Wem erzählen?
Das Vernichtungslager Mauthausen nahe Linz: Symbol für Schuld und Schande Nazi-Deutschlands und dem – wenn damals auch nominell nicht existierenden – Österreich. Mindestens 100.000 Internierte wurden darin ermordet. Regisseur Ernst Gossner fokussiert in seinem Film auf den Tag der Befreiung am 5. Mai 1945 durch die US-Armee. „Wem sollen wir das alles erzählen?“, war die Frage, die die Befreiten quälte. Und Gossner gibt fünf Überlebenden reichlich Raum, zu erzählen: von Folter, Entmenschlichung und dem Weg zurück ins Menschsein. Alle Protagonistinnen und Protagonisten sind mittlerweile gestorben. Der ORF zeigt die Doku anlässlich des Internationalen Tages des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.
Das Erzählen von dem schier Unaussprechlichen war für viele der Holocaust-Überlebenden eine kaum zu bewältigende Bürde: „Die ersten 20 Jahre konnte ich nicht darüber sprechen, die zweiten 20 Jahre wollte niemand zuhören. Danach kam etwas in Bewegung“, sagte Esther Bauer, eine Zeitzeugin im Film.
Ehemalige KZ-Häftlinge waren im Nachkriegs-Österreich nicht eben gern gesehen. Wie war die Welt, in die sie zurückgekommen sind? Wie haben sie die Befreiung empfunden und wie ihre Würde zurückerlangt? Und konnten sie das Vertrauen in die Menschheit wiedergewinnen? Es sind viele Fragen, die Regisseur Gossner in seinem Film aufwirft. Und wenn seine Interview-Partnerinnen und -Partner auch eine hohe Lebensfreude und Energie auszeichnet – von einem Überwinden der erlittenen Traumata kann keine Rede sein. So schildert der Film, die Unmöglichkeit der ehemaligen Häftlinge, nach den erlittenen Gräuel noch an Gott zu glauben, den wahrgewordene Albtraum, der für immer nachwirkt.
„Ich lag vor dem Krematorium, aber ich betete nicht, ich wünschte es mir nur. Später sagte ich meinen Kindern die Wahrheit, dass ich seit Jahren nicht mehr an Gott geglaubt hatte. Wie könnte ich an Gott glauben?“, erzählt die Überlebende Maria Kreuzmann.
Die Begegnung mit seinen Befreiern schildert Michael Popik: „Es war als würde man seinen Vater oder Bruder wiedersehen, wir haben sie umarmt, aber sie haben uns weggestoßen, weil wir dreckig waren. Später war uns klar, dass wir so dreckig waren, aber wir packten trotzdem ihre Beine und küssten ihre Stiefel, so glücklich waren wir.“
Das Credo „nie wieder“ zieht sich als roter Faden durch Ernst Gossners Film. Zu vergessen ist für Holocaust-Überlebende eine Unmöglichkeit. So sagt einer der Zeitzeugen in der Doku: „Ich bin nicht vom Holocaust besessen, aber er ist präsent, überall, wo ich auch hingehe. Selbst wenn ich in einen Club Med. gehe, oder auf eine Kreuzfahrt. Für eine Minute, für eine kurze Rückblende, ist er wieder in meinem Leben, wenn ich realisiere, dass meine Mutter und mein kleiner Bruder in den Gaskammern starben, nicht nur sie, sondern auch Tausende andere.“
Hergestellt in Zusammenarbeit mit dem ORF Film/Fernsehabkommen.