Erbe Österreich

Wien zur Kaiserzeit - Bilder von damals

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Wer heute seinen Blick über manches Wiener Grätzl schweifen lässt, erkennt die alte Zeit, eine Ära des städtebaulichen Wandels und eine Epoche, in der sich das Leben in der Stadt stark verändert hat. Nichts deutet heute am Naschmarkt darauf hin, dass unter ihm der Wienfluss fließt, Orte wie der Gasometer und die Alte Donau waren damals ländliche Vororte und unberührte Wildnis.

Auf alten Fotografien der Wiener Ringstraße sieht man flanierende Frauen mit weiten Röcken und Männer mit Melone und Sonnenschirm. Auf der berühmten Einkaufsmeile, der Mariahilferstraße, stürmen die Kunden die neuen Einkaufspaläste, während im Hinterhof der Konsumtempel die sogenannte Gründerzeitarmut herrscht. Harte Arbeit, aber auch die stetige Suche nach Vergnügen und dem einfachen Glück trieben die Menschen durch die neue Metropole – einer Stadt der Boulevards mit einem Sinn für Sommerfrische und ein Ort des Wandels.

Gänsehäufel
ORF/Riha Film/Album Verlag
Gänsehäufel
Kinder im Wurstel-Prater
ORF/Riha Film/Album Verlag
Kinder im Wurstel-Prater

Der Wandel der Wiener Stadt von 1850 bis 1912 ist nicht nur an errichteten Straßenzügen, Prachtbauten oder versetzten Flüssen erkennbar. Die Menschen, ihre Arbeit und deren Veränderungen des Alltags – ausgelöst durch einen unvergleichlichen Baurausch – zeigen die eigentliche Verwandlung der Stadt. Diese irreversible Stadtveränderung war den damaligen Zeitgenossen bewusst; und so wurde nicht nur das Wien der Prachtbauten dokumentiert, sondern - durch die aufkommende Alltagsfotografie um 1900 - auch das Leben der Einwohner. Die Apparate wurden handlicher und günstiger und Stadtchronisten wie August Stauda, Victor Angerer und Emil Mayer hielten das Wien im Wandel fotografisch fest. Besonders an den heutigen, kleinen Wiener Ecken und Grätzln, an denen sich der Facettenreichtum der Stadt zeigt, sind die baulichen Veränderungen der letzten eineinhalb Jahrhunderte gut erkennbar.

Wiener Gasometer im Hintergrund
ORF/Riha Film/Album Verlag
Wiener Gasometer im Hintergrund

Renommierte Konzertsäle, große Kirchen und prachtvolle, nostalgische Bauten befinden sich auf den wichtigsten Verkehrsknotenpunkten der Stadt. Tausende Besucher und Einwohner bewegen sich täglich zwischen Leuchtreklamen und modernen Geschäftsfassaden, Hochhäuser und riesige Büroanlagen gehören heute zum gewohnten Stadtbild. Kaum jemand kann sich heute vorstellen wie Wien vor rund 170 Jahren aussah. Zur Jahrhundertwende glichen viele der heute schönsten Plätze Wiens verwahrlosten Gstettn und ländlichen Vororten. Innerhalb weniger Jahrzehnte veränderten der Wille zum Bauen und der Glaube an die Technik das Gesicht der Stadt. Gewässer wurden reguliert, wichtige Flüsse versetzt und neue Straßen angelegt. Neue Technologien und deren innovative Umsetzung machten Wien zur Metropole und zum baulichen und politischen Zentrum der Habsburger Monarchie.

Wienflussregulierung Kärntnerstraße.
ORF/Riha Film/Album Verlag
Wienflussregulierung Kärntnerstraße.

Vor rund 170 Jahren hatte Wien um die 50.000 Einwohner. Die Stadt war auf die Fläche der heutigen Inneren Stadt begrenzt, umringt von einem Verteidigungsring, dem Glacis. Durch die Eingemeindung der Vororte stellten die Bastei, das Glacis und der Linienwall ein städteplanerisches Hindernis dar. So entstand die Wiener Ringstraße. Sie sollte das Verbindungsstück zu den eingemeindeten Vororten sein. Wien wuchs auf 2,000.000 Einwohner heran und das Leben der alten und neuen Wienerinnen und Wiener veränderte sich drastisch. Mit der Regulierung des Wienflusses, des Donaukanals und der Donau schuf man neuen Wohnraum und Platz für neue Künste, während die neue Stadtbahn Wien immer näher zusammenrücken ließ. Während fleißig an der Metropole gebaut wurde, suchten die Menschen das Vergnügen und die Sommerfrische im Prater und an der „neuen“ Alten Donau. Persönliche Bilder der damaligen Einwohner dokumentieren das.

Zwar lässt Regisseur Norman Vaughan Schlüsselfiguren der Stadtgeschichte wie Architekt Otto Wagner, Bürgermeister Karl Lueger und Kaiser Franz Josef in seiner Dokumentation nicht unerwähnt, rückt aber den kleinen Regionalpolitiker, der sich gegen die oberirdische Stadtbahn wehrte, den Kaufmann, der die Konfektionsgrößen in Österreich etablierte und den berühmten Waldviertler, der eine Insel auf der Alten Donau besetzte, in den Vordergrund. Außerdem Weißnäherinnen, Marktstandler und Glücksritter, wodurch das Lebensgefühl und der Alltag im damaligen Wiens am authentisch gezeigt werden.

Marktleben
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Marktleben

Die Erzählungen der Eltern und Großeltern, der Einblick in das private Familienarchiv und die Verbindungen der Protagonistinnen zum Erzählort, bieten den persönlichen Zugang in die Jahrhundertwende. Interviews mit SoziologInnen, HistorikerInnen und WissenschafterInnen verdeutlichen den Zusammenhang zwischen den großen Baumaßnahmen und die Veränderung des Alltags und der Stadt. Sie setzen die persönlichen Bilder und deren Geschichten in einen städtebaulichen bzw. gesellschaftshistorischen Kontext.

Optisch baut diese Dokumentation auf die umfangreichen, historischen Archive des Wien Museums, der Österreichischen Nationalbibliothek und der zahlreichen Bezirks- und Privatarchiven auf. Es wird während der Dokumentation auf die Verwendung von Stichen, Gemälden und malerischen Werken verzichtet um die Stimmung des „Realbildes“ nicht zu verlassen. Durch die digitale Nachbearbeitung erhalten die Fotografien neue Lebendigkeit und Archivmaterialien wie zum Beispiel „Wien um 1912“ und „Société Lumière machen die Licht-Bild-Reise in die Jahrhundertwende vollständig. Besonderen Wert haben die persönlichen, historischen Aufnahmen der damaligen Einwohnerinnen und Einwohnern, die noch nicht im Fernsehen veröffentlicht wurden.

Karlsplatz und Naschmarkt
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Karlsplatz und Naschmarkt

Die Protagonisten:

  • Andreas Lorenzi, Betriebswirt, Stahlwarenverkäufer und Messerschleifer: Er ist der Inhaber eines seit 185 Jahren geführten Familienbetriebes „Stahlwaren Lorenzi“ in der Siebensterngasse in Wien.
  • Herr Ehrenberger, Pensionierter Trabrenntrainer: Er übt den Beruf in dritter Generation aus.
  • Herr Gruber, Fischhändler und -Verkäufer: Familie Gruber hat ihren Fischstand am Wiener Naschmarkt seit über 140 Jahren.
  • Frau Lengheim, Ruderin aus einer alt eingesessenen „Favoritner“ Familie: Sie ist Ehrenmitglied des 1908 gegründeten Rudervereins „Die Argonauten“, erzählt vom Rudern und vom Traditionssport an der Alten Donau.

Experten:

  • Robert Eichert, Bezirkshistoriker 1210 Gänsehäufel, Alte Donau, Wasser- und Badevergnügungen
  • Dr. Peter Trutzla, Präsident des Wiener Trabrennvereins Geschichte des Wiener Trabrennvereins Krieau
  • Mag. Dr. Sándor Békési, Wien Museum Kartografie, Ansichtskarten, Umwelt- und Verkehrsgeschichte
  • Mag. Dr. Martina Nussbaumer, Wien Museum Alltags- und Kulturgeschichte, Wien-Klischees, Berufs- und Arbeitswelt
  • Dr. Andreas Nierhaus, Wien Museum Otto Wagner, Ringstraßenbau, Architektur und Skulptur Wien Museum
  • Univ.Doz. Dr. Werner-Michael Schwarz, Wien Museum Mediengeschichte, Arbeitswelt, Freizeitkultur, Pratersammlung

Regisseur: Norman Vaughan
Animation: Roman Hansi
Recherche: Theresa Pfahler

Dokumentation, 2020