wird und sich perfekt in das Spätwerk des großen Autors eingliedert. Geschichten im eigentlichen Sinne hat dieser zuletzt nämlich nicht mehr geschrieben, vielmehr waren die jüngsten Veröffentlichungen Zwiegespräche mit sich selbst. Auch „Schnee von gestern, Schnee von morgen“ ist im Grunde genommen eine sich immer wieder selbst befragende und hinterfragende Betrachtung der Weltlage, von Klimakrise über Identitätspolitik bis hin zu Rechtspopulisten, aber eben in Handke’scher Manier: „Ihr Schreier schreit, weil ihr euch durchschwindeln wollt, und ihr Flüsterer flüstert, weil ihr euch durchgeschwindelt habt – für den Moment.“ Dabei zeigt sich Peter Handke von seiner schelmischen Seite, blödelt mit Wörtern und Redewendungen und stellt auch seine Fähigkeit zur Selbstironie unter Beweis, etwa wenn die Frage „Wozu bin ich geboren?“ mit „Zum Haselstockschnitzer“ beantwortet wird.

Mehr auf oe1.orf.at

Schuldhafte Unwissenheit
Czernin

9. Karl-Markus Gauß (12 Punkte) NEU

Schuldhafte Unwissenheit“, Czernin

Der österreichische Schriftsteller und Publizist Karl-Markus Gauß hat sich in den letzten Jahrzehnten ein großes Publikum und viel Renommee erschrieben: er kennt die Minderheiten Europas wie kein anderer, hat sich stets auch mit jüdischer Kultur und Geschichte beschäftigt. In seinem jüngsten Buch steht die Auseinandersetzung mit dem grassierenden Antisemitismus im Zentrum. Seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7.Oktober 2023 ist dieser weltweit massiv gestiegen, auch hierzulande. In „Schuldhafte Unwissenheit“ geht Karl-Markus Gauß den Ursachen nach und stellt die These auf, dass nichts so sehr den Hass anstachelt, wie der Anblick jüdischer Opfer. Mit den pro-palästinensischen Protesten auf unterschiedlichsten Universitäten weltweit geht Karl-Markus Gauß hart ins Gericht: dabei betont er, dass er die Kritik an der gegenwärtigen rechtsreligiösen israelischen Regierung, ihrer Politik und ihrem Vorgehen für richtig und wichtig hält; darüber hinaus: dass er die Hamas nicht mit der palästinensischen Bevölkerung gleichsetzt. „Schuldhafte Unwissenheit“ ist ein zorniges Buch, zugleich eines, das uns leidenschaftlich dazu auffordert, zu differenzieren statt zu simplifizieren.

Mehr dazu auf oe1.orf.at

Herzflorett
Luchterhand

10. ex aequo: Marica Bodrožić (11 Punkte)

Das Herzflorett“, Luchterhand

Marica Bodrožić fügt mit ihrem Roman „Das Herzflorett“ ihrem autobiographisch genährten Werk eine weitere, sprachlich wie inhaltlich von großer Dringlichkeit zeugende Spielart hinzu. Erzählt wird in „Das Herzflorett“ von einem Mädchen, das sich von seiner Herkunft emanzipiert und diese doch tief in sich trägt: im Guten wie im Schlechten. Pepsi, so heißt die Hauptfigur, hat Eltern, die in Hessen arbeiten, sie selbst wächst in Dalmatien, bei ihrem Großvater auf. Auch andere Verwandten kommen ins Spiel, gemeinsam ist allen: das Mädchen wird behandelt wie eine Fremde. Schließlich wird sie von ihren Eltern nach Deutschland geholt, das lange Zeit ihr Traum war. Die Realität: der Vater Alkoholiker, die Mutter eine vom Leben hart gewordene Frau. Und doch gelingt es dem Mädchen die ihr von ihrer Familie gesetzten Grenzen zu überwinden. Das Beschwören der Möglichkeit, Unglück mittels Sprache, mittels Literatur zu überwinden, ist auch in diesem Text, wie im gesamten Werk Marica Bodrožićs, von zentraler Bedeutung. Ein Hohelied auf das Leben, ein Hohelied auf die Kraft der Literatur.

Gesammelte Gedichte
Suhrkamp

10. ex aequo: Friederike Mayröcker (11 Punkte)

"Gesammelte Gedichte 2004–2021", Suhrkamp

Mindestens 120 Jahre alt wollte sie werden: die österreichische Schriftstellerin Friederike Mayröcker. Am 20.12. wäre die 2021 verstorbene Dichterin 100 Jahre alt geworden. Ihr Werk umfasst Tausende Seiten und zählt zum Eigensinnigsten und Gewichtigsten des 20. Jahrhunderts. Jetzt ist ein neues Buch erschienen, das ihre Gedichte der Jahre 2004-2021 zusammenfasst. Leben und Schreiben waren im Falle Mayröckers stets aufs Engste miteinander verwoben. Eine sehr grundlegende Rebellion prägt ihr Schreiben von Beginn an, das kommt auch in ihren Gedichten zum Ausdruck. An diesem soeben erschienenen Band kann man auch die besondere Gattung gut studieren, die Friederike Mayröcker ersonnen hat, in der Prosa, Lyrik und poetologische Reflexion verschmelzen. Auch ihre nicht zu bändigende Liebe zum Leben, an dem sie hing bis zuletzt, wird darin sichtbar. In einem der Gedichte ist zu lesen: „ich weidete in Poesie nämlich ich war nicht v. dieser Welt.“

  

Link: