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ORF

Die besten 10 im Jänner 2022

Die Jury hat aus den unzähligen Neuerscheinungen ihre Lieblingsbücher gewählt.

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Paradies
Penguin

1. Abdulrazak Gurnah: (51 Punkte)  NEU  

Das verlorene Paradies“, Penguin  
Übersetzung: Inge Leipold  

Abdulrazak Gurnah: Als die Schwedische Akademie den Namen des diesjährigen Literaturnobelpreisträgers verkündete, herrschte im deutschsprachigen Raum zunächst große Ratlosigkeit. Zum einen war dem Nobelpreiskomitee mit dieser Entscheidung mal wieder eine große Überraschung gelungen, zum anderen waren keine deutschen Übersetzungen des tansanisch-britischen Autors aufzutreiben. Der Penguin-Verlag hat nun eine Wiederauflage von Gurnahs Roman „Das verlorene Paradies“ vorgelegt, der 1994 für den Booker Price nominiert war und als der literarische Durchbruch des Schriftstellers gilt. Die Handlung spielt in Ostafrika, gegen Ende des 19. Jahrhunderts. An Hand des Schicksals des zwölfjährigen Yusufs entwirft Gurnah ein ebenso detailreiches wie ambivalentes Porträt der multiethnischen Gesellschaft Ostafrikas und konfrontiert seine Leserinnen und Leser mit den Schrecken der deutschen Kolonialherrschaft.   

Herscht
S. Fischer

2. László Krasznahorkai (39 Punkte)   

„Herscht 07769“, S. Fischer
Übersetzung: Heike Flemming

Der ungarische Schriftsteller László Krasznahorkai ist einer der bekanntesten europäischen Autoren. Zuletzt wurde er mit dem Österreichischen Staatspreis für europäische Literatur ausgezeichnet, auf den Wettlisten für den Literaturnobelpreis steht er seit Jahren ganz weit oben. Seinen jüngsten Roman „Herscht 07769“ siedelt er in Thüringen an: in einer fiktiven Kleinstadt, die von Neonazis unterwandert wird. Die Zahl im Titel ist die Postleitzahl des erdachten Ortes, Herscht Florian heißt die Hauptfigur. Der Roman besteht aus einem einzigen, vor sich hin wuchernden Satz. Und ist auch eine radikale Auseinandersetzung damit, was von der Idee der Freiheit seit der Wende 1989 in den Ländern des so genannten Ostblocks übrig geblieben ist. László Krasznahorkai beweist mit diesem Roman abermals, dass sein Werk völlig zurecht zur Weltliteratur gezählt wird.

Mehr auf Ö1

                  

Aichinger
Edition Korrespondenzen

3. ex aequo: Helga und Ilse Aichinger (17 Punkte)              

„Ich schreib für Dich und jedes Wort aus Liebe“, Edition Korrespondenzen

Mit Ilse Aichinger, so heißt es, hat die Literatur nach 1945 begonnen: Zum ersten Mal in der österreichischen Literaturgeschichte ist das Wort „Konzentrationslager“ in ihrer Erzählung „Das Vierte Tor“ gefallen, ein Text, der zur Vorlage für ihren berühmten Roman „Die größere Hoffnung“ geworden ist. Ilse Aichinger wurde 1921, wenige Minuten vor ihrer Zwillingsschwester Helga, als Tochter einer jüdischen Ärztin in Wien geboren. Helga konnte kurz vor dem Krieg mit einem der letzten Kindertransporte nach London fliehen, Ilse blieb bei der Mutter in Wien und musste mitansehen, wie Großmutter, Onkel und Tante deportiert wurden. Der Briefwechsel der vom Schicksal so tragisch getrennten Zwillinge wurde anlässlich des 100. Geburtstags Ilse Aichingers nun erstmals veröffentlicht.

Kairos
Penguin

3. ex aequo: Jenny Erpenbeck (17 Punkte) NEU      

Kairos“, Penguin           

Die Bücher der 1967 in Ostberlin geborenen Autorin Jenny Erpenbeck sind von internationalem Weltrang und werden von Lesern wie auch vom Feuilleton gleichermaßen gefeiert. In ihrem jüngsten Roman „Kairos“ kehrt Erpenbeck in das Ostberlin der Wendezeit zurück. Eine kaum erwachsene Frau und ein verheirateter Schriftsteller über 50 verlieben sich ineinander. Es ist eine außergewöhnliche Beziehung voller Zweifel, Hoffnung und tiefsten Empfindungen. Zwei unterschiedliche Generationen prallen aufeinander, der Vater des Schriftstellers war begeisterter Nazi, der Sohn ging freiwillig in die DDR. Es ist eine verbotene Liebe im Intellektuellenmilieu, die vor einem bestimmten Moment der deutschen Geschichte stattfindet. Erpenbeck erzählt die Historie der ehemaligen DDR gleich mit. Dennoch steht im Zentrum des Romans die Suche nach Wahrheit. Was ist Lüge? Was ist Wahrheit?

Kukum
Wieser

5.  Michel Jean (15 Punkte)

Kukum“, Wieser
Übersetzung: Michael von Killisch-Horn 

Michel Jean zählt zu den wichtigsten indigenen Schriftstellern Kanadas, in seinem Schreiben setzt er sich immer wieder mit dem Schicksal der autochthonen Bevölkerung des Landes auseinander. „Kukum“ bedeutet in der Sprache der Innu „Urgroßmutter“, und so ist es auch die Geschichte seiner Urgroßmutter Almanda Siméon, die Michel Jean in dem gleichnamigen Roman erzählt. Mit 15 Jahren verliebt sich Almanda in den jungen Innu Thomas Siméon – allen kulturellen Barrieren zum Trotz heiraten die beiden und leben fortan unter dem Nomadenstamm, dem er angehört. Über diese ungewöhnliche Liebesgeschichte erzählt Michel Jean auch von der schrittweisen Zerstörung der indigenen Kultur, deren Angehörige in Reservate gesperrt wurden und die Vernichtung ihrer Lebenswelt mitansehen mussten. Ein Roman über das wohl dunkelste Kapitel der kanadischen Geschichte. 

Tagebuch
Diogenes

6.  Patricia Highsmith (13 Punkte) NEU     

Tage- und Notizbücher“, Diogenes
Übersetzung: Melanie Walz, pociao, Anna-Nina Kroll, Marion Hertle und Peter Torberg

Die Starautorin Patricia Highsmith galt bis zu ihrem Tod im Jahr 1995 als unnahbar, scheu, geradezu abweisend. Interviewfragen beantwortete sie meist wortkarg und ausweichend, um das Innenleben der Autorin wusste lange Zeit niemand Bescheid. Umso sensationeller der Schatz, auf den Diogenes-Verleger und Nachlassverwalter Daniel Keel nach Highsmiths Tod stieß: in einem Wäscheschrank ihres Hauses fand er 18 Tage- und 36 Notizbücher, in denen die Schriftstellerin über Jahrzehnte akribisch ihre Gedanken notiert hatte. Anlässlich Highsmiths 100. Geburtstag wurde das 8000 Seiten umfassende Konvolut nun in Auszügen zugänglich gemacht. Alkoholismus, lesbische Liebe, das Schreiben als beinah spirituelle Notwendigkeit: Highsmiths „Tage- und Notizbücher“ geben erstmals einen intimen Einblick in die Gedankenwelt der Autorin und machen sie als komplexen und widersprüchlichen Charakter erfahrbar.

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William
Luchterhand

7. ex aequo: Elizabeth Strout: (10 Punkte) NEU     

Oh William!“, Luchterhand
Übersetzung: Sabine Roth 

Seit ihrem mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Roman „Mit Blick aufs Meer“ hat sich die amerikanische Schriftstellerin Elizabeth Strout den Ruf einer begnadeten Beobachterin der Gattung Mensch erschrieben. Es sind die Facetten des Alltags, die kleinen und großen zwischenmenschlichen Dramen, um die ihre Romane kreisen und denen sich die Schriftstellerin mit ebenso viel Witz wie Feingefühl nähert. „Oh, William!“ heißt ihr jüngster Roman, und wer mit dem Strout'schen Romankosmos vertraut ist, wird unter den Figuren eine alte Bekannte wiederfinden: Lucy Barton. Strout schickt ihre Protagonistin, eine erfolgreiche New Yorker Schriftstellerin, auf einen Roadtrip durch Amerika, an ihrer Seite: der titelgebende William, Lucys Ex-Mann und Vater ihrer beiden Töchter. Schritt für Schritt wird die Geschichte zweier Menschen erzählt, die sich zuerst gefunden, dann getrennt und letztendlich nie verloren haben.  

nach meinem tod
Suhrkamp

7. ex aequo:  Pier Paolo Pasolini (10 Punkte) NEU    

Nach meinem Tod zu veröffentlichen“, Suhrkamp
Übersetzung: Theresia Prammer

Als frühen Auftakt zum hundertsten Geburtstag Pier Paolo Pasolinis legt die Übersetzerin Theresia Prammer einen zweisprachigen Auswahlband der späten Gedichte des Regisseurs, Romanciers, Essayisten und Dichters vor. Schon weit weg von seinem jugendlichen Schaffen im friulanischem Dialekt und seiner Annäherung an die kommunistische Partei (PCI) des Nachkriegsitaliens, wird die Lyrik für Pasolini in seiner römischen Zeit immer mehr das Medium für sozialkritische und politische Entwürfe. In seinem späten Gedichtband „Trasumanar e organizzar“ heißt es an einer Stelle „Poesia su ordinazione è ordigno“ („Auftragsgedichte sind Sprengsätze“). Pasolinis Denken und Wirken war selbst ein Sprengsatz, der sich gegen alles und jeden richtete, egal ob er für die Zeitschrift „Tempo“ ein Gedicht über Rudi Dutschke verfasste oder Gedichte wie „Patmos“ und „La raccolta die cadaveri“ über den Bombenanschlag auf der Mailänder Piazza Fontana im Dezember 1969.

Unzertrennlichen
Rowohlt

7. ex aequo:  Simone de Beauvoir (10 Punkte) NEU         

Die Unzertrennlichen“, Rowohlt
Übersetzung: Amelie Thoma

Es ist ebenso erstaunlich wie erfreulich, dass es aus dem Nachlass Simone de Beauvoirs noch solche Schätze zu bergen gibt: Bis zu ihrem Tod im Jahr 1986 hat Simone de Beauvoir gezögert, das Manuskript von „Die Unzertrennlichen“ zu veröffentlichen. Warum, ist bis heute ungeklärt, aber es mag damit zu tun haben, dass Beauvoir darin den frühen Tod ihrer Jugendfreundin Élisabeth „Zaza“ Lacoin verarbeitet hat. 2020 ist der Roman erstmals in Frankreich erschienen, nun liegt die deutsche Übersetzung vor. Beauvoir erzählt darin von einer innigen Freundschaft zweier junger Frauen aus der Pariser Bourgeoisie. Sylvie verehrt die aufmüpfige und eigensinnige Andrée, eifert ihr mit aller Kraft nach und hegt eine fast obsessive Zuneigung für sie. Doch Andrée droht immer mehr an dem bürgerlichen Korsett, in das sie von ihrer herrschsüchtigen Mutter gezwängt wird, zu zerbrechen. 

mein onkel
Unionsverlag

10. ex aequo:  Bachtyar Ali (8 Punkte) NEU       

Mein Onkel, den der Wind mitnahm“, Unionsverlag 
Übersetzung: Ute Cantera-Lang und Rawezh Salim   

„Saddam Hussein hat mein Leben zerstört.“ - sagt der 1966 im Norden des Irak geborene kurdische Autor Bachtyar Ali. Mehrmals wurde er inhaftiert und schwer verletzt. In den 1990er Jahren ist er aus dem Irak nach Deutschland geflohen. Auf Deutsch ist nun sein jüngster Roman „Mein Onkel, den der Wind mitnahm“ erschienen. Das schmale Buch ist eine Parabel mit märchenhaften Motiven und tragischem Hintergrund. Der Protagonist namens Djamshid Khan wird unter Saddam Hussein verhaftet, gefoltert und magert bis auf die Knochen ab. Er wird so „leicht wie Papier“, wie es im Buch heißt. Der Wind trägt ihn fort, am Ende verliert er nicht nur seine Erinnerung, sondern auch die Heimat. Diese Heimatlosigkeit, zu der Djamschid Khan verurteilt ist, lässt sich auf das Schicksal aller Flüchtlinge übertragen, auch auf Bachtyar Ali selbst.



beamte
Hanser

    

10. ex aequo: Herta Müller (8 Punkte) NEU   

Der Beamte sagte“, Hanser

„Denn niemand hat eine eigene Sprache, auch Schriftsteller nicht. Es gibt nur die Wörter, die es gibt, die hat jeder, und aus diesen Wörtern, wenn man sie so zusammensetzt, wie sie noch nie waren, entsteht Poesie.“ Die Collagen der Herta Müller bilden inzwischen ein eigenes Genre innerhalb des Werks der Literaturnobelpreisträgerin: seit mehr als 30 Jahren sammelt die Schriftstellerin Wörter, die sie in Zeitungen oder Magazinen findet, ausschneidet und zu neuen poetischen Kunstwerken zusammensetzt. In ihrem jüngsten Buch „Der Beamte sagte“ ist aus dieser Kunsttechnik erstmals eine eigenständige Erzählung entstanden, die sich mit einer wichtigen Station innerhalb der Biographie der Schriftstellerin befasst: 1987 reiste Herta Müller nach Westdeutschland, wo sie eineinhalb Jahre in einem Auffanglager für Flüchtlinge verbringen musste, da die deutschen Beamten ihr unterstellten, eine Agentin des Ceauşescu-Regimes zu sein.

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