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Universum

Unbekanntes Madagaskar (1): Im Dschungel der Lemuren

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„Der achte Kontinent“ – das ist der klingende Beiname für eine der größten Inseln der Erde: Madagaskar. Eines von weltweit nur 17 Megadiversitätsländern.

Seit rund 90 Millionen Jahren haben sich hier, isoliert von äußeren Einflüssen, Tausende Tier- und Pflanzenarten entwickelt, die weltweit nur auf dieser mächtigen Landmasse im Indischen Ozean zu finden sind. Die zweiteilige „Universum“-Dokumentation „Unbekanntes Madagaskar“ von Thomas Behrend (ORF-Bearbeitung: Doris Hochmayr) zeigt bekannte, aber auch weniger geläufige Besonderheiten dieser überbordenden Artenvielfalt. Der erste Teil „Im Dschungel der Lemuren“ widmet sich den tierischen Bewohnern des feuchtwarmen Regenwaldes im Osten der Insel: Hier turnen Dutzende Lemuren-Arten in den Baumkronen, wie etwa die sagenumwobenen Indris. Schlangen, die Ästen täuschend ähnlich sehen, liegen auf der Lauer und die igelartigen Streifentenreks „morsen“ mit Hilfe ihrer Rückenstacheln, um im Dickicht Kontakt zu halten.

Madagaskar zählt zu den sogenannten „alten Inseln“ der Erde. Bereits vor etwa 90 Millionen Jahren wurde sie vom indischen Subkontinent abgetrennt und liegt seither im Indischen Ozean vor der Ostküste Afrikas. Bis vor rund 2.500 Jahren war die viertgrößte Insel des Planeten vom Menschen unbewohnt. Ein bewaldetes Paradies, in dem sich Pflanzen und Tiere völlig ungestört entwickeln konnten. Rund drei Viertel aller Arten sind endemisch. Deshalb gilt Madagaskar als Megadiversitätsland, von denen es weltweit nur 17 gibt.

Matriachat in den Baumkronen

Während der Westen von trockenen, heißen Savannen bestimmt ist, wartet der Osten der Insel mit feuchtwarmen Regenwäldern auf. Sie sind die Heimat der Lemuren – Halbaffen, die es nur auf Madagaskar gibt. Die größten unter den etwa 100 verschiedenen Arten sind die Indris. Frühmorgens dringen ihre Rufe durch die Baumkronen. Jede Familie steckt so akustisch ihr Revier ab, bevor sie sich auf ausgedehnte Futtersuche begibt. Die Blätter des Dschungels sind meist wenig nahrhaft, weswegen die Indris nur bestimmte Futterpflanzen wählen. Und die müssen erst gefunden werden.

Ein großer Lemur sitzt auf einem Ast und hält sich mit Vorder- und Hinterpfoten an einem dünnen Baumstamm fest. Seine runden Augen sind bernsteinfarben, das Fell im Gesicht schwarz.
ORF/NDR/Doclights/Blue Planet Film/Thomas Behrend
Der Indri ist der größte aller Lemuren. Seine Rufe erinnern an die Gesänge von Buckelwalen.

Bei den Indris haben die Weibchen das Sagen. Sie wählen einen Partner fürs Leben, mit dem sie sesshaft in einem Revier ihre Jungen großziehen. Gelegentlich suchen fremde Weibchen, die noch keinen Partner gefunden haben, Anschluss bei solchen Familien. Wer bleiben darf, entscheidet die Clan-Chefin. Denn jeder zusätzliche Esser belastet die Versorgungssicherheit im eigenen Revier.

Außergewöhnliche Nachbarschaft

Indris bewohnen die Baumkronen und begegnen ihren Nachbarn am Fuße der dicken Stämme so gut wie nie. Hier unten leben zum Beispiel die Streifentenreks, eine kleine endemische Säugetierart, die dem Igel ähnelt. Streifentenreks fressen pro Tag so viel wie sie selbst wiegen. Hauptsächlich sammeln sie Regenwürmer, die es im feuchten Waldboden im Überfluss gibt.

Ein winziges Tier mit spitzer Schnauze, runden Ohren und kleinen Augen. Es ist mit feinen Stacheln bedeckt. Weiters sind Rinde, Totholz und Moos im Bild.
ORF/NDR/Doclights/Blue Planet Film/Thomas Behrend
Der Streifentenrek sieht zwar aus wie ein Igel, gehört aber einer nur auf Madagaskar vorkommenden Tierfamilie an. Der kleine Säuger verständigt sich mit seinen Artgenossen mit Hilfe spezieller Rückenstacheln, die er gegeneinander reibt.

Da die Jungen sehr bald selbst jagen, gehen sie leicht verloren. Doch junge Tenreks sind für den Notfall bestens gerüstet: Sie erzeugen mit ihren Rückenstacheln bestimmte Geräuschfolgen. Der „Morsealarm“ erreicht die Mutter, die ebenfalls akustische Zeichen sendet, bis der kleine Ausreißer zur Familie zurückgefunden hat.

Schier unsichtbar bewegt sich das größte Chamäleon der Welt durchs Geäst. Stattliche 70 Zentimeter Körperlänge sind für das Parsons-Chamäleon kein Handicap bei der Insektenjagd.

Ein leuchtend grünes Chamäleon auf moosbedecktem Untergrund. Seitlich hat es einen gelben Fleck. Es trägt einen braunen Nasenfortsatz.
ORF/NDR/Doclights/Blue Planet Film/Josh Miller
Das Parsons Chamäleon gehört mit einer Länge von bis zu 70 Zentimetern zu den größten Chamäleons unserer Erde

Seine langsamen Bewegungen machen das große Tier in der üppigen Vegetation förmlich „unsichtbar“. Tarnkünste dieser Dimension werden nur noch von der Blattnasennatter übertroffen. Um nicht aufzufallen, folgt die bleistiftdünne Schlange exakt den Krümmungen der Äste, auf denen sie sich fortbewegt. Verlängerte Schuppen am Kopf lassen das Haupt der Schlange wie ein schmales Blatt aussehen. Ein lebendiger Ast – mit großem Appetit.

Die enorme Vielfalt der endemischen Fauna und Flora Madagaskars ist heute stark bedroht. Die jahrzehntelange wirtschaftliche Not der Bevölkerung hat tiefe Spuren im exotischen Paradies hinterlassen. Von den ursprünglichen Waldbeständen sind nur noch rund zehn Prozent erhalten. Mit jedem neuen Feld, jeder Brandrodung und jeder neuen Siedlung schwindet der Jahrtausende alte Dschungel der Lemuren unwiederbringlich – und mit ihm all seine einzigartigen Bewohner.

Audiodeskription gefördert von VGR GmbH

Gestaltung

Thomas Behrend

Bearbeitung

Doris Hochmayr