ORF-Bestenliste August
ORF

Die besten 10 im August 2022

Die Jury hat aus den unzähligen Neuerscheinungen ihre Lieblingsbücher gewählt.

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Orwells Rosen
Rowohlt

1. Rebecca Solnit (32 Punkte)

Orwells Rosen“, Rowohlt
Übersetzung: Michaela Grabinger

Spätestens seit ihrem 2008 erschienenen Essay „Wie Männer mir die Welt erklären“ ist die amerikanische Schriftstellerin Rebecca Solnit international bekannt. Die darin erzählte Anekdote über einen Mann, der versucht hat Solnit ihr eigenes Buch zu erklären, gilt als Geburtsstunde des Begriffs „Mansplaining“. Ihr neues Buch „Orwells Rosen“ kann man auf unterschiedliche Weisen lesen: zum einen als Natur- und Kulturgeschichte der Gartenarbeit, zum anderen als ein Plädoyer für die Schönheit von Kunst und Natur als Bollwerk gegen den Totalitarismus. „Neben meiner Arbeit interessiert mich am meisten das Gärtnern“, schrieb George Orwell 1940, während in Europa der Krieg tobte und er an seinem berühmten Roman „1984“ arbeitete. Bei einem Besuch in Orwells Garten bemerkte Rebecca Solnit, dass die Rosen, die er damals pflanzte, immer noch blühen. Ausgehend von dieser Beobachtung widmet sich Solnit den großen Fragen der Gegenwart, erkennt in Stalin, der Zitronen am Polarkreis züchten wollte, den ersten Klimaskeptiker und deutet die Rosenindustrie als Beispiel kapitalistischer Ausbeutung.

Die Imker
S. Fischer

2. Gerhard Roth (21 Punkte)       

Die Imker“, S. Fischer

Gerhard Roth zählte nicht nur zu den bedeutendsten, sondern auch den produktivsten Schriftstellern der österreichischen Literaturszene. Bis zuletzt hat er unablässig geschrieben, und so kann sich die Nachwelt wenige Monate nach seinem Tod im Februar noch über einen letzten Gerhard Roth-Roman freuen: „Die Imker“. Es ist ein apokalyptisches Szenario, das Gerhard Roth darin entwirft: ein rätselhafter gelber Nebel lässt den Großteil der Menschen wie durch Zauberhand verschwinden, einzig Schuhe und Kleidung deuten auf die verlorenen Menschenleben hin. Zu den Überlebenden gehören einige Patienten der Psychiatrischen Klinik Gugging, die sich in eine alte Imkerei zurückziehen. Immer mehr Menschen finden dort Zuflucht, Schritt für Schritt entsteht eine neue Gesellschaft, aus der Gewalt und Grausamkeit jedoch nicht verschwunden sind.

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Divan mit Schonbezug
Wallstein

3. ex aequo: Anna Baar (17 Punkte)

Divân mit Schonbezug“, Wallstein

Seit ihrem Debutroman „Die Farbe des Granatapfels“ im Jahr 2015 gilt die Schriftstellerin Anna Baar als eine der markantesten Stimmen der österreichischen Gegenwartsliteratur. Baar wurde 1973 in Zagreb im ehemaligen Jugoslawien geboren, ihre Kindheit verbrachte sie zwischen Wien, Klagenfurt und der dalmatinischen Insel Brac. Das Aufwachsen zwischen den Sprachen und den Kulturen ist eine Erfahrung, die ihr Werk von Beginn an durchzieht. Mit großer sprachlicher Sorgfalt arbeitet sich die Schriftstellerin an Begriffen wie Identität, Herkunft und Heimat ab, so auch in ihrem neuen Erzählband „Divân mit Schonbezug“. Anna Baar erzählt von der Großmutter, die im Zweiten Weltkrieg gegen die Nazis gekämpfte und sich im jugoslawischen Bürgerkrieg vor den eigenen Landsleuten im Keller verstecken musste, von Kärntner Lokalpolitikern, die sich nicht trauen, Nazis gewidmete Straßen umzubenennen. Und von den titelgebenden Divâns, die man im Iran lieber gleich in Plastikfolie einpackt, damit sie nicht schmutzig werden.

Die Nacht unterm Schnee
Suhrkamp

3. ex aequo: Ralf Rothmann (17 Punkte) NEU          

„Die Nacht unterm Schnee“, Suhrkamp

Die ersten beiden Romane „Im Frühling sterben“ und „Der Gott jenes Sommers“ über den zweiten Weltkrieg von Ralf Rothmann avancierten innerhalb von kürzester Zeit zu Bestsellern, nun ist der dritte und letzte Band der Trilogie mit dem Titel „Die Nacht unterm Schnee“ erschienen, der im Deutschland der Nachkriegszeit spielt. Der mehrfach ausgezeichnete Autor zeichnet darin nicht nur ein Panorama jener Jahre, sondern auch das Portrait einer sehr jungen Frau, die im Krieg mehrfach von russischen Soldaten vergewaltigt wurde. Sie überlebt nur, weil ein anderer Russe sie findet und gesund pflegt. Ihr ganzes Leben bleibt sie davon schwer gezeichnet. „Die Nacht unterm Schnee“ ist auch die fiktionalisierte Geschichte der Mutter des Autors, der er damit ein literarisches Denkmal setzen wollte. Mit viel psychologischem Gespür beschäftigt sich Ralf Rothmann im Roman damit, wie daheimgebliebene Frauen die traumatisierende Zeit des Krieges wie auch die Jahre danach erlebt haben.

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Coventry
Bibliothek Suhrkamp

5. Rachel Cusk (15 Punkte) NEU     

„Coventry“, Bibliothek Suhrkamp 
Übersetzung: Eva Bonné

"To send someone to Coventry“ meint im Englischen, jemanden vollständig auszugrenzen, ihn so zu behandeln, als sei er unsichtbar und unhörbar, heißt es im titelgebenden Essay von Rachel Cusks Essayband „Coventry“. Der schmale Band mit sechs Essays ist 2019 auf Englisch erschienen, in einer umfassenderen Fassung, die auf Wunsch der Autorin verkleinert wurde. In „Coventry“ seziert die Autorin Alltägliches und Politisches, das Themenspektrum reicht von Feminismus über Unhöflichkeit bis hin zu Enthemmung, Brexit und Jesus. Alle Texte erzählen von Beobachtungen in einer verunsicherten Welt, vom zwischenmenschlichen Zusammenleben, von den Verlusten, die wir dabei zwangsweise erleiden und von deren Konsequenzen. Die Essays, so heißt es, würden ins Zentrum des gesellschaftlichen Geschehens treffen. Rachel Cusk, geboren 1967 in Kanada, aufgewachsen in Los Angeles, lebt heute in Großbritannien, in Brighton.

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Church Ladies
ars vivendi

6. Deesha Philyaw (11 Punkte) NEU 

„Church Ladies“, ars vivendi   
Übersetzung: Elke Link und Sabine Roth

Die Selbsterfahrung schwarzer Frauen ist das Thema dieses vom Feuilleton gefeierten Debüts. Dessha Philyaw beleuchtet das Leben schwarzer Frauen und Mädchen zwischen einem strengen kirchlichen Korsett und dem Wunsch nach Befreiung, die für ihren Platz in der Welt kämpfen und nach Freiheit streben. Die in Florida geborene und heute an der Ostküste der USA lebende Dessha Philyaw war schon fünfzig, als von ihr dieser Erzählungsband 2020 im Original erschien. Das Spannungsfeld zwischen klerikaler Moral und freiem Leben, das Philyaw in ihren Geschichten auslotet, kennt sie selbst: bis zu ihrer Collegezeit ging sie regelmäßig zur Sonntagsmesse, einige ihrer Texte sind autobiografisch geprägt. Die Autorin versammelt in „Church Ladies“ lieblose, selbstsüchtige Mütter, abwesende oder gewaltbereite Väter, Pfarrer, die am Sonntag von Erlösung und Verdammnis predigen, aber während der Woche munter sündigen. Im Zentrum der Erzählungen stehen Sehnsüchte und Scham, Schwarze Frauen, die sich beugen und solche, die rebellieren.

Es geschah im November
Wieser

7. ex aequo: Alena Mornstajnová (8 Punkte) NEU   

„Es geschah im November“, Wieser 
Übersetzung: Raija Hauck   

Seit ihrem erfolgreichen Roman „Hana“, in dem Alena Mornstajnová gemeinsam Erlebtes von unterschiedlichen Personen erzählen lässt, gehört die 1963 im tschechischen Ort Valašské Meziříčí geborene Autorin zu den beliebtesten Schriftstellerinnen ihrer Heimat. Schauplatz ihres neuen Romans „Es geschah im November“ ist eine kleine Stadt in Mähren im Jahr 1989. Es ist die Zeit der so genannten „Samtenen Revolution“, die den politischen Systemwechsel zur Demokratie im November und Dezember 1989 bezeichnet. Ein politischer Wechsel, der sich innerhalb weniger Wochen vollzog, jedoch weitgehend gewaltfrei erfolgte. Dennoch gab es Opfer: Marie und ihr Mann lassen sich von den Ereignissen in Prag mitreißen und gehen auf die Straße, um für den Wandel zu demonstrieren. Innerhalb von kürzester Zeit werden sie verhaftet und in ein Lager gesteckt, Marie wird zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Während ihre Tochter Magdalena in ein Umerziehungsheim geschickt wird, entwickelt Marie eine Überlebensstrategie, indem sie das Schreiben für sich entdeckt, sie schreibt Briefe. Das erste Treffen mit ihrer Tochter endet für beide in einer endgültigen Illusionslosigkeit.

     

Innere Gewalt
bahoe books

7. ex aequo: Alexander Lippmann (8 Punkte)  

„Innere Gewalt“, bahoe books

In „Innere Gewalt“, dem neuen Roman des Wiener Schriftstellers Alexander Lippmann, dreht sich alles um die Figur Olivia Wolf. Sie ist eine frustrierte, uninspirierte Mitarbeiterin einer Werbeagentur, die sich halbherzig durch neue Hobbies wie Kampfsport oder Malerei aus dem Alltagstrott zu befreien versucht, die Staffelei dann aber doch lieber unbenutzt im Wohnzimmer verstauben lässt und etliche Gründe parat hat, warum diese oder jene Sportstätte ihren Vorstellungen einfach nicht entspricht. Was sie in der Werbeagentur, für die sie arbeitet, eigentlich genau macht, weiß sie selbst nicht recht. Inzwischen ist Olivia allerdings perfekt darin, so zu tun, als wäre sie schwer beschäftig und schafft es kleine Arbeiten über eine Woche hinzustrecken, sodass ihre mangelnde Produktivität niemandem auffällt. Während der Roman als gewiefte Satire auf die Marketingwelt beginnt, entwickelt sich „Innere Gewalt“ allmählich zu einem Psychogramm einer Frau, die an den Ansprüchen, die das Leben an sie stellt, zu zerbrechen droht.

            

Vom Guten, Wahren und Schlechten
Sonderzahl

7. ex aequo: Franz Schuh (8 Punkte) NEU         

„Vom Guten, Wahren und Schlechten“, Sonderzahl

„Der Franz ist ein Wunder! Ich kenne kaum jemanden, der so viel weiß wie er, aber er bringt das mit einer solchen Leichtigkeit, Anmut und einem solchen Witz vor, wie eben manchmal wohlbeleibte Menschen tanzen können. Unnachahmlich.“ schreibt Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek über den Philosophen, Denker, Schriftsteller und kritischen Geist - Franz Schuh. Im März feierte der 1947 in Wien geboren Autor seinen 75. Geburtstag. Zum feierlichen Anlass ist sein Lesebuch „Vom Guten, Wahren und Schlechten“ erschienen. Die Literaturkritikerin Daniela Strigl lobt darin die „schlüssige wie reizvolle“ Zusammenstellung verschiedener Texte, an der sich die Grundzüge seines Denkens gut ablesen ließen. Unter Kategorien wie „Sprachliches“, „Körperliches“, „Philosophisches“ oder „Persönliches“ finden sich Aphorismen, Interviews oder Essays, die den Wiener Philosophen als Kritiker und Denker gelungen vorstellen.

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