Universum

Die Kanarischen Inseln (1): Nebelwald und Wüsten

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Einst nannte man sie die „Inseln am Rande der Welt“.

Als der antike Geograf Ptolemäus die erste Landkarte der Erde erstellte, waren die Kanarischen Inseln eben das: das Ende der alten Welt. Heute sind die sieben Inseln ein exotisches Paradies für jährlich zwölf Millionen Touristinnen und Touristen. Sie kommen vor allem aus Europa, um Sonne, Meer und ein mildes, frühlingshaftes Klima zu genießen. Die zweiteilige „Universum“-Dokumentation von Michael Schlamberger zeigt die wilde, unbekannte Seite des Archipels abseits besuchter Touristenpfade. „Nebelwald und Wüste“ stehen im Mittelpunkt von Teil 1, „Felsenküste und Vulkane“ von Teil 2. „Die Kanarischen Inseln“ ist eine Produktion von ScienceVision, hergestellt im Auftrag von ORF und NDR Naturfilm/doclights, in Zusammenarbeit mit ORF-Enterprise, SVT und DR.

Eine Meeresschildkröte schwimmt nahe an der Wasseroberfläche, die Spiegelung ist über ihr zu sehen. In der Nähe zwei kleine, hell-dunkel gestreifte Fische.
ORF/ScienceVision/Michael Schlamberger
Kanarische Schildkröte

Ein Highlight der Produktion ist die Musik, die vom zweifachen Emmy-Preisträger David Mitcham aus England komponiert und mit der Janacek Philharmonie in großer Besetzung eingespielt wurde. „Um Davids musikalische Ideen umzusetzen, haben wir ausschließlich akustische Instrumente verwendet“, so Michael Schlamberger, „es sollte ein Klang geschaffen werden, der den Bildern Emotionalität und Dramatik gibt, aber auch eine unverwechselbare Atmosphäre schafft.“

 Der Passatwind spendet Leben

Bis heute haben sich die Kanarischen Inseln ihre wilde Schönheit bewahrt. Jede von ihnen gleicht einem Kontinent im Kleinen. Subtropische Nebelwälder treffen auf karge Vulkanlandschaften und schneebedeckte Gipfel. Unzugängliche Schluchten münden in rauen, zerklüfteten Steilküsten oder ausgedehnten Wüsten. Die Inselgruppe im Atlantik nahe der nordwestafrikanischen Küste trägt den Beinamen „Inseln des Frühlings“.

Pflanzen im Vordergrund, dann Berge und ein Himmel mit Wolken und tief stehender Sonne.
ORF/ScienceVision/Michael Schlamberger
Die Insel Teneriffa

Doch auf derselben geografischen Breite – nur etwas mehr als 100 Kilometer weiter im Osten – liegt die trockene, heiße Sahara. Wie kommt es dann, dass auf den Kanarischen Inseln zum Teil üppige, subtropische Urwälder wachsen und die höchsten Vulkangipfel Schnee abbekommen? Eine Antwort heißt „vientos alisios“. So nennen die Einheimischen die Passatwinde. Beständig wehen sie von Nordost und sind für die Inseln im Atlantik die Grundlage vielfältigen Lebens. Der Passatwind bringt Wasser, er ist der Lebensspender für die Kanaren. Auf seiner langen Reise über das Meer nimmt der Alisio große Mengen an Feuchtigkeit auf. Trifft er auf die Inseln, stauen sich mächtige Wolkenbänke an steilen Bergflanken. Die in der Luft gespeicherte Feuchtigkeit kondensiert und nährt ein einmaliges Naturjuwel: subtropische Lorbeerwälder. Das Wasser fällt hier nicht als Regen: die mächtigen Lorbeerbäume „melken“ die Wolken und sorgen dafür, dass es in dicken Tropfen von ihren Blättern auf den Boden fällt.

 Keine Berge, kein Wasser

Auf den flacheren Inseln bietet sich ein anderes Bild: hier fehlen die hohen Berge, an denen sich die Wolken stauen und ihre feuchte Last abladen. Zum Teil herrscht extreme Trockenheit, große Regionen sind Wüstengebiete. In der Wüste der Insel Fuerteventura lebt die Kragentrappe. Sie ist imstande, ihren Wasserbedarf aus ihrer Nahrung zu gewinnen: Blätter und Blüten, aber auch Käfer und Heuschrecken. Wenn es doch einmal regnet und Wasser- und Nahrungsangebot üppiger sind, beginnen die Hähne zu balzen: Sie präsentieren die weißen Schmuckfedern an ihrem Hals und stolzieren durch die Wüste, um den Hennen zu imponieren.

 Buntes Unterwasserparadies

Unter Wasser sind die Kanarischen Inseln ein bizarres und geheimnisvolles Naturparadies. Seltsam aussehende Kreaturen wie Schmetterlingsrochen gleiten durch unterseeische Lavahöhlen, seltene Engelhaie lauern im schwarzen Vulkansand auf Beute. Aufgrund der geografischen Lage vermischen kräftige Meeresströmungen warmes Wasser der Tropen mit kaltem aus dem Nordatlantik, während aus der Tiefsee unentwegt Plankton an die Oberfläche geschwemmt wird. Das macht diese Gewässer zu einem guten Ort, um Meeressäuger zu beobachten. Bis zu acht Meter und drei Tonnen schwer sind die Pilotwale.

Zwei erwachsene Wale und zwei Jungtiere unter Wasser.
ORF/ScienceVision/Michael Schlamberger
Unterwasseraufnahmen einer Grindwale Famile (Pilotwale)

Sie brauchen täglich 50 Kilogramm Nahrung und jagen meist nachts. Dabei tauchen sie bis zu 1.000 Meter tief, um an ihre bevorzugte Beute, Riesen-Kopffüßer, zu kommen. Tagsüber verbringen sie meist an der Oberfläche und widmen sich ihrem hoch entwickelten Familienleben. Sie leben in Schulen von bis zu 30 Tieren. Die großen Männchen, die „Machos“, verteidigen die Familie gegen Eindringlinge.

 Die Vielfalt der Inseln

Winde und Meeresströmungen haben Tiere und Pflanzen zu den abgeschiedenen Inseln gebracht. Viele sind geblieben und haben sich im Laufe der Jahrtausende spezialisiert und an ein abgeschiedenes Inselleben angepasst. Neue Arten sind entstanden, die nirgendwo sonst auf der Welt existieren. Andere kommen von weit her, um nur einen Teil des Jahres auf den Inseln zu verbringen. Darunter sind die Gelbschnabel-Sturmtaucher, die aus Südamerika kommen, oder die Eleonoren-Falken aus Madagaskar. Sie unternehmen jedes Jahr weite Wanderungen und ziehen ihre Jungen, gut geschützt, in den schroffen Vulkanklippen auf. Die Kanarischen Inseln sind eine faszinierende Welt mit einer erstaunlichen Vielfalt an Klimazonen, Landschaften und Arten. Doch sie sind vor allem ein kleiner, begrenzter Kosmos, in dem alles voneinander abhängig ist. Blieben die Passatwinde aus oder würde sich die Temperatur nur um wenige Grade verändern, würden die Wälder für immer verschwinden. Was dann bliebe, wäre das, womit es vor Urzeiten begonnen hat: eine kahle Vulkanwüste.

 

Gestaltung

Michael Schlamberger