Universum

Die Kanarischen Inseln (2): Felsenküste und Vulkane

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Die zweiteilige „Universum“-Dokumentation „Die Kanarischen Inseln“ von Michael Schlamberger zeigt die wilde, unbekannte Seite des Archipels abseits des Massentourismus.

Einst nannte man sie die „Inseln am Rande der Welt“. Als der antike Geograf Ptolemäus die erste Landkarte der Erde erstellte, waren die Kanarischen Inseln eben das: das Ende der alten Welt. Heute sind die sieben Inseln ein exotisches Paradies für jährlich zwölf Millionen Touristinnen und Touristen. Sie kommen vor allem aus Europa, um Sonne, Meer und ein mildes, frühlingshaftes Klima zu genießen. Im Mittelpunkt von Teil 2 stehen „Felsenküste und Vulkane“. „Die Kanarischen Inseln“ ist eine Produktion von ScienceVision, hergestellt im Auftrag von ORF und NDR Naturfilm/doclights, in Zusammenarbeit mit ORF-Enterprise, SVT und DR.

 Aus Feuer geboren

Die Kanarischen Inseln entstanden vor 20 Millionen Jahren, als es in den Tiefen des Atlantiks gewaltig brodelte. Vulkane brachen am Meeresboden aus, nacheinander tauchten die Inseln aus dem Meer auf. Lanzarote und Fuerteventura sind die ältesten der Kanaren. Vor zwölf Millionen Jahren entstanden Gran Canaria, La Gomera und Teneriffa. La Palma und El Hierro, ganz im Westen gelegen, sind ein bis zwei Millionen Jahre jung. Bis heute ist der Archipel nicht zur Ruhe gekommen. „Isla de fuego y agua“, Insel des Feuers und des Wassers, wird Lanzarote von den Einheimischen genannt. Vor 280 Jahren lag auf Lanzarote das Epizentrum einer Naturkatastrophe, die eine der dramatischsten Vulkanlandschaften der Erde geschaffen hat: die Feuerberge von Timanfaya. Momentan ruht der Vulkan und gibt dem Leben wieder eine Chance. Timanfaya wurde zum Nationalpark erklärt.

 

Abgeschieden vom Festland entwickelten sich auf den Kanarischen Inseln neue Arten mit hoch spezialisierten Verhaltensweisen. Auf Teneriffa wächst eine der seltensten Pflanzen der Welt: der Gefleckte Hornklee, Lotus maculatus. In der Natur gibt es nur noch wenige Exemplare. Um zu überleben, ist die Pflanze eine einmalige Partnerschaft eingegangen – mit Eidechsen. Wollen die Reptilien an den zuckerreichen Nektar der Lotus maculatus, streifen sie mit ihren Köpfchen den Pollen an den Blütenblättern ab, den sie zur nächsten Blüte bringen und sie bestäuben.

 

4.000 Meter ragt die beeindruckende Silhouette des Pico del Teide über den Meeresspiegel. Er ist der dritthöchste Inselvulkan der Welt und nicht nur die höchste Erhebung der Kanaren, sondern ganz Spaniens. Der Teide ist ein schlafender Gigant. Rund um seine Caldera hat er eine riesige, außerirdisch wirkende Landschaft geschaffen. Dichte Dampfschwaden hüllen den Krater ein, schwefelhaltige, flimmernd heiße Gase aus dem Erdinneren, die an die Oberfläche drängen. In dieser Vulkanwüste wächst eine Pflanze, deren purpurfarbene Blüten drei Meter in den Himmel ragen: die rote Tajinaste. Sie erträgt Kälte, Hitze, starke UV-Strahlung und langanhaltende Trockenzeiten und blüht nur ein einziges Mal.

Kegelförmige Pflanzen zwischen schroffen Felsen, im Hintergrund Berge.
ORF/ScienceVision/Michael Schlamberger
Tajinaste im Teide Nationalpark, Teneriffa

 Vielseitiges Inselparadies

Unter Wasser macht ihr vulkanischer Ursprung die Kanaren zu einem spektakulären Naturparadies. „Vier Wochen haben wir im Meer verbracht“, erinnert sich Michael Schlamberger, „jedes Mal, wenn uns die Pilotwale erlaubt haben, mit ihnen zu schwimmen, war es ein atemberaubendes Erlebnis. Sie sind ständig miteinander in Kontakt und kümmern sich rührend um ihre Jungen. Dabei haben wir den ergreifendsten Moment dieser Dreharbeiten erlebt, als ein ‚Macho‘ ein totes Neugeborenes tagelang an der Oberfläche hielt, weil er es nicht aufgeben wollte.“ Im Laufe von zwei Jahren sind mehr als hundert Stunden Bildmaterial entstanden. Einer der Höhepunkte war ein extremer Wintereinbruch am Pico del Teide. Im März 2016 erreichte eine mächtige Schlechtwetterfront Teneriffa. „Auf diesen Moment haben wir lange gewartet“, erzählt der Regisseur, „als es so weit war, traf uns der Wintereinbruch mit voller Wucht. Bis zu zwei Meter tief steckten wir im Schnee. Unser Geländefahrzeug versank, und wir konnten uns nur noch mit Mühe zu Fuß vorwärts kämpfen, um diesen einmaligen Moment zu filmen.“

 Die Heimat der Drachen

Es gibt noch eine einzigartige Tiergeschichte: Als die Dinosaurier bereits ausgestorben waren und sich die Tiere und Pflanzen entwickelten, wie wir sie heute kennen, ging auf El Hierro, der kleinsten und entlegensten Insel der Kanaren, ein Tier an Land, das zwischendurch schon einmal als ausgestorben galt: die El-Hierro-Rieseneidechse. Auf einem unzugänglichen Felsen im Meer hat sie als lebendes Fossil überdauert. Dieser Block, der „Roque de Salmor“, fernab von Menschen und eingeschleppten Räubern wie Katzen, Hunde und Ratten, wurde zur letzten Zufluchtsstätte für die legendären Echsen. Es ist ein Leben am Limit: Etwa 150 bis 200 Miniaturdrachen gibt es noch auf dem winzigen Felsen, und die verdanken ihre Existenz einer Möwenkolonie. Um ihre Jungen zu füttern, bringen die Möwen Unmengen von Heuschrecken auf den ausgesetzten Felsen. Diese Heuschrecken treten im Frühjahr auf den Hochebenen von El Hierro in Massen auf. Von diesem Überangebot leben indirekt auch die Reptilien, denn alles, was die Möwenküken übriglassen, fressen die Riesenechsen. Die Extraportion Eiweiß genügt ihnen, um den Rest des Jahres zu überdauern und sich zu vermehren – bis zum nächsten Frühjahr, wenn die Möwen auf den Felsen zurückkehren und das große Fressen von vorne beginnt.

 

Regisseur Michael Schlamberger: „Wie so viele Echsen auf dem beinahe vegetationslosen Monolithen existieren und sich sogar fortpflanzen können, war lange Zeit ein Rätsel. Der Felsen ist praktisch unzugänglich, wir mussten von einem Helikopter springen, um hier filmen zu können. Mehrere Tage verbrachten wir in Tarnzelten versteckt auf dem winzigen Felsen; doch dabei haben wir die Antwort gefunden: Auf dem ausgesetzten ‚Roque de Salmor‘ brütet jedes Frühjahr eine Kolonie von Möwen, und unser Team konnte erstmals filmen, wie die Riesenechsen von den Möwen profitieren.“

Zerbrechliche Beziehungen

 Die Kanarischen Inseln sind eine faszinierende Welt mit einer erstaunlichen Vielfalt an Klimazonen, Landschaften und Arten. Doch sind sie in erster Linie eine kleine, sehr begrenzte Welt, in der alles voneinander abhängig ist.

Eine gelbe Libelle auf einem Halm.
ORF/ScienceVision/Yeray Seminario
Frühe Heidelibelle (Sympetrum fonscolombii)

Wenn auch nur ein Teilchen dieses Puzzles verschwindet, kann das ganze System zusammenbrechen. Blieben beispielsweise die Passatwinde aus oder veränderte sich die Temperatur um wenige Grade, würden die Wälder für immer verschwinden.

Dichter Wald mit flechtenbewachsenen Baumstämmen und Farn im Vordergrund.
ORF/ScienceVision/Michael Schlamberger
Lorbeerwald im Nationalpark Garajonay, La Gomera

Übrig bliebe das, womit es vor Urzeiten begonnen hat: eine kahle Vulkanwüste. So ist die Entwicklung der Natur auf dem abgelegenen Archipel auch eine Metapher für die Veränderungen der Welt im Großen.