
kreuz & quer reportage
Streit und Bekenntnis - Das Konzil von Nicäa
Es ist die erste Auslandsreise, die Papst Leo XIV. ausgerechnet in die Türkei führt: Dort trifft das katholische Kirchenoberhaupt in Íznik, einer kleinen Stadt südöstlich von Istanbul, das Ehrenoberhaupt der Orthodoxen Kirche, den Patriarchen Bartholomaios. Der Ort hat Geschichte – mit großer Wirkung: In Nikáia oder Nicäa (wie Íznik in der Antike hieß) trat die erste gesamtkirchliche Versammlung unter Kaiser Konstantin zusammen – vor genau 1.700 Jahren. Es war jenes „Konzil von Nicäa“, das die bis heute gültige gemeinsame Glaubensgrundlage aller christlichen Kirchen formulierte. Es brachte eine theologische Klärung der Frage, wer Jesus Christus im Glaubensbekenntnis der Kirche ist, und es legte den Ostertermin fest. Das Konzil, das von Kaiser Konstantin einberufen wurde, ist auch ein Meilenstein in der Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche im Römischen Reich.
Es gibt aber auch einen Bezug zu Österreich: Denn die Vorgeschichte beginnt in Carnuntum, der ehemaligen Hauptstadt der Provinz Oberpannonien im östlichen Niederösterreich. Hier versammelten sich im Jahr 308 vier römische Kaiser, wie Eduard Pollhammer, der wissenschaftliche Leiter in Carnuntum, erzählt. Mit dabei war Kaiser Diokletian, der für seine Reformideen, aber auch für seine grausame Christenverfolgung bekannt ist. In der Kaiserkonferenz von Carnuntum sollte die Tetrarchie, die Vierteilung des Reiches, erneuert werden. Stattdessen kam eine Entwicklung in Gang, in der sich Konstantin zum Alleinherrscher aufschwingen konnte. Schon 311 endeten die Christenverfolgungen. 324 besiegte Konstantin seinen Kontrahenten Licinius, den letzten verbliebenen Mitkaiser. Im Jahr darauf versammelte er die Bischöfe in Nicäa.

In der Dokumentation „Streit und Bekenntnis – Das Konzil von Nicäa“ von Christian Rathner, zu der die Ausgrabungen und Rekonstruktionen von Carnuntum eine eindrucksvolle Kulisse bilden, kommen in „kreuz & quer reportage“ Fachleute aus drei verschiedenen Kirchen zu Wort: Die Wiener evangelische Kirchenhistorikerin und Spätantike-Spezialistin Uta Heil macht die große Bedeutung des ersten ökumenischen Konzils für das gesamte Christentum deutlich und berichtet über historische Hintergründe. Der katholische Theologe und Judaist Martin Steiner, der in Luzern unterrichtet, legt das Augenmerk vor allem auf die, wie er sagt, „Israel-Vergessenheit“ des Konzils, das im Nachdenken über den Sohn Gottes das jüdische Leben Jesu in den Hintergrund rückte. Ein Brief, den Kaiser Konstantin nach dem Konzil verfasste, enthält judenfeindliche Passagen und weist in eine bittere Zukunft. Der serbisch-orthodoxe Theologe, Maler und Kunsthistoriker Davor Džalto erklärt die grundlegende Bedeutung der ersten sieben Konzilien für die Gesamtkirche. Ein Bischofskonzil ist für ihn lediglich ein Sonderfall für die Kirche insgesamt, die er vom Wesen und vom Wortsinn her als Versammlung versteht.

Der Musiker und Kaiser-Darsteller René Frank zeigt einige seiner beeindruckend authentischen Kaiser-Gewänder und macht es auf diese Weise leicht, sich in die Zeit der Spätantike zurückzuversetzen. Zudem machen Bilder aus Íznik Geschichte sichtbar. Zur Zeit des Konzils war Nicäa noch keine christliche Stadt. Ganz anders als 787, als zum zweiten Mal ein ökumenisches Konzil in Nicäa stattfand. Damals standen den Bischöfen Kirchen zur Verfügung, darunter wie in Konstantinopel eine „Hagia Sophia“. Heute ist Íznik/Nicäa muslimisch geprägt und die Hagia Sophia eine Moschee.
Gestaltung
Christian Rathner
Redaktion
Helmut Tatzreiter