Universum

Qatar – Perlen im Sand

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Qatar, vieldiskutierter Austragungsort der Fußball-Weltmeisterschaft 2022, ist ein Land der Extreme.

Der Wüstenstaat an der Westküste des Persischen Golfs ist nicht größer als Oberösterreich und zählt aufgrund riesiger Erdgasvorkommen zu den reichsten Ländern der Erde. Gleichzeitig gehört er zu den größten Verlierern der Klimaerwärmung. Schon jetzt bringen Temperaturspitzen jenseits der 50 Grad Pflanzen, Tiere und Menschen an den Rand des Existenzmöglichen. Jedes Grad zusätzlich bedeutet massive Veränderungen in den ohnedies kargen Lebensräumen. Qatar ist deshalb zu einem Forschungslabor für die Zukunft geworden. Wissenschafter/innen aus aller Welt untersuchen hier gleichsam „live“, mit welchen Strategien Pflanzen und Tiere auf die Erderwärmung reagieren.

Für die neue „Universum“-Produktion „Qatar – Perlen im Sand“, haben sich Doris Hochmayr und Wolfgang Stickler auf eine Reise durch den kleinen Golfstaat begeben, um die Besonderheiten seiner Ökosysteme zu dokumentieren. „Die Qualität der Wüste erschließt sich nicht auf den ersten Blick“, so das Resümee der Gestalter nach monatelangen Dreharbeiten in unwirtlicher Umgebung. „Meist wird nur ihr lebensfeindlicher Charakter gesehen. Uns aber interessierte die beeindruckende Fähigkeit der Natur, sich an extreme Verhältnisse anzupassen. Darin liegt der Reichtum der Wüste, der meist übersehen wird“. Der Film entstand als Koproduktion von ORF, ARTE, Doclights/NDR Naturfilm und SKYLAND Productions in Zusammenarbeit mit ORF Enterprise.

Enorme Anpassungsfähigkeit

Nur Sand, Fels und Steine – soweit das Auge reicht. Vereinzelt wachsen Akazien oder Christusdorn-Bäume in der endlos erscheinenden Ebene. Tiere sind kaum auszumachen. Nach Trinkwasser sucht man vergebens: In Qatar gibt es keine Flüsse und Seen, Regen fällt selten und nur in geringen Mengen, durchschnittlich 80 Millimeter pro Jahr. Da das Lebenselixier fast vollständig fehlt, ist die Natur in Qatar auf wenige, hoch spezialisierte Arten reduziert. Wahre Meister der Anpassung sind die wechselwarmen Reptilien. Der Ägyptische Dornschwanz beispielsweise nimmt Sonnenbäder, um Energie zu tanken und auf Betriebstemperatur zu kommen. Säugetiere wie das Kamel oder die Arabische Oryx-Antilope erhöhen ihre Körpertemperatur auf fiebrige 45 Grad, um ihren Flüssigkeitsbedarf zu senken. Die meisten Tiere jedoch verschlafen den Tag und weichen in die kühleren Nachtstunden aus.

Ein guter Ort, um Nahrung zu finden, sind die sogenannten Rawdat (Arabisch: „Gärten“). Diese Pflanzenansammlungen in der Wüste verdanken ihre Existenz Kalksteinhöhlen, die im Lauf der Jahrmillionen einstürzten. Die entstandenen Senken füllten sich mit nährstoffreichen Sedimenten, die Feuchtigkeit länger speichern und so das Pflanzenwachstum begünstigen. Sie sind die „Supermärkte“ der Wüste: Nachts sind hier Pharao-Eulen, Arabische Rotfüchse und Dreizackblattnasen (Fledermäuse) ebenso anzutreffen wie die Kleine Wüstenspringmaus. Der etwa zehn Zentimeter große Nager kann dank seiner überlangen Hinterbeine Sprünge von bis zu drei Metern schaffen und in einer einzigen Nacht gut zehn Kilometer zurücklegen.

Eine sandfarbene Eule mit dunklem Muster und orangen Augen sitzt auf einem Felsen.
ORF/Skyland Productions/Sultan Al Aseeri
Die Pharao-Eule beginnt in der Dämmerung ihre nächtliche Jagd

Die Wanderdünen Qatars sind weit mehr als eine bloße Anhäufung von Sand: Jede für sich bildet ein eigenes Habitat, das etliche Tier- und Pflanzenarten beherbergt, wie die palästinensische Ökologin Sara Abdul Majid belegen konnte. Ihre Forschung gilt einem Tier, das sein gesamtes Leben in einer einzigen Düne verbringt – dem Apothekerskink.

Eine kleine Eidechse auf einer Sanddüne.
ORF/Skyland Productions/Martin Stoni
Der Apothekerskink verbringt sein gesamtes Leben in und auf einer Wanderdüne

Die kleine Eidechse entgeht der sengenden Hitze, indem sie in den kühleren Sand unter der Oberfläche eintaucht und sich wie ein Fisch schwimmend fortbewegt. Eine außergewöhnliche Anpassung an einen außergewöhnlichen Lebensraum.

Ein Blick in die Urzeit

Im Südosten erstreckt sich eine einzigartige Landschaft aus Sanddünen, Sabkhas (stark salzhaltigen Ebenen) und einem seichten Meeresarm: Khor Al Adaid. Hier herrschen Bedingungen, denen nur mehr Bakteriengesellschaften standhalten können. Sie bilden weitläufige Matten und öffnen ein Fenster in die Urzeit der Erde, als vor rund dreieinhalb Milliarden Jahren frühe Lebensformen die Evolution in Gang setzen. Der Schweizer Geomikrobiologe Tomaso Bontognali analysiert Stromatolithen, die fossile Form der Bakterienmatten, die ebenfalls in Qatar zu finden sind. Er will ähnliche Strukturen auf dem Mars ausfindig machen. Gelingt dies, wäre das der Nachweis für einstiges Leben auf dem Nachbarplaneten.

Hilfe für Qatars Korallen

Mit durchschnittlichen Sommertemperaturen von bis zu 35 Grad ist der Persische Golf das wärmste Meer der Erde. Auch hier zeigt sich bereits heute, welche Entwicklungen in anderen Meeresregionen zukünftig stattfinden könnten, wenn sie sich weiter erwärmen. Die im Golf ansässigen Korallenarten ertragen höhere Temperaturen als ihre Verwandten weltweit. Nun geraten aber auch sie ans Limit ihrer Anpassungsfähigkeit. Der portugiesische Meeresbiologe Pedro Range versucht daher, durch ein neuartiges Korallenzuchtprogramm auf natürlicher Basis die Resilienz der Korallenriffe zu erhöhen.

Neue Wege durch altes Wissen

„Die Wege der Weisheit führen durch die Wüste“, zitiert Regisseurin Doris Hochmayr einen alten Sinnspruch der Beduinen. „Die Beschäftigung mit den ausgeklügelten Mechanismen, die die Natur in den Ökosystemen der Wüste und des Persischen Golfs entwickelt hat, kann uns neue Möglichkeiten eröffnen. So absurd es klingt – die Wüste könnte zu einem Partner bei der Anpassung an den Klimawandel werden“. Die nomadisch lebenden Beduinen Qatars waren sich des unscheinbaren Reichtums ihrer Umgebung sehr wohl bewusst. Sie lebten von und mit der Wüste und pflegten deshalb einen sorgsamen Umgang mit ihrem Lebensraum. Falke und Kamel, ohne die ein Überleben nicht möglich gewesen wäre, wurden wie Familienmitglieder geachtet. Die angepasste Lebensweise änderte sich grundlegend, als in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit der Erschließung von Öl- und Gasfeldern die Modernisierung des Landes einherging. Mit atemberaubender Geschwindigkeit machten sich die Qatarer von der Wüste unabhängig und bauten künstliche Paradieswelten, die das Leben erleichterten – vollklimatisiert und durch Meerwasserentsalzungsanlagen reichlich bewässert. Riesige Farmen wurden zu neuen Lebensräumen für viele Tierarten, gleichzeitig kamen andere durch die Ausbreitung des Menschen in Bedrängnis. Die Sandkatze oder der Honigdachs sind heute nur noch sehr selten anzutreffen. Um der Entfremdung von der Natur entgegenzuwirken, sammelt der qatarische Archäologe Faisal Al Naimi in vielen Gesprächen mit älteren Menschen das alte Wissen der Beduinen und bereitet es für die heutige Bevölkerung neu auf. Ein wichtiger Beitrag in Zeiten der Klimaerwärmung.

Zwei Männer in weißen Gewändern und Kopfbedeckungen in einem Raum. Auf einem organisch geformten Tisch ohne Ecken und Kanten sind unter Glasstürzen verschiedene Pflanzen ausgestellt. Einer der Männer zeigt auf eine Pflanze. An der Wand hängen Fotos in schwarz-weiß.
ORF/Skyland Productions/Vedran Strelar
Faisal Al Naimi (r.) im Gespräch mit einem Beduinen über essbare Pflanzen in der Wüste

Auch eine Ikone Qatars – die Perlmuschel – erhält eine neue Bewertung. Die exzessive Suche nach Perlen, den Juwelen des Meeres, verhalf Qatar im 19. Jahrhundert erstmals zu Wohlstand. Sie dezimierte jedoch die Bestände dramatisch. Heute wird ihr ökologischer Wert erkannt. Aufgrund der enormen Filterkapazität der Perlmuschel erweist sie sich als ein möglicher Schlüssel für die Verbesserung der Wasserqualität im Persischen Golf. Der brasilianische Meeresökologe Bruno Giraldes und die Zellgenetikerin Alexandra Leitão-Ben Hamadou arbeiten fieberhaft an ihrer großflächigen Wiederansiedelung. Der finanzielle Reichtum Qatars fließt nun verstärkt in Forschungsprojekte wie dieses, um Strategien zu entwickeln, wie ein Leben in einer der heißesten Zonen der Erde künftig möglich bleiben kann. Ein Anfang.

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