Universum

Shiretoko - Japans eisiger Norden

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Die Halbinsel Shiretoko: Eines der abgelegensten Gebiete Japans beherbergt eine der dichtesten Braunbär-Populationen der Welt, bietet Riesenseeadlern eine Überwinterungsmöglichkeit und richtet für Orcas ein üppiges Fischbuffet an.

Eintausend Kilometer nördlich der pulsierenden Metropole Tokio liegt Hokkaido, eine der vier Hauptinseln des japanischen Archipels. Auf einem Gebiet, das in etwa der Fläche Österreichs entspricht, beherbergt Hokkaido nicht nur eine der spektakulärsten, sondern auch eine der wildtierreichsten Regionen des Landes: Shiretoko. Bedeckt von dichten unberührten Wäldern und eingebettet zwischen Japanischem und Ochotskischem Meer sowie dem Pazifischen Ozean zählt die Halbinsel zu den Hotspots der Biodiversität in Japan. Die neue „Universum“-Dokumentation „Shiretoko – Japans eisiger Norden“ von Masa Hayakawa und Harutaka Yano (ORF-Bearbeitung Birgit Skulski) porträtiert ein Naturjuwel, das seinen Artenreichtum einem außergewönlichen Zusammenspiel der Lebensräume Meer und Land verdankt. Einer Synergie, die für Überfluss sorgt und dadurch ein Paradies für Wildtiere schafft.

Feuerwerk der Artenvielfalt 

Zum Erhalt und Schutz ihrer seltenen Arten wurde der größte Teil der fast 70 Kilometer langen Halbinsel im Jahr 1964 zum Naturschutzgebiet erklärt und 2005 schließlich von der UNESCO zum Weltnaturerbe ernannt. Der Nationalpark beheimatet mehrere hundert Braunbären. Im Herbst sammeln sie sich an den Flussufern, um Buckellachse auf ihrer alljährlichen Wanderung abzufangen. Denn die anadromen Fische wechseln zum Laichen vom Salzwasser ins Süßwasser, wo sie auch geboren sind. Den Bären kommt das zugute. Nun können sie sich ausreichend Reserven für die bis zu viermonatige Winterruhe anfressen.

Ein Braunbär watet im seichten Wasser eines Flusses, die linke Vordertatze ist angehoben. Im vordergrund grüner Bewuchs.
ORF/© Doclights Naturfilm / NHK
Im Herbst sammeln sich die Braunbären Shiretokos an Flussufern, um dort Lachse auf ihrer alljährlichen Wanderung abzufangen

Temperaturen von minus 15 Grad Celsius sind dann keine Seltenheit. Wenn das Meer gefriert, nehmen Riesenseeadler aus Russland Kurs auf Shiretoko, um an den letzten offenen Stellen nach Fischen zu jagen. Weltweit existieren nur noch etwa 8.000 Exemplare der mächtigen Greifvögel. Den Sommer verbringen sie im Fernen Osten Russlands. Jeder Dritte von ihnen überwintert auf Hokkaido. Die Vögel schätzen das vergleichsweise „milde“ Klima Japans und im Gegensatz zu ihren Brutgebieten finden sie hier ausreichend Nahrung. Denn die Gewässer rund um Shiretoko gelten als die fischreichsten Japans. In manchen Jahren versammeln sich Gruppen von bis zu 2.000 Riesenseeadlern und warten geduldig, bis die Fischer den Beifang von Bord werfen.

Ein Rotfuchs auf einer asphaltierten Straße, er trägt einen Lachs im Maul, der fast so groß ist wie er selbst.
ORF/© Doclights Naturfilm / NHK
Fette Beute: Ein Rotfuchs hat sich einen Lachs geschnappt

Im Februar erreicht ein Präsent aus dem Norden die Halbinsel. Zunächst sind es nur wenige Fragmente, doch schon bald schieben sich Massen von Packeis Richtung Shiretoko. Hinter ihm liegt eine mehr als tausend Kilometer lange Reise aus dem nördlichen Ochotskischen Meer – getrieben von Wind und Meeresströmungen. Dieses Eis aus arktischen Gewässern setzt einen Kreislauf in Gang. Es transportiert Eisen und andere Nährstoffe, von denen schließlich alle Lebewesen profitieren.

Ein durchscheinendes Meereslebewesen mit sechs Tentakeln um die Mundöffnung. Das umgebende Wasser ist himmelblau.
ORF/© Doclights Naturfilm / NHK
Ruderschnecken schweben scheinbar wie Engel durchs Wasser. Aber die winzigen Wesen sind gnadenlose Räuber.

Unter dem Eis treibt unterdessen ein unschuldig anmutendes Wesen durch das glasklare Wasser. Doch der See-Engel hat eine teuflische Seite – er ist ein gnadenloser Miniaturräuber. Diese marine Schnecke benutzt winzige Flügel zur Fortbewegung. Mit ihren sechs Tentakeln schnappt sie ihre Beute und saugt sie bei lebendigem Leib aus.

Temperaturumschwung bringt Nahrungsfülle 

Ende März klettern die Temperaturen wieder über den Gefrierpunkt. Aufgrund der Klimaerwärmung fast jedes Jahr ein wenig früher. Der Zeitpunkt markiert den Startschuss für eine Zeit des Überflusses. Winzige Algen färben das Eis braun. Dank der Kraft der Frühlingssonne wird das im Packeis gebundene Eisen freigesetzt und das sogenannte Phytoplankton vermehrt sich explosionsartig. Die einzelligen Pflanzen stehen am Beginn der Nahrungskette und locken wiederum andere an – Krill etwa. Und auf die garnelenförmigen Krebstiere folgen Fische – gejagt von Sturmtauchern aus Australien – sowie Finnwale. Schließlich erreichen Orcas von Süden her die Küste. Die größten Vertreter der Delfinfamilie bilden das Ende der Nahrungskette.

 

Shiretokos enge Verknüpfung zwischen Meer und Land macht die Halbinsel so besonders, ihre Tierwelt so vielfältig. Doch der Klimawandel droht dieses empfindliche Zusammenspiel aus dem Takt zu bringen. Allein in den letzten vier Jahrzehnten ging das Packeis im Ochotskischen Meer um 25 Prozent zurück. „Shiretoko – Japans eisiger Norden“ entstand als Koproduktion von NHK und Doclights GmbH im Auftrag des NDR in Zusammenarbeit mit ORF und ARTE.

Bearbeitung

Birgit Skulski