Weites Land
Niederösterreich
Niederösterreich: Land der landschaftlichen Kontraste, der vier Viertel, der Kreisverkehre. In dieser Ausgabe ihrer mentalitätsgeschichtlichen Landvermessung, klopft Regisseurin Jennifer Rezny Österreichs größtes Bundesland auf Klischees, vermeintliche Wahrheiten und unwidersprochene Eigenheiten ab: Ist etwas Wahres daran, wenn man Niederösterreicher*innen mangelndes Selbstwertgefühl attestiert oder ist dies längst überwunden? Und wenn doch nicht, wo liegen darin die historischen Wurzeln? Stimmt es, dass in St. Pölten die erotischsten Frauen leben? Und warum ist der Karpfen der Professor unter den Fischen? Zu Wort kommen Protagonist*innen aus allen Bevölkerungsschichten. Prominente Mitwirkende ist Schauspielerin Erni Mangold.
Wonach riecht Niederösterreich, will Jennifer Rezny wissen? Nach einem Saustall, nach Schnitzel und Fett im besten Sinne oder prickelnd wie kurz vor einem sommerlichen Platzregen, sagen die von ihr Befragten. So divers die Antworten, so unterschiedlich sind auch die Mentalitäten in den unterschiedlichen Regionen des Bundeslandes.
Früher habe man sich geschämt, Waldviertler zu sein, sagen Thomas und seine vier Söhne, die einen Karpfenteich besitzen. In ihrer Region würden die Menschen „losern“, ein Dialektausdruck für horchen. Erst würden sie innehalten und abwarten, mit wem sie es zu tun bekommen und sich erst dann öffnen. Nicht anders verhalte sich der Professor unter den Fischen, der Karpfen. Ob seiner Intelligenz überlege er genau, ob er bei einem ausgeworfenen Köder zubeißt.
In ganz Niederösterreich wie auch im übrigen Bundesgebiet wirke das Trauma der Ersten Weltkrieges nach, als ein Weltreich zu seiner heutigen Größe zusammenschrumpfte, analysiert Erika, die Plüsch zu Leben erweckt. Die Starzingerin ist Tierkostüm-Schneiderin.
Der Auslöser des Ersten Weltkriegs ist in ihrer Familiengeschichte eingeschrieben, erzählt Alix, Schlossherrin in Artstetten. In ihrem feudalen Heim hängt nicht von ungefähr ein Porträt von Erzherzog Franz Ferdinand, ist sie doch seine Ururenkelin. Auch wurde der beim Schussattentat von Sarajewo ermordete Thronfolger in der Familiengruft bestattet. Sie bezeichnet die Niederösterreicher*innen als „gebremst herzlich“.
Die Menschen in St. Pölten seien Auskenner. Sie würden bei aller Anerkennung selbst Marcel Hirscher erklären, wie man „richtig“ Ski fährt oder Luciano Pavarotti, wie man „richtig“ singt, meint der Autor und Liedermacher Roul. Warum dies so sei? Vielleicht weil man in St. Pölten unbedingt mit dem Rest der Welt mithalten wolle.
Queer zu sein, sei im „Landeshauptdorf“ St. Pölten noch viel schwieriger als in der Großstadt, wissen Elektrikerin Lex und IT-Techniker Oskar, die sich „typisch niederösterreichisch“ bei der Vereinsarbeit kennengelernt haben.
Er bräuchte Niederösterreich eigentlich nie zu verlassen, denn das Land biete landschaftlich alles – von Bergen, über die Hügel bis hin zur flachen Ebene, schwärmen der Weinviertler Mittelalter-Musiker Arnulf und seine Frau Karin. Sie sei froh, dass sie im Waldviertel lebe, sagt Erni Mangold. Die Menschen hier seien angenehm, schweigsam und „niemand geht dir auf den Hammer“.
Regie
Jennifer Rezny