April_Plakat
ORF

Die besten 10 im April 2022

Die Jury hat aus den unzähligen Neuerscheinungen ihre Lieblingsbücher gewählt.

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Rombo
Suhrkamp

1. Esther Kinsky (45 Punkte)                            

„Rombo“, Suhrkamp

Am Donnerstag den 6. Mai 1976, um 20:59 bebte die Erde in der Region Friaul-Julisch Venetien für eine volle Minute, die Erschütterung war bis an die slowenische und österreichische Grenze zu spüren. Das Erdbeben der Stufe 10 kostete 989 Menschen das Leben, 45.000 verloren ihre Häuser. Insgesamt 77 Gemeinden und 80.000 Menschen waren von den Schäden betroffen. In ihrem neuen Roman „Rombo“ erzählt die deutsche Schriftstellerin Esther Kinsky vom Erinnern an diese gewaltige Zerstörung. „Rombo“ heißt auf Italienisch so viel wie „Grollen“, sieben Überlebende der Katastrophe lässt die Autorin in dem gleichnamigen Roman zu Wort kommen. Die eigentliche Hauptfigur darin ist jedoch die Landschaft, denn zu den menschlichen Stimmen gesellen sich die der Steine, Pflanzen und Tiere der Region. Akribisch setzt Kinsky die vielen unterschiedlichen Perspektiven zu einem kunstvollen Mosaik zusammen.

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Wilderer
S. Fischer

2. Reinhard Kaiser-Mühlecker (38 Punkte) NEU  

„Wilderer“, S. Fischer                 

Reinhard Kaiser-Mühlecker ist ein vom Feuilleton viel beachteter Autor - und Bauer. Fernab von Hochglanzromantik und Heimattümelei bildet auch das bäuerliche Milieu die Kulisse seiner Bücher. Die Welt im neuen Roman ist lieblos, rau und wild. Die meisten Bauern sind Nebenerwerbsbauern, der Klimawandel schmälert den Profit. Der Held ist ein junger Landwirt, der seine Wut nicht im Griff hat und der nie ganz Kind sein durfte, weil es die familiäre Situation des bäuerlichen Lebens nicht zugelassen hat. Mit großer Erzählkunst gelingt es dem 1982 geborenen Autor die Spannung zu halten, vieles bleibt unausgesprochen, nichts ist eindeutig. Worte finden, wo es keine Sprache gibt - das ist das Ansinnen Kaiser-Mühleckers. „Wilderer“ ist ein hervorragender Roman, in dem die Menschen die titelgebenden Wilderer sind, die im Leben der anderen wildern.

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Die Jahreszeiten der Ewigkeit
Zsolnay

3. Karl-Markus Gauß (29 Punkte)

„Die Jahreszeiten der Ewigkeit“, Zsolnay

Karl-Markus Gauß gilt als leidenschaftlicher Reiseschriftsteller, Feuilletonist und Zeitgeist. Es gibt kaum eine sprachliche oder ethnische Minderheit in Mittel,- und Südosteuropa, über die der große Intellektuelle nicht geschrieben hat. Seine Essays und Reportagen über die Ränder Europas wurden vielfach ausgezeichnet, im März kommt nun auch noch der renommierte Leipziger Buchpreis zur europäischen Verständigung hinzu. 50 handgeschriebene Bücher mit Notizen des Autors von 2014 bis 2019 bilden die Grundlage des neuen Journals „Die Jahreszeiten der Ewigkeit“. In konzentrierter Form liest man von den Kommentaren des Essayisten und aufmerksamen Beobachters des politischen Geschehens. Darin beschäftigt er sich genauso mit dem Aufstieg von Sebastian Kurz wie etwa mit der Egozentrik des Kulturbetriebs und mit der Frage, was ein gutes Leben ausmacht. Am besten liest sich das Buch „Die Jahreszeiten der Ewigkeiten“ in Etappen, umso größer ist der Genuss.

Tanz der Teufel
Zsolnay

4. Fiston Mwanza Mujila (21 Punkte) NEU  

„Tanz der Teufel“, Zsolnay  
Übersetzung: Katharina Meyer, Lena Müller                  

Der erste Roman von Fiston Mwanza Mujila mit dem Titel „Tram 83“ ist international gefeiert und mehrfach ausgezeichnet worden. Der kongolesische Schriftsteller, Lyriker und Dramatiker schreibt den Großteil seiner Texte auf Französisch und lebt seit 2009 in Graz. Jetzt ist sein neues, vielbeachtetes Buch „Tanz der Teufel“ erstmals auf Deutsch erschienen. Das Land aus Fiston Mwanza Mujilas Kindheit – das Grenzgebiet zwischen Angola und Zaire, dem heutigen Kongo – ist der Schauplatz seines neuen Romans. Hier tanzen Frauen ohne Alter, Diamantensucher, Gauner und Agenten aus aller Welt den „Tanz der Teufel“. Wie schon in seinem Debütroman, ist es auch hier die Musik, die den Rhythmus des Romans vorgibt. Der in Lubumbashi geborene Autor erzählt von seiner Kindheit, und vom Leben in Afrika. Der Roman ist ein Mosaik aus Erinnerungen, der auch die Auswirkungen von Kolonialismus, Globalisierung und Raubbau beleuchtet  und dennoch ein buntes, rhythmisches Bild zeichnet.

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Stunden aus Blei
Hoffmann und Campe

5. Radka Denemarková (19 Punkte)                      

„Stunden aus Blei“, Hoffmann und Campe
Übersetzung: Eva Profousová 

Lange Zeit reiste die renommierte tschechische Schriftstellerin Radka Denemarková durch China und nahm auch an einem Literaturfestival in Peking teil. Doch bald erfuhr die Autorin Zensur und Repressionen am eigenen Leib, aufgrund ihrer Kontakte zu Dissidenten erhielt sie lebenslanges Einreiseverbot nach China. All ihre Eindrücke von der Volksrepublik packt die Autorin in ihren vielstimmigen, autobiographisch grundierten Roman „Stunden aus Blei“. Dieses über 800 Seiten schwere monumentale Werk, das eine wütende Anklage gegen das chinesische Regime ist, macht deutlich, wie in der Symbiose aus Diktatur und Kapitalismus, Entmenschlichung fortschreitet. Die Protagonistin im Roman ist eine tschechische Schriftstellerin, die geprägt ist von der friedlichen Revolution in Prag und den Ideen des Dissidentenkreises um Václav Havel und der Bürgerrechtsgruppe „Charta 77“. „Stunden aus Blei“ ist ein zutiefst politisches Buch. Radka Denemarková sagt dazu im Interview: Wenn Menschen sagen, ich interessiere mich nicht für Politik, dann sage ich: aber die Politik interessiert sich für dich, bis ins letzte Detail. Pass auf!“

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Kommentare
Suhrkamp

6. Alexander Kluge (18 Punkte)                          

„Das Buch der Kommentare“, Suhrkamp

Jurist, Schriftsteller, Filmregisseur, Drehbuchautor, Philosoph, Kurator – Alexander Kluge zählt nicht nur zu den wichtigsten Intellektuellen im deutschen Sprachraum, er ist auch einer jener wenigen Menschen, auf den die Bezeichnung „Universalgenie“ ohne Zweifel zutrifft. Einem breiten Publikum bekannt geworden als prägende Figur des „Neuen Deutschen Films“ sieht sich Kluge persönlich am ehesten als Schriftsteller. Sein Hauptwerk seien seine Bücher, so der Georg-Büchner-Preisträger. Im Februar feiert Alexander Kluge seinen 90. Geburtstag, aus diesem Anlass ist bei seinem Stammverlag Suhrkamp „Das Buch der Kommentare“ erschienen, eine Sammlung von Prosaminiaturen, die der Schriftsteller seit dem Herbst 2020 verfasst hat und inhaltlich von der Pandemie über Pilotenfische bis hin zu G. W. Leibniz reichen. „Kommentare sind kein lineares Narrativ. Sie berichten vertikal. Sie sind Bergwerke, Katakomben […]. Es reizt mich, diese Form der Narration neu zu erproben“, so Alexander Kluge über sein „Buch der Kommentare“.

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In den Kriegen
Hollitzer

6. ex aequo: Evelyn Schlag (18 Punkte) NEU 

„In den Kriegen“, Hollitzer                  

Thematisch kann man den neuen Roman der niederösterreichischen Autorin Evelyn Schlag getrost ein Buch der Stunde nennen. „In den Kriegen“ wurde nur wenige Wochen vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine veröffentlicht und spielt vor dem Hintergrund der 2014 ausgebrochenen Kriegshandlungen in der Ostukraine. Jahrelang hat die Autorin vor Ort für ihren Roman recherchiert und sich dabei der komplexen Geschichte der Ukraine innerhalb des europäischen Staatengefüges angenähert. Darin begeben sich zwei deutsche Söldner, ein ukrainischer Dichter und eine junge Witwe, deren Mann in einem Gefecht mit russischen Separatisten gefallen ist, auf einen Fußmarsch quer durch die Ukraine. Das Ziel: die Halbinsel Krim an der Schwarzmeerküste, denn die Witwe hat sich in den Kopf gesetzt, ihre Trauer so weit wie möglich durch das verwüstete Land zu tragen. Durch das Einziehen einer zweiten Zeitebene spiegelt die Autorin die Handlung des Romans mit dem Einmarsch Nazideutschlands in das Gebiet der heutigen Ukraine, die Reise ihrer Figuren wird so auch zu einer Reise in die Vergangenheit des Landes.

an den hunden
Haymon

8. Christoph W. Bauer (16 Punkte) NEU                      

„an den hunden erkennst du die zeiten“, Haymon

Formal ist der Schriftsteller Christoph W. Bauer ein Tausendsassa: Romane, Gedichte, Erzählungen, Dramen, Kinderbücher, Hörspiele – der Tiroler fühlt sich in gleich mehreren Gattungen zu Hause. Mit „an den hunden erkennst du die zeiten“ liegt nun sein mittlerweile siebenter Gedichtband vor. Der lyrische Kosmos des Christoph W. Bauer zeichnet sich seit jeher durch eine starke Dialogizität aus, in seinen Gedichten lädt er Leser und Leserinnen zu einem spannenden Dechiffrierspiel ein. Er streut Hinweise und Anspielungen quer durch die Literaturgeschichte, doch muss man den Fährten nicht zwangsläufig folgen, nicht alle Referenzen kennen, damit die Lektüre ein Genuss wird. Stattdessen kann man sich ganz dem virtuosen Umgang Bauers mit der Sprache hingeben, der einen ebenso zum Schmunzeln wie zum Nachdenken anregt.  

Yoga
Matthes & Seitz

9. ex aequo: Emmanuel Carrère (15 Punkte) NEU   

„Yoga“, Matthes & Seitz       
Übersetzung: Claudia Hamm              

Als Emmanuel Carrères „Yoga“ vor zwei Jahren in Frankreich erschien, schlug das Buch hohe Wogen. Nichts darin sei Fiktion, jede einzelne Zeile entspräche der Wahrheit, so der Schriftsteller, der sich in dem autobiographischen Text mit seiner bipolaren Störung auseinandergesetzt hat. Im französischen Feuilleton löste Carrère, der neben Houellebecq zu den wirkmächtigsten zeitgenössischen Autoren der Landes zählt, eine hitzige Debatte über das Verhältnis von Realität und Literatur aus – nicht zuletzt, weil die Ex-Frau des Schriftstellers dem Wahrheitsgehalt einiger Passagen öffentlich widersprach. Das Buch beginnt mit einem Yoga-Retreat, genauer gesagt einem Vipassana-Schweigeseminar, das Carrère jedoch nach vier Tagen abbrechen muss, weil ein enger Freund bei dem Anschlag auf die Charlie Hebdo-Redaktion ermordet wird und er gebeten wird die Grabrede zu halten. Von da an geht alles bergab: Schritt für Schritt erzählt der Schriftsteller, wie er die Kontrolle verliert, verwahrlost in die geschlossene Psychiatrie eingeliefert wird und nur mühsam den Weg zurück ins Leben findet.

Vernichten
DuMont

9. ex aequo: Michel Houellebecq (15 Punkte)     

„Vernichten“, DuMont
Übersetzung: Stephan Kleiner, Bernd Wilczek

Schon Wochen vor der Veröffentlichung von Michel Houellebecqs neuem Roman wurde wild spekuliert, was sich hinter dem Titel „Vernichten“ wohl verbergen würde. Der Verlag hatte eine strenge Sperrfrist auferlegt, im Netz kursierten Raubkopien – einen solchen Hype schafft Literatur nur selten. Seit 11. Jänner liegt der Roman nun vor, darin macht Houellebecq seinem Ruf als Seismograph der Gegenwart alle Ehre. Die Rahmenhandlung ist im Jahr 2027 angesetzt, Frankreich befindet sich in einem schmutzigen Wahlkampf rund um die Präsidentschaftswahlen, ein radikaler Liberalismus hat sich als politischer Mainstream durchgesetzt. Vor diesem Hintergrund erzählt Houellebecq die Geschichte einer unglücklichen Familie, in deren Zentrum ein zerrüttetes Liebespaar steht. Ungewohnt für Houellebecq: Die Liebe erweist sich als Rettungsanker im Daseinskampf angesichts des Irrsinns der Welt. Insgesamt zeigt sich der Schriftsteller von einer weniger zynischen und provokativen Seite – ein altersmildes Werk, wie viele Kritiker meinen.

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