Bestenlisten-Plakat
ORF

Die besten 10 im April 2024

Die Jury hat aus den unzähligen Neuerscheinungen ihre Lieblingsbücher gewählt.

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Zitronen
Suhrkamp

1. Valerie Fritsch (38 Punkte)

„Zitronen“, Suhrkamp

2015 hat die damals gerade einmal 25-jährige Valerie Fritsch mit ihrem Weltuntergangs-Roman „Winters Garten“ einen weitreichenden Erfolg gelandet. Heute ist Fritsch eine fixe Größe in der deutschsprachigen Literatur. In ihren Büchern arbeitet sie sich oft an schwierigen Familienkonstellationen ab, so auch im neuen Roman „Zitronen“. Alles dreht sich darin um eine perfide Art des Kindesmissbrauchs, dem Münchhausen-Stellvertretersyndrom. Zu rund 95% Prozent handelt es sich bei den Tätern um Frauen, meist die leiblichen Mütter der Opfer, die ihre Kinder gezielt krank machen, um sich nach außen hin aufopfernd um sie zu kümmern. Die Täterin in Fritschs Roman ist eine gescheiterte Frau, die immer davon träumt, jemand anderer zu sein als sie selbst. Dem Opfer, ihrem Sohn, gelingt es sich aus dieser grausamen Zärtlichkeit zu lösen. Auf sich allein gestellt steht er vor der Aufgabe, den Scherben seiner Existenz zu entwachsen.  

Mehr dazu auf FM4.orf.at

Karawanken
Suhrkamp

2. Julia Jost (22 Punkte)

"Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht", Suhrkamp

Julia Jost wird momentan als vielversprechendste neue Stimme der heimischen Literaturszene gehandelt. 2019 trat die gebürtige Kärntnerin beim Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt an und wurde mit dem Kelag-Preis ausgezeichnet. Aus dem Text, den sie dort las, ist nun ihr Debut „Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht“ entstanden, veröffentlicht im renommierten Suhrkamp-Verlag. Mit dem Roman stellt sich Jost klar in die Tradition der Anti-Heimat-Literatur und findet dabei doch einen ganz eigenen, erfrischend heiter-ironischen Ton. Ausgehend von ihrer eigenen Kindheit im Kärnten der 80er und 90er Jahre entfaltet die Autorin eine genussvoll überzeichnete, grotesk-komische Dorfwelt: Stammtisch, NS-Verherrlichung, Freunderlwirtschaft. Auch alte Bekannte aus der Kärntner Polit-Elite sind unschwer zu erkennen. Doch den Roman auf diese politische Dimension zu reduzieren, wäre verfehlt. Im Zentrum steht die gewitzt-boshafte Sprache einer Autorin, von der man noch viel hören wird.

Mehr dazu auf Ö1.orf.at

Schiff aus Stein
Zsolnay

3. Karl-Markus Gauß (17 Punkte) NEU

„Schiff aus Stein“, Zsolnay

Ein würdiges Leben, ohne den Blick in den Abgrund zu wagen, das ist nicht möglich - so lautet das Credo des in Salzburg lebenden Schriftstellers Karl-Markus Gauß. Er hat sich vor allem als scharfzüngiger Kommentator der Tagespolitik und als bis an die Ränder Europas reisender Autor einen Namen gemacht. Im Mai feiert Gauß seinen 70. Geburtstag, dem er ein neues Buch vorwegschickt: „Schiff aus Stein“. Darin widmet er sich vorwiegend den Schönheiten des Alltäglichen. Er durchquert entlegene Ortschaften, spürt vergangenen Träumen nach und erinnert sich an Zufallsbegegnungen. Von Kaffeehausszenen, U-Bahn-Begegnungen, Friedhofsträumen, und Erkundungen wenig bekannter Orte, etwa in der Obersteiermark oder entlang der Küste Dalmatiens erzählen die Miniaturen im Buch. Gauß' Kunst besteht im Sichtbarmachen der oftmals unsichtbaren Besonderheiten des Lebens.

James
Hanser

4. Percival Everett (14 Punkte) NEU

James“, Hanser
Übersetzung: Nikolaus Stingl

Gemeinsam mit Autoren wie Colson Whitehead zählt Percival Everett zu den wichtigsten zeitgenössischen Stimmen der afroamerikanischen Literatur. Everett, 1956 in Georgia geboren, ist Englisch-Professor an der renommierten University of Southern California. In seinem neuen Roman „James“ wagt er nicht weniger als die Umschreibung eines der zentralen Werke des US-amerikanischen Literaturkanons: Mark Twains „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“. Zur Erinnerung: im Original begeben sich der gesellschaftliche Außenseiter Huck Finn und der rechtlose Sklave Jim auf eine Flussreise den Mississippi hinab. Twain nutzte diese Odyssee, um ein kritisches Porträt der amerikanischen Gesellschaft Mitte des 19. Jahrhunderts zu zeichnen. In Everetts Bearbeitung des Stoffs erzählt jedoch nicht Huck, sondern Jim - der sich selbst lieber „James“ nennt. Der Plot folgt über weite Strecken dem des Originals, doch durch den anderen Blick ergeben sich zwangsläufig neue Perspektiven. James ist ein Sklave, der sich selbst das Lesen und Schreiben beigebracht hat, doch er ist zu klug, um diese Kunst seinen weißen Peinigern vorzuführen. Stattdessen spielt er den Dummen, um sich dadurch fintenreich aus jeder noch so misslichen Lage zu befreien. Aus dem Opfer wird ein gewitzter Schelm, der die sich überlegen fühlenden Weißen vorführt, ohne, dass sie es merken. Ein grandioser, emanzipatorischer Abenteuerroman.

Mehr dazu auf topos.orf.at

Flirren
Droschl

5. ex aequo: Helwig Brunner (12 Punkte) NEU

Flirren“, Droschl

Je omnipräsenter der Klimawandel in unserer Gesellschaft wird, umso tiefer schreibt er sich in die Literatur ein: „Climate Fiction“ ist längst zum Genre der Stunde geworden. Und tatsächlich kann der Roman auf diesem Gebiet seine großen Stärken unter Beweis stellen: Dystopien und Utopien, Gedankenexperimente, Zukunftsvisionen – im Roman kann all das minutiös auserzählt werden. In diese Kerbe schlägt auch der Roman „Flirren“ des österreichischen Autors Helwig Brunner, der durch seinen beruflichen Hintergrund als Ökologe für das Genre prädestiniert ist. Die Handlung spielt im 25. Jahrhundert: nukleare Katastrophen, Klimawandel – der Planet Erde ist nahezu unbewohnbar geworden. Überall herrscht sengende Hitze, Wasser ist absolute Mangelware geworden. Menschliches Leben findet man nur noch in sogenannten „Human Arealen“, die durch dickes Glas von der unwirtlichen Außenwelt abgeschottet sind. In einem solchen lebt Leonard: Er ist Vergangenheitsforscher und untersucht im Auftrag eines mächtigen Überwachungsstaats das „Hoffnungszeitalter“ des 20. und 21. Jahrhunderts. Auf welche Hoffnungen baute man damals? Wo lagen die größten Versäumnisse der damaligen Gesellschaft? Mit „Flirren“ hat Helwig Brunner eine eindringliche literarische Warnung verfasst, die allen voran durch das profunde Fachwissen des Autors glänzt.

Lichtungen
Klett-Cotta

5. ex aequo: Iris Wolff (12 Punkte)

„Lichtungen“, Klett-Cotta

Mit dem vielgelobten Roman „Die Unschärfe der Welt“ gelang Iris Wolff 2020 der literarische Durchbruch. Die Schriftstellerin wurde 1977 in Siebenbürgen geboren, noch im Kindesalter zog sie mit ihrer Familie nach Deutschland. Das Aufwachsen in diesem Teil Rumäniens ist Dreh- und Angelpunkt ihres Schreibens geblieben, so auch im neuen Roman „Lichtungen“. Hauptfiguren sind die quirlige Kato und der ruhige Lev, die einander seit ihrer Kindheit im Rumänien Ceausescus kennen – doch all das erfahren wir eigentlich erst später, denn: Wolff erzählt hier die Geschichte einer Freundschaft im Rückwärtsgang. Der Roman setzt ein mit Kapitel 9; das ungleiche Paar befindet sich gerade auf einer Reise quer durch Europa. „Wann kommst du?“ hatte Kato, die seit 5 Jahren als nomadische Straßenmalerin unterwegs ist, ihrem Freund auf einer Postkarte aus Zürich geschrieben – was dem zögerlichen Lev endlich den Mut gab, seine Heimat zu verlassen. Mit jeder Seite erfährt man mehr über den Ursprung dieser Freundschaft, an der Wolff unaufdringlich die jüngere Geschichte Rumäniens vorbeirauschen lässt.  

Jahrmarkt
Reclam

5. ex aequo: William Makepeace Thackeray (12 Punkte)

„Jahrmarkt der Eitelkeit“, Reclam 
Übersetzung: Hans-Christian Oeser    

Charles Dickens und William Makepeace Thackeray: früher nannte man diese beiden Namen in einem Atemzug. Doch im Verlauf der letzten Jahrzehnte ist Thackeray zunehmend in Vergessenheit geraten, sodass so mancher bei „Vanity Fair“ zunächst einmal an das amerikanische Kultmagazin denkt, und weniger an den Kultroman, dem die Zeitschrift ihren Namen zu verdanken hat. Mit „Jahrmarkt der Eitelkeit“ verhilft Übersetzer Hans-Christian Oeser dem Buch nun aber zu neuem Glanz. Auf knapp 900 Seiten entfaltet Thackeray ein Panorama der englischen Gesellschaft des viktorianischen Zeitalters. Die Handlung setzt ein in Miss Pinkertons „Akademie für junge Damen“, deren Absolventin Betty Sharp ihr Leben einem Ziel verschrieben hat: ein Mitglied der Londoner Upper Class zu werden. Ohne Skrupel – und mit großem Unterhaltungswert für die Leserschaft – wird es ihr gelingen, sich quer durch den bunten Figurenreigen eben dorthin zu intrigieren – und schmerzhaft lernen, was es mit dem Begriff „Fallhöhe“ auf sich hat.

Nachwasser
Azur

8. ex aequo: Frieda Paris (10 Punkte) NEU

Nachwasser“, Edition Azur

Oft als Nischenprodukt der Literatur bezeichnet, erlebt die kurze literarische Form in den sozialen Medien eine wahre Renaissance. Mit dem Effekt, dass sich immer mehr junge Autorinnen und Autoren für diese Art der Kunst interessieren. So auch die 1986 geborene Frieda Paris mit ihrem Debüt „Nachwasser“. In Ulm geboren lebt die Lyrikerin seit 2010 in Wien. Vor ihrer Karriere als Lyrikerin absolvierte sie eine Ausbildung zur Damenschneiderin und dieser handwerkliche Hintergrund macht sich durchaus bemerkbar, denn am Näh- und Schneidetisch ist im übertragenen Sinn auch „Nachwasser“ entstanden. Es ist ein Langgedicht, an dessen Entstehung uns der Text beim Lesen teilhaben lässt. Wörter aus der Kindheit in Süddeutschland, Alltagswörter als recyceltes Poesiegut, Zettelrückseiten aus dem Nachlass der großen Dichterin und „Wortmutter“ Friederike Mayröcker: alles wird wild miteinander vernäht, sodass am Ende kein glatter Text, sondern mehr ein literarischer Quilt entsteht: mit vielen Lagen Stoff, bestehend aus vielen kleinen Wortfasern, die an der eigenen Gedankenwelt sofort anknüpfen und ihre Fäden dort weiterspinnen.

Die Häutungen
Suhrkamp

8. ex aequo: Lucía Lijtmaer (10 Punkte) NEU

Die Häutungen“, Suhrkamp
Übersetzung: Kirsten Brandt

Die Schriftstellerin Lucía Lijtmaer wurde 1977 in Buenos Aires geborenen, bald darauf verließ die Familie das politisch zerrüttete Argentinien und ging ins Exil nach Barcelona. In Spanien zählt Lijtmaer längst zu den großen Stars der Literaturszene, im deutschsprachigen Raum ist sie noch wenig bekannt. Neben ihren literarischen Arbeiten gestaltet Lijtmaer Podcasts und schreibt regelmäßig für Zeitungen wie El País oder El Diario, ihre Kernthemen sind Popkultur und Feminismus. „Häutungen“ ist der erste Roman Lijtmaers, der ins Deutsche übersetzt wurde. Erzählt wird darin von zwei Frauen, die auf den ersten Blick nichts miteinander verbindet. Die eine lebt im Barcelona der Gegenwart, die andere im England des 17. Jahrhunderts. Subtil beginnt Lijtmaer ein Band zwischen ihren durch vier Jahrhunderte getrennte Protagonistinnen zu knüpfen: denn beide Frauen sehen sich gezwungen, ihre gewohnte Umgebung zu verlassen und neu anzufangen. Die eine flieht aus einer toxischen Beziehung und bricht aus dem von der Wirtschaftskrise gebeutelten Barcelona nach Madrid auf, die andere wird aus England in die amerikanischen Kolonien verbannt. Schritt für Schritt überwinden sie ihre Verzweiflung, dasselbe Ziel vor Augen: Rache.  

Die Welt
Claassen

10. Aleksandar Hemon (9 Punkte) NEU

Die Welt und alles, was sie enthält“, Claassen
Übersetzung: Henning Ahrens

Aleksandar Hemon gehört zu den meistbeachteten Stimmen der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Der Schriftsteller wurde 1964 in Sarajevo geboren und lebt seit dem Bosnien-Krieg in den USA. Seine Romane umkreisen die Themen seines Lebens: Entwurzelung, Vertreibung und Krieg. Seine Figuren sind Gebeutelte eines Sprach,- und Kulturwechsels. Hemon selbst zählt zu den wenigen Autoren weltweit, die nicht mehr in ihrer Muttersprache schreiben und dennoch große Literatur zu Papier bringen. Das gilt auch für „Die Welt und alles, was sie enthält“. Der Roman spannt den Bogen über die beiden Weltkriege hinweg – bis hin zur kommunistischen Revolution in Russland und China. Erzählt wird aus der Perspektive zweier Antihelden, die als Opfer der beiden Kriege rund um den halben Globus getrieben werden: Pinto und Osman. Beide sind in Sarajevo aufgewachsen und lernen sich auf dem Schlachtfeld des ersten Weltkriegs kennen, als Soldaten der österreichisch-ungarischen Armee. Es ist der Anfang einer Liebesgeschichte, die mit aller Kraft den Krisen und Katastrophen des 20. Jahrhunderts zu trotzen versucht.

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