Menschen & Mächte
Die Akte Noricum - Österreichs geheime Waffengeschäfte
Eine Kanone „Made in Austria“, mehrere mysteriöse Todesfälle und ganz viel Geld: Das sind die Zutaten für eine der brisantesten politischen Affären der 1980er Jahre, der sich der ORF mit einer exklusiven „Menschen & Mächte“-Dokumentation von Georg Ransmayr und Gregor Stuhlpfarrer nähert. Im Zentrum des Skandals: Die Waffenschmiede Noricum, eine Tochterfirma der staatlichen Voest Alpine. Sie exportiert – trotz Österreichs Neutralität – Waffen an kriegsführende Länder. Mit Wissen hochrangiger Politiker, etwa der Regierungschefs Bruno Kreisky und Fred Sinowatz sowie weiterer Minister. Um die Geschäfte nicht zu gefährden, sagten Politiker und Voest-Manager über Jahre in aller Öffentlichkeit die Unwahrheit. Bis die Beteuerungen nicht mehr aufrechtzuerhalten waren.
Einer der wichtigsten Zeitzeugen des Noricum-Skandals – der damalige Innenminister Karl Blecha – macht nun seinen Frieden mit der Vergangenheit. Er sagt, dass Herbert Amry, Österreichs Botschafter in Griechenland, seinen Informationen nach von einer CIA-Splittergruppe ermordet worden sein dürfte. Jahrzehntelang hatte Blecha darauf beharrt, dass Amry an einem Herzinfarkt gestorben sei. Blechas Aussagen werfen „ein völlig neues Licht auf die Noricum-Affäre“, sagt der Historiker Thomas Riegler. Botschafter Herbert Amry starb im Juli 1985 auf einem Botschaftsempfang in Athen. Davor hatte er Kenntnis über einen illegalen Waffen-Deal zwischen Österreich und dem damals kriegsführenden Iran erlangt. Er wollte sein Wissen dazu nutzen, um den Deal zu stoppen. Doch Amry starb – und der Deal lief bis 1987 weiter.
Daran änderte auch der Umstand nichts, dass die „Basta“-Journalisten Burkhart List und Otto Grüner die GHN-45-Kanonen in einem jugoslawischen Militärhafen im August 1985 fotografieren konnten. „Das ist die Ausgangsstation für die Aufdeckung des größten Skandals der Republik“, sagt Burkhart List im ORF-Interview. Für „Die Akte Noricum – Österreichs geheime Waffengeschäfte“ hat der ORF im heute zu Kroatien gehörenden Hafen von Ploče (vormals: Kardeljevo) umfangreiche Dreharbeiten durchführen können. Und einen weiteren Geheimnisträger interviewt: Gaan Eisenburger, jenen Mann, der weltweit nach Abnehmern für die Noricum-Kanonen gesucht hat. Im ORF-Interview sagt er über die damaligen Geschäfte: „Der Herr Bundeskanzler Sinowatz kam zu uns und hat gesagt, Ihr müsst dem Iran Kanonen liefern."
„Die Akte Noricum – Österreichs geheime Waffengeschäfte“ zeigt, dass mit Hilfe milliardenschwerer Waffenexporte Österreichs Nahost-Politik akzentuiert wurde. So deponierten Bruno Kreisky und sein Innenminister Erwin Lanc beim Noricum-Deal mit dem Irak einen Wunsch bei Saddam Hussein: Iraks Staatschef sollte seine Unterstützung für den Terroristen Abu Nidal aufgeben. Nach dem Irak 1982 wird ab 1985 auch der Iran mit den Noricum-Kanonen beliefert. Dieses Geschäft ist noch brisanter, denn seit der Revolution 1979 gilt der Iran als Erzfeind des Westens.
1989 beginnt der Prozess gegen die Voest-Manager, 1993 müssen sich die Politiker vor Gericht verantworten. Eine Aufarbeitung der politischen Verantwortung samt Schuldeingeständnis blieb trotzdem aus: „Man wollte nicht ausdiskutieren, dass man diese Waffengesetze verletzt hat, wie man halt in Österreich selten auf den Grund von irgendetwas gehen will“, sagt Anneliese Rohrer, langjährige Innenpolitik-Journalistin bei der Tageszeitung „Die Presse“, im ORF-Interview.
Karl Blecha räumt nun ein, die illegalen Geschäfte aus Staatsräson und Parteidisziplin verteidigt zu haben. Seine Aussagen geben dem Noricum-Skandal eine neue Wendung.