Bestenliste-Plakat
ORF

Die besten 10 im März 2022

Die Jury hat aus den unzähligen Neuerscheinungen ihre Lieblingsbücher gewählt.

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Rombo
Suhrkamp

1. Esther Kinsky (63 Punkte)  NEU       

„Rombo“, Suhrkamp

Am Donnerstag den 6. Mai 1976, um 20:59 bebte die Erde in der Region Friaul-Julisch Venetien für eine volle Minute, die Erschütterung war bis an die slowenische und österreichische Grenze zu spüren. Das Erdbeben der Stufe 10 kostete 989 Menschen das Leben, 45.000 verloren ihre Häuser. Insgesamt 77 Gemeinden und 80.000 Menschen waren von den Schäden betroffen. In ihrem neuen Roman „Rombo“ erzählt die deutsche Schriftstellerin Esther Kinsky vom Erinnern an diese gewaltige Zerstörung. „Rombo“ heißt auf Italienisch so viel wie „Grollen“, sieben Überlebende der Katastrophe lässt die Autorin in dem gleichnamigen Roman zu Wort kommen. Die eigentliche Hauptfigur darin ist jedoch die Landschaft, denn zu den menschlichen Stimmen gesellen sich die der Steine, Pflanzen und Tiere der Region. Akribisch setzt Kinsky die vielen unterschiedlichen Perspektiven zu einem kunstvollen Mosaik zusammen.

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Die Jahreszeiten der Ewigkeit
Zsolnay

2. Karl-Markus Gauß (43 Punkte) NEU  

„Die Jahreszeiten der Ewigkeit“, Zsolnay

Karl-Markus Gauß gilt als leidenschaftlicher Reiseschriftsteller, Feuilletonist und Zeitgeist. Es gibt kaum eine sprachliche oder ethnische Minderheit in Mittel,- und Südosteuropa, über die der große Intellektuelle nicht geschrieben hat. Seine Essays und Reportagen über die Ränder Europas wurden vielfach ausgezeichnet, im März kommt nun auch noch der renommierte Leipziger Buchpreis zur europäischen Verständigung hinzu. 50 handgeschriebene Bücher mit Notizen des Autors von 2014 bis 2019 bilden die Grundlage des neuen Journals „Die Jahreszeiten der Ewigkeit“. In konzentrierter Form liest man von den Kommentaren des Essayisten und aufmerksamen Beobachters des politischen Geschehens. Darin beschäftigt er sich genauso mit dem Aufstieg von Sebastian Kurz wie etwa mit der Egozentrik des Kulturbetriebs und mit der Frage, was ein gutes Leben ausmacht. Am besten liest sich das Buch „Die Jahreszeiten der Ewigkeiten“ in Etappen, umso größer ist der Genuss.

versprechen
Luchterhand

3. Damon Galgut (34 Punkte) 

„Das Versprechen“, Luchterhand
Übersetzung: Thomas Mohr

Für seinen Roman „Das Versprechen“ ist der südafrikanische Schriftsteller Damon Galgut im letzten Jahr mit dem Booker Prize ausgezeichnet worden, dem renommiertesten Literaturpreis im englischsprachigen Raum. Nun liegt die deutsche Übersetzung vor. „Das Versprechen“ ist ein klassischer Familienroman, bestehend aus vier großen Kapiteln, die jeweils einem Mitglied der Swarts gewidmet sind, einer weißen Farmerfamilie aus der Nähe von Pretoria. Die zerrütteten Familienverhältnisse der Swarts verschränkt Galgut mit der jüngeren Geschichte Südafrikas, die Handlung umspannt die Jahre 1986-2018, vom Ende der Apartheid bis zum Ende der Zuma-Präsidentschaft. Gefeiert als Psychogramm der südafrikanischen Gesellschaft, besticht der Roman vor allem durch Galguts eigenwilligen Prosastil: sein Erzähler tritt immer wieder kommentierend hervor, spricht Leser als auch Figuren direkt an und verleiht dem Buch dabei Witz und Leichtfüßigkeit.

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Kommentare
Suhrkamp

4. Alexander Kluge (27 Punkte)       

„Das Buch der Kommentare“, Suhrkamp

Jurist, Schriftsteller, Filmregisseur, Drehbuchautor, Philosoph, Kurator – Alexander Kluge zählt nicht nur zu den wichtigsten Intellektuellen im deutschen Sprachraum, er ist auch einer jener wenigen Menschen, auf den die Bezeichnung „Universalgenie“ ohne Zweifel zutrifft. Einem breiten Publikum bekannt geworden als prägende Figur des „Neuen Deutschen Films“ sieht sich Kluge persönlich am ehesten als Schriftsteller. Sein Hauptwerk seien seine Bücher, so der Georg-Büchner-Preisträger. Im Februar feiert Alexander Kluge seinen 90. Geburtstag, aus diesem Anlass ist bei seinem Stammverlag Suhrkamp „Das Buch der Kommentare“ erschienen, eine Sammlung von Prosaminiaturen, die der Schriftsteller seit dem Herbst 2020 verfasst hat und inhaltlich von der Pandemie über Pilotenfische bis hin zu G. W. Leibniz reichen. „Kommentare sind kein lineares Narrativ. Sie berichten vertikal. Sie sind Bergwerke, Katakomben […]. Es reizt mich, diese Form der Narration neu zu erproben“, so Alexander Kluge über sein „Buch der Kommentare“.

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löwenherz
Hanser

5. Monika Helfer (26 Punkte)     

„Löwenherz“, Hanser

Mit ihrer Familienchronik ist Monika Helfer der große Durchbruch im deutschsprachigen Literaturbetrieb gelungen. Die beiden Romane „Die Bagage“ und „Vati“ über die Großeltern und ihren Vater eroberten die Bestsellerlisten im gesamten deutschsprachigen Raum. "Weil jeder eine Familie hat“, erklärt sich die Autorin den Erfolg. Mit „Löwenherz“ hat Monika Helfer nun den dritten und letzten Teil dieser autobiographischen Reihe veröffentlicht, es ist der intimste und persönlichste der drei Romane. Im Zentrum steht diesmal ihr jüngerer Bruder Richard, der sich mit 30 Jahren das Leben genommen hat. In ebenso zärtlichen wie präzisen Sätzen erzählt die Schriftstellerin von ihrem Bruder als einem Träumer, Fantasten und Eigenbrötler, der nie ganz anzukommen scheint im Leben. Gleichzeitig entwirft sie ein Panorama der Vorarlberger Gesellschaft der 70er Jahre, die von der konservativen Landbevölkerung dominiert wurde.

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Stunden aus Blei
Hoffmann und Campe

6. Radka Denemarková (19 Punkte) NEU

„Stunden aus Blei“, Hoffmann und Campe
Übersetzung: Eva Profousová 

Lange Zeit reiste die renommierte tschechische Schriftstellerin Radka Denemarková durch China und nahm auch an einem Literaturfestival in Peking teil. Doch bald erfuhr die Autorin Zensur und Repressionen am eigenen Leib, aufgrund ihrer Kontakte zu Dissidenten erhielt sie lebenslanges Einreiseverbot nach China. All ihre Eindrücke von der Volksrepublik packt die Autorin in ihren vielstimmigen, autobiographisch grundierten Roman „Stunden aus Blei“. Dieses über 800 Seiten schwere monumentale Werk, das eine wütende Anklage gegen das chinesische Regime ist, macht deutlich, wie in der Symbiose aus Diktatur und Kapitalismus, Entmenschlichung fortschreitet. Die Protagonistin im Roman ist eine tschechische Schriftstellerin, die geprägt ist von der friedlichen Revolution in Prag und den Ideen des Dissidentenkreises um Václav Havel und der Bürgerrechtsgruppe „Charta 77“. „Stunden aus Blei“ ist ein zutiefst politisches Buch. Radka Denemarková sagt dazu im Interview: Wenn Menschen sagen, ich interessiere mich nicht für Politik, dann sage ich: aber die Politik interessiert sich für dich, bis ins letzte Detail. Pass auf!“

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Das Vorkommnis
dtv

                 

7. Julia Schoch (18 Punkte) NEU      

„Das Vorkommnis“, dtv

Alles beginnt mit einem grunderschütternden Vorkommnis, wie schon der Titel von Julia Schochs neuem Roman erwarten lässt. Nach einer Lesung in einer norddeutschen Stadt tritt eine Frau an die Protagonistin, eine Schriftstellerin heran, und offenbart ihr: „Wir haben übrigens denselben Vater.“ Die Ich-Erzählerin sieht ihr bisheriges Leben in Frage gestellt. „Das Vorkommnis“ ist der Auftakt einer Trilogie, die mit „Biographie einer Frau“ untertitelt ist und autobiografisch grundiert ist. Sie habe ein persönliches Erlebnis in Literatur übersetzt, sagt die mehrfach ausgezeichnete Potsdamer Autorin Schoch. In vielen kurzen Kapiteln beschreibt sie, wie mit einer einzigen Begegnung bisherige Gewissheiten verloren gehen können, der Alltag ins Wanken gerät und der Blick auf die Familiengeschichte, sowie die eigene Identität völlig neu geordnet werden muss. „Ich habe mich in meinem Leben plötzlich umgeschaut wie in einer fremden Wohnung.“, so Schoch in einem Interview, und dieser Satz kann wohl als Leitmotiv für den gesamten Roman gelten.


Die Nächte der Pest
Hanser

8. Orhan Pamuk (15 Punkte) NEU          

„Die Nächte der Pest“, Hanser
Übersetzung: Gerhard Meier

Eine paradiesisch gelegene Mittelmeer-Insel, auf der wohlduftende Rosen blühen, ist der Handlungsort von Orhan Pamuks neuem Roman „Die Nächste der Pest“. Doch auf Minger, so heißt das sonnenverwöhnte fiktive Eiland, häufen sich mysteriöse Todesfälle. Seuchenexperten werden auf die Insel geholt, analysieren die von Beulen gezeichneten Körper und schließen aus dem eigenen Erfahrungsschatz: Hier handelt es sich um die Pest. Pamuk fing bereits im Jahr 2016, also vier Jahre vor der CoV-Pandemie, mit dem Schreiben seines Werkes „Die Nächte der Pest“ an, nichtsahnend, dass er selbst einmal eine Pandemie erleben würde. Die Handlung seines Romans verlegte der türkische Literaturnobelpreisträger in die Zeit des Osmanischen Reiches, als tatsächlich vielerorts die Pest wütete. Anhand des historischen Settings thematisiert er Nationalismus und gesellschaftliche Dynamiken. Vor allem verblüfft aber das Spiel zwischen Fakten und Fiktion.        

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Nach Mitternacht
Claassen

9. ex aequo: Irmgard Keun (13 Punkte) NEU            

„Nach Mitternacht“, Ullstein

„Nach Mitternacht“, Irmgard Keuns erster Exilroman, zwischen 1935 und 1936 entstanden, und ein Jahr darauf in Amsterdam erschienen, gilt als eines der Hauptwerke der deutschen Exilliteratur. Der Roman, damals ein Welterfolg, ist nun mit umfassendem Nachwort neuaufgelegt worden. Aus der Perspektive der 19jähigen Sanna, einer lebenshungrigen, jungen Frau, erzählt Keun von der Machtergreifung der Nationalsozialisten, beklemmend, scharfsichtig, und zugleich sarkastisch. Die regimekritische Sanna, die von ihrer eigenen Tante an die Gestapo verraten wird und nur knapp einer Festnahme entkommt, steht dem Irrsinn, wie die Autorin damals selbst, verständnislos gegenüber. Ein freies Leben ist im Deutschland der 1930er-Jahre unmöglich geworden. „Wir leben nun einmal in der Zeit der großen deutschen Denunziantenbewegung“, heißt es einmal im Buch. „Kaum eine andere Schriftstellerin schrieb mit so viel Witz und so viel literarischem Verstand über eine Welt, die gerade dem Untergang entgegenraste.“ (NZZ) Irmgard Keun konnte nach dem Krieg lange nicht mehr an ihren Erfolg anschließen. Sie starb 1982 in Köln.


Vernichten
DuMont

9. ex aequo: Michel Houellebecq (13 Punkte)     

„Vernichten“, DuMont
Übersetzung: Stephan Kleiner, Bernd Wilczek

Schon Wochen vor der Veröffentlichung von Michel Houellebecqs neuem Roman wurde wild spekuliert, was sich hinter dem Titel „Vernichten“ wohl verbergen würde. Der Verlag hatte eine strenge Sperrfrist auferlegt, im Netz kursierten Raubkopien – einen solchen Hype schafft Literatur nur selten. Seit 11. Jänner liegt der Roman nun vor, darin macht Houellebecq seinem Ruf als Seismograph der Gegenwart alle Ehre. Die Rahmenhandlung ist im Jahr 2027 angesetzt, Frankreich befindet sich in einem schmutzigen Wahlkampf rund um die Präsidentschaftswahlen, ein radikaler Liberalismus hat sich als politischer Mainstream durchgesetzt. Vor diesem Hintergrund erzählt Houellebecq die Geschichte einer unglücklichen Familie, in deren Zentrum ein zerrüttetes Liebespaar steht. Ungewohnt für Houellebecq: Die Liebe erweist sich als Rettungsanker im Daseinskampf angesichts des Irrsinns der Welt. Insgesamt zeigt sich der Schriftsteller von einer weniger zynischen und provokativen Seite – ein altersmildes Werk, wie viele Kritiker meinen.

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