Universum

Architekten der Natur - Tierische Baumeister

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Nicht nur der Mensch hat gern ein sicheres Dach über dem Kopf und wünscht sich ein komfortables Zuhause in einem attraktiven Umfeld. Tiere sind da zumindest ebenso anspruchsvoll.

Lange bevor der Mensch seine Burgen, Schlösser und Wolkenkratzer schuf, waren sie bereits am Werk: ob zierliches Insekt, quirliger Fisch oder tatkräftiges Säugetier – Tiere bauen seit Jahrtausenden unterirdische Behausungen, errichten Türme, planen Städte, verschönern ihre Vorgärten und sind sogar Kunsthandwerker. Der Rosttöpfer etwa errichtet für sein Gelege ein bis zu fünf Kilogramm schweres Nest aus Lehm. Dachse legen im Erdreich ausgeklügelte Labyrinthe an, während der kleine Kieferfisch kunstvoll verzierte Schächte in den Meeresgrund zimmert. Die Siedelweber wiederum leben als Kolonie in einem überdimensionalen hängenden Wohnsilo. Doch es gibt auch Baumeister per Zufall: Korallen wie auch Regenwürmer gestalten Landschaften in großem Stil einfach nur durch ihre Art zu leben. Tiere schaffen Lebensräume, die sich ganz und gar in ihre Umgebung einfügen. Sie bauen mit ökologisch verträglichen Materialien, hinterlassen so gut wie keine Problemstoffe und lassen den Menschen mit all seiner Technik tatsächlich ein wenig alt aussehen…

Tiere können, weben, töpfern, zimmern oder flechten, sie haben ein instinktives Gefühl für die Mechanismen der Naturgesetze und verstehen auch einiges von der Kunst des stabilen Hoch- und Tiefbaus.

Architekt unter der Erde

Ein besonders tatkräftiger Vertreter für das Ausheben solider Höhlen untertage ist der Dachs. Der nachtaktive Waldbewohner verbringt viel Zeit des Tages im Kreis des Familienclans im unterirdischen Anwesen. Dachse legen mehrere Kammern und ein Labyrinth aus Haupt- und Nebengängen an. Der Bau wird von Generation zu Generation weitergegeben und kann in manchen Fällen ein Areal von 2000 Quadratmetern umfassen.  

Ein Dachs vor seinem Bau. Trockenes Laub liegt auf dem Waldboden, am Bildrand ist das Gras grün. Der Eingang des Baus befindet sich unter einem mit Moos bewachsenen Wurzelstock.
ORF/DOCLAND YARD-BIGLO PRODUCTIONS
Dachs beim Verlassen seines Baus

Ein einzelner Dachs bewegt im Laufe seines Lebens an die drei Dutzend Tonnen Erdreich. Er belüftet den Waldboden, regeneriert in der Folge die Humusschicht und trägt so zur Pflanzenvielfalt bei. Damit erweist er auch vielen anderen Waldtieren einen wertvollen Dienst. Besonders aber jenen, die stillgelegte Flügel seines „Erdschlosses“ uneingeschränkt nutzen dürfen.

Geflügelte Gestalter

Ganz ohne kräftige Krallen und Pfoten müssen Vögel beim Errichten ihrer Behausungen auskommen. Rösttöpfer - Paare  etwa bauen in der Pampa Uruguays im Alleingang bis zu fünf Kilogramm schwere Nester aus Lehm.  Eingeflochtenes Pflanzenmaterial sorgt für Stabilität, sobald die Sonne den Lehm steinhart gebacken hat. Der Innenraum ist schneckenartig gekrümmt. Die Jungen bleiben für die meisten Fressfeinde daher so gut wie unerreichbar.

Ein kleiner brauner Vogel in seinem runden Nest aus Lehm. Es ist in einer Astgabel eines Nadelbaums platziert.
ORF/DOCLAND YARD-BIGLO PRODUCTIONS
Rosttöpfer (Rufous Hornero) in seinem Nest mit Baumaterialien im Schnabel

In Namibia setzen die kaum 12 Zentimeter langen Siedelweber auf Teamwork. Sie leben in Kolonien und errichten gemeinsam Wohnsilos von immenser Größe.  Die Bauwerke bestehen aus verflochtenen Gräsern und balancieren im Geäst der Wüstenbäume. Oft werden sie viele Jahrzehnte lang von derselben Kolonie bewohnt. Die Halmburgen können vier Meter hoch und bis zu sieben Meter breit sein. Jedes Pärchen besitzt eine separate Wohnkammer mit eigenem Eingang. Alle Mitglieder helfen mit, die ständig nötigen Reparaturen und Erweiterungen zu bewerkstelligen. Gelegentlich hilft auch das Stehlen von Baumaterial bei der Nachbarkolonie, um rascher voranzukommen.

Domizil am Meeresgrund

Manch kleines Lebewesen nimmt es sogar allein mit den Elementen auf, wenn es darum geht, ein sicheres Heim zu errichten. Der Goldstirn-Brunnenbauer gräbt am Grund des Karibischen Meeres Löcher in die Tiefe. Der fingerlange Fisch baggert unermüdlich kleine Steine mit seinem Maul  aus dem lockeren Boden, bis eine zwanzig Zentimeter tiefe Höhle entsteht. Mit kleinen Muschelteilen und Steinstücken befestigt er die Innenwände, indem er sie – einem Puzzle gleich – passgenau aufeinander stapelt. Der Planktonfresser verbringt sein gesamtes Leben in und knapp über der kunstvoll errichteten Behausung. Sofern er den richtigen Ort gewählt hat. Dieser liegt in ausreichend starker Meeresströmung, um täglich genügend frische Nahrung vor seinen Eingang gespült zu bekommen.

Landschaftsgestaltung im kleinen Stil

Einige Tierarten graben und errichten, ohne dabei eine Heimstätte für sich selbst zu bauen.  Sie sind wichtige Landschaftsgestalter in großem Stil – einfach nur durch ihre Lebensweise. Der Regenwurm bohrt sich durch das Erdreich, zerkleinert Plfanzenmaterial und Minerialien. Seine Exkremente sind reinster Humus, ohne den kaum neues Pflanzenwachstum möglich wäre.

Dunkelbraune Erdklumpen, dazwischen ist ein Teil eines Regenwurms mit den typischen Segmenten sichtbar.
ORF/DOCLAND YARD-BIGLO PRODUCTIONS
Regenwurm unter der Erde

Der Regenwurm hat unter der Erde kein Ziel, er kehrt nicht heim. Sein Zuhause ist überall dort, wo seine kräftige Muskulatur  Röhren durch den Waldboden treibt. Ein Vagabund, der seine Wirkstätte durch seine bloße Anwesenheit zu fruchtbaren Lebensräumen macht.

Sozialer Wohnbau

Ein weiterer Baumeister per Zufall lebt in den lichtdurchfluteten, warmen Regionen der Ozeane. Korallenriffe bestehen aus Milliarden von kleinen Nesseltieren, die Kalkskelette bilden, um sich und ihrer Kolonie eine solide Stütze zu verleihen.  Die Strukturen, die diese Bautätigkeit über die Jahrtausende hinweg hervorbringt, sind in der weiten leeren Ebene der Meere willkommene Sammelpunkte für eine Unzahl anderer Meerestierarten. Sie bieten Versteckmöglichkeiten und die Gelegenheit, satt zu werden. Vom millimeterkleinen Plankton bis zum meterlangen Hai entstehen in ihrer Umgebung lückenlose Nahrungsketten. Korallen sorgen so vor den Küsten für einen einzigartigen Reichtum an Krustentieren, Muscheln und Fischarten, der am Ende auch dem Menschen einen vollen Mittagstisch sichert.

Es gibt zahllose Baukünstler im Tierreich. Egal womit und wie gebaut wird, immer ist das Errichten eines Heims die Antwort auf grundsätzliche Bedürfnisse: Schutz vor Wind und Wetter, Sicherheit vor Feinden für sich und seine Nachkommen, Nahrung speichern. Beweggründe, die für Tier und Mensch dieselben sind.  Die Wahl der Baustoffe und die elementare Art, sie zu verarbeiten, macht Tiere jedoch deutlich flexibler, auf Änderungen in der unmittelbaren Lebensumgebung zu reagieren. Stahlbeton ist kein nachwachsender Rohstoff und zwingt seine Benutzer zur Ortstreue. In Zeiten der Klimaerwärmung, die die Lebensbedingungen ganzer Regionen verändern wird, gerät das klimatisierte Wohnzimmer im 30. Stockwerk im direkten Vergleich mit den naturnahen Bauwerken des Tierreichs beinahe ins Hintertreffen.

Regie:  Geoffroy de La Tullaye

Deutsche Bearbeitung ORF: Doris Hochmayr

Audiodeskription gefördert von VGR GmbH