ORF-Bestenlistenplakat Juni
ORF

Die besten 10 im Juni 2022

Die Jury hat aus den unzähligen Neuerscheinungen ihre Lieblingsbücher gewählt.

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Variation über das Thema Erwachen
Hanser

1. Tomas Venclova (32 Punkte) NEU      

Variation über das Thema Erwachen“, Hanser
Übersetzung: Cornelius Hell

Tomas Venclova, Jahrgang 1937, gilt als die bedeutendste literarische Stimme Litauens. Als Gründungsmitglied der litauischen Helsinki-Gruppe engagierte er sich in den 70er Jahren für die Bürgerrechtsbewegung, kritisierte offen das sowjetische Regime – bis ihm die Staatsbürgerschaft entzogen wurde und er in die USA emigrieren musste. Bis zu seiner Emeritierung war er dort Professor für slawische Literatur an der Yale-University, heute lebt er wieder in Vilnius. Sein nun auf Deutsch übersetzter Gedichtband „Variation über das Thema Erwachen“ versammelt Gedichte aus den letzten Jahrzehnten, denn Venclova nimmt sich dafür viel Zeit, schreibt nur wenige Gedichte pro Jahre. Ebendiese Sorgfalt spürt man in jeder Zeile, in den Venclova die Erfahrungen seines bewegten Lebens revuepassieren lässt.

Aufruhr der Meerestiere
Luchterhand

2. Marie Gamillscheg (22 Punkte) NEU 

Aufruhr der Meerestiere“, Luchterhand

Mit ihrem Debut „Alles was glänzt“ machte die 1992 geborene Marie Gamillscheg 2018 auf sich aufmerksam, der Roman wurde von der Kritik sehr gelobt und mit dem österreichischen Buchpreis in der Kategorie „Debut“ ausgezeichnet. Nun folgt ihr zweiter Roman „Aufruhr der Meerestiere“, in dem sich die Schriftstellerin intensiv mit einer bestimmten Quallenart auseinandergesetzt hat, der Meerwalnuss. Diese stark austreibende Rippenqualle hat das Potential, ganze Ökosysteme in Gefahr zu bringen, weil sie sich auch unter widrigen Bedingungen vermehren kann und vielen Fischen die Nahrung wegfrisst. Die Meeresbiologin Luise, die Hauptfigur in Gamillschegs Roman, hat ihr Leben voll und ganz der Erforschung dieser Qualle verschrieben, Privates und Familiäres haben daneben keinen Platz. Doch dann bringt sie ein Forschungsaufenthalt in ihrer Heimatstadt Graz dazu, sich mit der schwierigen Beziehung zu ihrem Vater auseinanderzusetzen.

Mehr dazu auf FM4

Innere Dialoge
Jung und Jung

3. Peter Handke (17 Punkte) NEU                    

Innere Dialoge an den Rändern“, Jung und Jung

Der Bleistift und Peter Handke, das ist eine tiefe und langjährige Verbundenheit. Dass der Nobelpreisträger ein notorisch Notierender ist, ist allgemein bekannt, seine kunstvoll gestalteten Notizbücher sind inzwischen legendär. Seit Jahrzehnten entsteht parallel zu Handkes Hauptwerk, den Romanen, Stücken und Erzählungen, eine Art Beiwerk, das tiefe Einblicke in den Entstehungsprozess der Handkeschen Erzählwelt gibt: Die Journale. Unter dem Titel „Innere Dialoge an den Rändern“ sind im Jung und Jung Verlag Handkes Aufzeichnungen aus den Jahren 2016-2021 erschienen. Nirgends kommt man der Gedankenwelt des Peter Handke so nahe wie in diesen intimen Notizen. Alltagsbeobachtungen, Werkkommentare, Zitatsammlungen – alles fügt sich darin zu einem feinsinnigen Lesebuch zusammen.

Man kann Müttern nicht trauen
dtv

4. Andrea Roedig (15 Punkte)   

Man kann Müttern nicht trauen“, dtv

Die Mutter ist der große Mythos im Leben eines Menschen, sagt die in Wien lebende deutsche Autorin und Publizistin Andrea Roedig. In ihrem autobiographischen Debütroman mit dem Titel „Man kann Müttern nicht trauen“ stellt sie ihre eigene Mutter Lilo ins Zentrum. Erst nach ihrem Tod konnte sich Roedig ihrer Lebensgeschichte und der eigenen Kindheit im Düsseldorf der 1960er und 70er-Jahre widmen. Die Mutter Lilo, eine ausnehmend schöne Frau, die durch die Heirat in großbürgerliche Verhältnisse aufgestiegen war, blieb für Andrea Roedig zeitlebens unnahbar. Als die Ehe der Eltern zerbrach, verschwand die Mutter für 3 Jahre. Das Buch „Man kann Müttern nicht trauen“ ist keine Abrechnung, sondern das berührende Protokoll eines lebenslangen Annäherungsversuchs.

                 

Heimweh nach dem Tod
Rowohlt

5. Imre Kertész (14 Punkte)   

Heimweh nach dem Tod“, Rowohlt
Übersetzung: Ingrid Krüger, Pál Kelemen

Imre Kertészs „Roman eines Schicksallosen“ gilt nicht nur als einer bedeutendsten Romane des 20. Jahrhunderts, er zählt auch zu den wichtigsten literarischen Zeugnissen der Shoah. Mit 14 Jahren auf Grund seiner jüdischen Herkunft nach Auschwitz deportiert, hat Kertész darin seine Erfahrung des Konzentrationslagers verarbeitet. Vor kurzem sind im Nachlass des 2016 verstorbenen Literaturnobelpreisträgers bislang unbekannte Arbeitstagebücher aufgetaucht, die den Entstehungsprozess des Romans dokumentieren und nun unter dem Titel „Heimweh nach dem Tod“ veröffentlicht wurden. 14 Jahre hat Kertész an „Roman eines Schicksallosen“ gearbeitet. Die Tagebücher zeigen, wie gewissenhaft der Schriftsteller sein Schreiben über das Lager reflektiert hat und geben tiefe Einblicke in die philosophischen Denkprozesse, die diese Arbeit begleitet haben.

Die Imker
S. Fischer

6. Gerhard Roth (12 Punkte) NEU  

Die Imker“, S. Fischer

Gerhard Roth zählte nicht nur zu den bedeutendsten, sondern auch den produktivsten Schriftstellern der österreichischen Literaturszene. Bis zuletzt hat er unablässig geschrieben, und so kann sich die Nachwelt wenige Monate nach seinem Tod im Februar noch über einen letzten Gerhard Roth-Roman freuen: „Die Imker“. Es ist ein apokalyptisches Szenario, das Gerhard Roth darin entwirft: ein rätselhafter gelber Nebel lässt den Großteil der Menschen wie durch Zauberhand verschwinden, einzig Schuhe und Kleidung deuten auf die verlorenen Menschenleben hin. Zu den Überlebenden gehören einige Patienten der Psychiatrischen Klinik Gugging, die sich in eine alte Imkerei zurückziehen. Immer mehr Menschen finden dort Zuflucht, Schritt für Schritt entsteht eine neue Gesellschaft, aus der Gewalt und Grausamkeit jedoch nicht verschwunden sind.

Mehr dazu auf ö1

Mädchen
Wallstein

7. Teresa Präauer (11 Punkte) NEU 

Mädchen“, Wallstein

Teresa Präauer zählt zu den vielseitigsten Schriftstellerinnen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Romane, Essays, experimentelle Kurzgeschichten - das Spiel mit erzählerischen Formen durchzieht ihr Werk. Ihr neues Buch ist eine Mischung zwischen kulturgeschichtlichem Essay und persönlichem Erinnerungsbuch. Ausgehend von ihrer eigenen Kindheit hat sich Teresa Präauer darin einer sehr widersprüchlichen Figur genähert: dem Mädchen. Die Litertatur- und Kulturgeschichte des Mädchens finden dabei ebenso Eingang in Präauers Überlegungen wie die Mädchenzeitschrift schlechthin, die „Wendy“. „Das Mädchen“, schreibt Präauer in dem gleichnamigen Buch, „ist eine Aktionistin, das Mädchen ist ein Anblick, es ist etwas, und wir werden ihm damit nicht gerecht: zwischen Göre und Prinzessin, zwischen Diffamierung und Beschönigung.

                  

Ferne Gestade
Penguin

8. ex aequo: Abdulrazak Gurnah (10 Punkte) 

Ferne Gestade“, Penguin
Übersetzung: Thomas Brückner

Mit der Entscheidung für Abdulrazak Gurnah hat die Schwedische Akademie bei der Vergabe des Literaturnobelpreises 2021 wie so oft für eine Überraschung gesorgt. Insbesondere im deutschsprachigen Raum war der britisch-tansanische Schriftsteller nur einschlägigen Fachkreisen ein Begriff, die wenigen deutschen Übersetzungen seiner Bücher waren vergriffen. Der Penguin-Verlag hat nun mit der Wiederauflage seines Werks begonnen, nach „Das verlorene Paradies“ ist nun „Ferne Gestade“ wieder in deutscher Übersetzung erhältlich. Im Gegensatz zu ersterem ist die Handlung von „Ferne Gestade“ nicht in Afrika, sondern im Großbritannien der Neunziger Jahre angesiedelt und kreist um zwei Geflüchtete aus Sansibar. Der eine ist bereits in den 60ern nach London gekommen und hat sich als Literaturprofessor etabliert, der andere hat gerade erst seinen Asylantrag gestellt. Verbunden sind die beiden Männer durch ein dunkles Kapitel ihrer Vergangenheit, das sie einholt, als sie sich zufällig in einem englischen Küstenort über den Weg laufen.

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In den Kriegen
Hollitzer

8. ex aequo: Evelyn Schlag (10 Punkte)       

„In den Kriegen“, Hollitzer                  

Thematisch kann man den neuen Roman der niederösterreichischen Autorin Evelyn Schlag getrost ein Buch der Stunde nennen. „In den Kriegen“ wurde nur wenige Wochen vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine veröffentlicht und spielt vor dem Hintergrund der 2014 ausgebrochenen Kriegshandlungen in der Ostukraine. Jahrelang hat die Autorin vor Ort für ihren Roman recherchiert und sich dabei der komplexen Geschichte der Ukraine innerhalb des europäischen Staatengefüges angenähert. Darin begeben sich zwei deutsche Söldner, ein ukrainischer Dichter und eine junge Witwe, deren Mann in einem Gefecht mit russischen Separatisten gefallen ist, auf einen Fußmarsch quer durch die Ukraine. Das Ziel: die Halbinsel Krim an der Schwarzmeerküste, denn die Witwe hat sich in den Kopf gesetzt, ihre Trauer so weit wie möglich durch das verwüstete Land zu tragen. Durch das Einziehen einer zweiten Zeitebene spiegelt die Autorin die Handlung des Romans mit dem Einmarsch Nazideutschlands in das Gebiet der heutigen Ukraine, die Reise ihrer Figuren wird so auch zu einer Reise in die Vergangenheit des Landes.

             

Divan mit Schonbezug
Wallstein

10. Anna Baar (9 Punkte)     

Divân mit Schonbezug“, Wallstein

Seit ihrem Debutroman „Die Farbe des Granatapfels“ im Jahr 2015 gilt die Schriftstellerin Anna Baar als eine der markantesten Stimmen der österreichischen Gegenwartsliteratur. Baar wurde 1973 in Zagreb im ehemaligen Jugoslawien geboren, ihre Kindheit verbrachte sie zwischen Wien, Klagenfurt und der dalmatinischen Insel Brac. Das Aufwachsen zwischen den Sprachen und den Kulturen ist eine Erfahrung, die ihr Werk von Beginn an durchzieht. Mit großer sprachlicher Sorgfalt arbeitet sich die Schriftstellerin an Begriffen wie Identität, Herkunft und Heimat ab, so auch in ihrem neuen Erzählband „Divân mit Schonbezug“. Anna Baar erzählt von der Großmutter, die im Zweiten Weltkrieg gegen die Nazis gekämpfte und sich im jugoslawischen Bürgerkrieg vor den eigenen Landsleuten im Keller verstecken musste, von Kärntner Lokalpolitikern, die sich nicht trauen, Nazis gewidmete Straßen umzubenennen. Und von den titelgebenden Divâns, die man im Iran lieber gleich in Plastikfolie einpackt, damit sie nicht schmutzig werden.

        

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