Bestenlisten-Plakat Februar
ORF

Die besten 10 im Februar 2023

Die Jury hat aus den unzähligen Neuerscheinungen ihre Lieblingsbücher gewählt.

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Das glückliche Geheimnis
Hanser

1. Arno Geiger (63 Punkte) NEU

„Das glückliche Geheimnis“, Hanser

Arno Geiger zählt zu den erfolgreichsten Schriftstellern im deutschsprachigen Raum. 2005 wurde sein Roman „Es geht uns gut“ mit dem deutschen Buchpreis ausgezeichnet, mit Büchern wie „Unter der Drachenwand“ landete Geiger auf den wichtigsten Bestsellerlisten. Sein neues Werk ist ein verblüffendes Outing: Unter dem Titel „Das glückliche Geheimnis“ lässt Arno Geiger tief in seine Biografie blicken. 25 Jahre lang wühlte er in fremden Papiermülltonnen nach Hinterlassenschaften, Schriftstücken und Büchern. Einige der gefundenen Briefkonvolute ließ Geiger auch in seine Literatur einfließen, etwa in seinen Erfolgsroman „Unter der Drachwand“. „Das glückliche Geheimnis“ ist jedoch mehr als ein Loblied auf den Müll. Gleichzeitig kann man das Buch als Autobiographie Geigers lesen: Da geht es um das Ringen um Erkenntnis, um beruflichen Erfolg und Selbstzweifel, um die Demenzerkrankung des Vaters, um den Schlaganfall der Mutter, um Liebesbeziehungen mit mehreren Frauen gleichzeitig, die nicht ohne Verwundungen stattfinden.

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Einüben ins Schweben
Suhrkamp

2. Dževad Karahasan (47 Punkte) NEU

„Einübung ins Schweben“, Suhrkamp
Übersetzung: Katharina Wolf-Grießhaber

Der bosnische Schriftsteller Dževad Karahasan zählt zu den bekanntesten literarischen Stimmen des Balkans. Immer wieder wird der 1953 im ehemaligen Jugoslawien geborene Karahasan mit dem Nobelpreisträger Ivo Andrić verglichen – nicht zuletzt, weil die multikulturelle Geschichte Bosniens stets ihre gemeinsame Erzählheimat geblieben ist. In seinem neuen Roman widmet sich der „Chronist von Sarajevo“, wie Karahasan oft genannt wird, der jüngsten Geschichte seiner Heimat: der Belagerung Sarajevos während des Bosnien-Krieges. „Einübung ins Schweben“ ist ein Buch über das Leben im Krieg: Es schildert den Alltag der Menschen, die ständigen Herausforderungen, vor die sie die Belagerung stellt. Aber auch die seelischen Veränderungen, die dieser Zustand mit sich bringt. Im Zentrum steht dabei stets die Frage: Was macht der Krieg mit dem Menschen? Verhandelt wird diese über eine scheinbar außenstehende Figur, den Schriftsteller und Altphilologen Peter Hurd. Er befindet sich bei Kriegsausbruch gerade zufällig in Sarajevo und beschließt zu bleiben. Er möchte die Erfahrung einer Extremsituation nicht verpassen, möchte am eigenen Leib das moralische Vakuum des Ausnahmezustands erleben - auch wenn er spürt, wohin dieser Weg führt.

Die Inkommen
Klett-Cotta

3. Raphaela Edelbauer (21 Punkte) NEU

„Die Inkommensurablen“, Klett-Cotta

Die literarische Karriere von Raphaela Edelbauer ist ohne Zweifel eine Erfolgsgeschichte. 1990 in Wien geboren, kann die Autorin auf eine beachtliche Liste von Preisen zurückblicken, darunter der Rauriser Literaturpreis, der Publikumspreis beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt und zuletzt der österreichische Buchpreis für ihren Science Fiction-Roman „Dave“. Nun hat Edelbauer ihren dritten Roman vorgelegt: „Die Inkommensurablen“ spielt am Vorabend des ersten Weltkriegs, kurz vor Ablauf des Ultimatums des Habsburgerreichs an Serbien. 24 Stunden lang lässt die Schriftstellerin drei Jugendliche durch das in immer größere Kriegseuphorie geratene Wien streifen. Sie konfrontiert ihre Figuren mit den vielen verschiedenen politischen als auch wissenschaftlichen Strömungen jener Zeit, und auch den unterschiedlichsten sozialen Milieus, bis hin zur Lesben- und Schwulenszene der Stadt. Ein k.u.k-Roman der ganz und gar anderen Art, der ist Raphaela Edelbauer mit „Die Inkommensurablen“ definitiv gelungen.

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Tage im Mai
S. Fischer

4. Marlene Streeruwitz (15 Punkte) NEU

„Tage im Mai“, S. Fischer

Marlene Streeruwitz zählt zu wichtigsten literarischen Stimmen und ihr Gespür für politische und gesellschaftliche Entwicklungen zeichnet regelmäßig ihre Werke aus. So ist auch ihr jüngster Roman ein glasklarer Befund unserer Lebensrealität: Streeruwitz hat die Geschichte einer Mutter und deren Tochter quasi an den Ereignissen der letzten drei Jahre entlang geschrieben und sogar regelmäßig revidiert, als ihr Pandemie und Krieg künstlerisch in die Quere kamen. Marlene Streeruwitz erzählt im Roman vom Kampf der Protagonistinnen um ein selbstbestimmtes Leben. Aber auch vom schleichenden Niedergang der kulturellen Vielfalt ist die Rede, vom finanziellen Ausbluten der kleineren Kulturinstitutionen, von kleinen Verlagen und so manchen Selbstständigen der Branche. Konstanze und deren Tochter Veronica versuchen trotz aller Widrigkeiten ein gutes Leben zu führen oder wie es im Buch heißt: zumindest ein „kleines Leben“.

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Das andere Mädchen
Bibliothek Suhrkamp

5. ex aequo: Annie Ernaux (14 Punkte)

Das andere Mädchen“, Bibliothek Suhrkamp
Übersetzung: Sonja Finck

In Frankreich gilt Nobelpreisträgerin Annie Ernaux seit Jahrzehnten als feministische Ikone, im deutschsprachigen Raum war sie lange eine Unbekannte. Die wenigen Übersetzungen, die es gab, wurden als „Frauenliteratur“ abgestempelt, erst als ihr Bestseller „Die Jahre“ 2017 bei Suhrkamp erschien, änderte sich diese Wahrnehmung schlagartig. Inzwischen wird Annie Ernaux auch im deutschen Sprachraum als Grande-Dame der autobiographischen Literatur gefeiert, Buch für Buch schreibt sie ihr Leben nieder und greift dabei Themen wie soziale Ungleichheit und Frauenrechte auf. Der Suhrkamp-Verlag arbeitet mit großem Erfolg an der Übersetzung ihres Gesamtwerks, „Das andere Mädchen“ heißt der jüngste Titel dieses Projekts. Im französischen Original 2016 erschienen, schreibt Ernaux darin einen Brief an ihre als 6-Jährige verstorbene Schwester, von deren Existenz sie selbst nur durch ein zufällig belauschtes Gespräch zwischen der Mutter und einer Nachbarin erfuhr. An Hand von ein paar Fotographien, einem Grabmal und ein paar wenigen Gegenständen, versucht die Schriftstellerin dieser unbekannten Schwester Jahrzehnte später näher zu kommen.

Shards
Kiepenheuer & Witsch

5. ex aequo: Bret Easton Ellis (14 Punkte) NEU  

„The Shards“, Kiepenheuer & Witsch
Übersetzung: Stephan Kleiner

Mit seinem Skandal-Buch „American Psycho“ ist Bret Easton Ellis weltberühmt geworden. Der US-Amerikaner ist bekannt für seine expliziten und kontroversen Texte. Diese Woche wurde der neue, inzwischen siebte Roman von Ellis veröffentlicht: In „The Shards“, zu Deutsch: „Die Scherben“, blickt der 58-Jährige auf seine eigene Jugend in Kalifornien zurück. Es ist der erste Roman seit 13 Jahren, den der US-Amerikaner hier vorliegt. Er schreibt über seine Jugend im Upper-Class-Milieu Anfang der 1980er, zwischen Aufbruchsstimmung und Konsumkater. Dabei verwebt Ellis bruchstückhaft die eigene Vita mit Fiktion, erzählt von Exzessen, von einem Serienmörder und der beginnenden Arbeit an seinem Debut „Unter Null“. Wie so oft spielt auch seine Heimatstadt Los Angeles eine Hauptrolle. Ein fulminantes Romancomeback, das den Mythos um seine Person weiter nährt.

Die geheimste Erinnerung der Menschen
Hanser

5. ex aequo: Mohamed Mbougar Sarr (14 Punkte)  

Die geheimste Erinnerung der Menschen“, Hanser
Übersetzung: Holger Fock, Sabine Müller

Mit seinem Roman „Die geheimste Erinnerung der Menschen“ hat Mohamed Mbougar Sarr 2021 für großes Aufsehen gesorgt. Zum einen ist Sarr mit 31 Jahren der jüngste Preisträger des renommierten Prix Goncourt, zum anderen ist er der erste Senegalese, dem diese wichtigste literarische Auszeichnung Frankreichs verliehen wurde. Die Hauptfigur in Sarrs Roman, der junge Senegalese Diégane, stößt darin auf ein in Vergessenheit geratenes Kultbuch: „Labyrinth des Unmenschlichen“ von T.C. Elimane. Als dieser Roman 1938 erschien, wurde sein Autor als der „schwarze Rimbaud“ gefeiert, doch nach einem Skandal und rassistischen Anfeindungen aus der Literaturkritik verschwand Elimane in der Versenkung. In Diéganes Freundeskreis, einer Clique junger Intellektueller aus der afrikanischen Diaspora, wird das Buch bald zur Bibel ihrer eigenen schriftstellerischen Ambitionen und Diégane beschließt sich auf die Spuren des geheimnisvollen Schriftstellers zu machen. Eine Suche, die ihn über drei Kontinente führt und immer größere Rätsel aufgibt – und gleichzeitig zu einer kritischen Parabel auf den Literaturbetrieb der Gegenwart wird.

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Wir haben es nicht gut gemacht
Piper/Suhrkamp

8. Ingeborg Bachmann/Max Frisch (12 Punkte)                                               

Wir haben es nicht gut gemacht“, Suhrkamp/Piper

1958, kurz nach ihrer Trennung von Paul Celan, lernen sich Ingeborg Bachmann und Max Frisch in Paris näher kennen. Es ist der Beginn einer durchwegs komplizierten Liebe, einer Beziehung, die man im heutigen Sprachgebrauch wohl „toxisch“ nennen würde. Sowohl Bachmann als auch Frisch sind zu diesem Zeitpunkt große Stars in der deutschsprachigen Literaturszene, ihre Beziehung wird damit automatisch auch Gegenstand heftiger Spekulationen und Gerüchte – nicht zuletzt, weil ein Vertrag zwischen ihnen unerhebliche Seitensprünge toleriert. Vier Jahre bleiben sie ein Paar, die schwierige Zeit zwischen den beiden wird später auch als Stoff in ihre Romane eingegangen, prominent etwa in Frischs „Mein Name sei Gantenbein“ und in Bachmanns „Todesarten“-Zyklus – was die Gerüchteküche noch über Jahrzehnte brodeln lassen sollte. „Wir haben es nicht gut gemacht“ gibt erstmals Einblicke in diese vertrackte Liebe und räumt mit Vorurteilen auf. Lange galt Ingeborg Bachmann als das Opfer, man warf Frisch oft vor, Bachmann seelisch zerstört und in die Tablettenabhängigkeit getrieben zu haben. Der nun veröffentlichte Briefwechsel widerspricht diesem Bild, auch wenn sich die Beziehung darin nicht weniger destruktiv zeigt. Man entdeckt darin zwei Menschen, die eine beeindruckende Sprache für ihre Gefühle haben, die sie jedoch nicht davor bewahrt, sich gegenseitig aufs Tiefste zu verletzen.  

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Verpuppt
Otto Müller Verlag

9. Ana Marwan (10 Punkte) NEU

„Verpuppt“, Otto Müller

Für ihren Text „Die Wechselkröte“ wurde die in Slowenien geborene Schriftstellerin Ana Marwan im vergangenen Jahr mit dem Ingeborg Bachmann-Preis ausgezeichnet. Marwan ist eine buchstäblich zweisprachige Autorin, denn sie verfasst ihre Texte sowohl auf Slowenisch als auch auf Deutsch – was im Literaturbetrieb eher selten vorkommt. Ihr Roman „Verpuppt“ erschien im slowenischen Original 2021, nun liegt er auch in deutscher Übersetzung vor. Die Schriftstellerin verwebt darin viele verschiedene Themen miteinander: Das Buch beginnt mit einer unkonventionellen Beziehungsgeschichte zwischen einer jungen Frau und einem älteren Mann, doch dann nimmt der Roman viele unerwartete Wendungen. Um das Chaos der Welt zu bändigen, erfindet Marwans Hauptfigur Geschichten und Personen und gestaltet die Wahrheit immer wieder neu. „Jede Geschichte ist eine Gewalt an der Wahrheit“ schreibt Ana Marwan. Mit „Verpuppt“ ist ihr ein fesselnder Anti-Roman gelungen, der mit unseren Erwartungshaltungen spielt und immer wieder verblüffende neue Wege einschlägt.

Taube und Wildente
dtv

10. Martin Mosebach (9 Punkte)

Taube und Wildente“, dtv

An Martin Mosebach scheiden sich die Geister: Für die einen ist der Schriftsteller und Georg Büchner-Preisträger ein großer Erzähler unserer Zeit, für die anderen ein großbürgerlicher Autor mit antiquiertem Stil (woran seine offen konservative Haltung zur Welt sicher nicht unschuldig ist). Wie auch immer man zu ihm stehen mag, klar ist, dass es dem Schriftsteller immer wieder gelingt, die seelischen Abgründe des europäischen Bürgertums literarisch auszuloten – so auch in seinem jüngsten Roman „Taube und Wildente“. In einem schicken Landhaus in der französischen Provence lässt Mosebach eine reiche Familie während der alljährlichen Sommerfrische aneinandergeraten. Hausherrin und Hausherr sind gerade beide in komplizierte Seitensprünge verwickelt, die drückende Hitze schlägt auf die Gemüter, und so entfacht plötzlich ein heftiger Streit über das Gemälde „Tote Feldtaube und Wildente“, einem Stillleben aus dem 19. Jahrhundert. Der Ehemann sieht darin ein modernes Meisterwerk, die Ehefrau möchte es verkaufen. An Hand dieses Ehestreits entwirft Mosebach ein Panorama zwischenmenschlicher Grausamkeit, das sich auch als Sittenbild einer moralisch verkommenen Gesellschaft lesen lässt.

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