kulturMontag Spezial
"meaoiswiamia" auf der Leipziger Buchmesse
Die Botschaft, die Österreich als Gastland der Leipziger Buchmesse verbreiten will, mag für die deutsche Zunge eine gewaltige Herausforderung sein. Mit dem Slogan „meaoiswiamia“, was auf Hochdeutsch „mehr als wir“ bedeutet will man die doch etwas ruppige „mia san mia“ Mentalität der Alpenländer lieber zu Hause in der Besenkammer lassen.
Kreiert hat das Motto der Wiener Autor Thomas Stangl, das nicht nur auf dem Messegelände, sondern auch in der ganzen rund 600 000 Einwohner großen Stadt zu sehen sein wird. Selbst in der Straßenbahn sind die Sachsen mit dem österreichischen Dialekt konfrontiert, und zwar von keinem Geringeren als dem Nino aus Wien. Ob der Liedermacher und Literat mit der Parole zwischen den Stationsansagen vielleicht für kleine bis größere Irritationen sorgen wird? Wie fit ist die größte Publikumsmesse Deutschlands im österreichischen Dialekt?
Der „kulturMontag Spezial“ zur Leipziger Buchmesse, durch den Literaturressortleiterin Imogena Doderer führt, stellt die Probe aufs Exempel. Offen und divers, progressiv und zukunftsmutig, humorbegabt und zu Selbstkritik fähig will sich Österreich in Leipzig präsentieren.
Ein sehr vielfältiges Bild dieses Landes will Katja Gasser, die künstlerische Leiterin des österreichischen Gastland-Auftritts, in Leipzig, zeigen. Drei Dinge benötige man allerdings dafür: „Offenes Ohr, offenes Herz und offenes Hirn“. Gemeinsam mit der Crème de la crème von Österreichs Literat*innen wollen die Macher mit einem Sonderbudget von 2,2, Millionen Euro für den Gastlandauftritt ganz bewusst auf der Leipziger Buchmesse, der ältesten der Welt, irritieren und nichts weniger als die ganze Stadt erobern.
So zum Beispiel mit der ungewöhnlichen Literaturshow „Werdet Österreicher“, die von dem Satiriker-Duo Stermann/Grissemann in der Schaubühne Lindenfels moderiert wird, die heimische Klischees aufs Korn nimmt. Einen Schreibwettbewerb der „Schule für Dichtung“ hat Leiter Fritz Ostermayer dafür unter dem Titel „Die Verbesserung von ganz Österreich“ ausgeschrieben. Rund 360 Texte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sind eingetroffen, die drei besten satirischen Werke werden prämiert. Wie sehr sich die Teilnehmer*innen für ihre literarischen Klischees des Österreichischen kein Blatt vor den Mund genommen haben, wird sich weisen. Mit der ihm eigenen liebevollen Gehässigkeit wird das deutsch-österreichische Duo dem Abend wohl die Krone der Respektlosigkeit aufsetzen und so auch noch jegliches Ösi-Abbild vom genussvoll zelebrierten Selbsthass toppen.
Literarische Gustostückerln der jüngeren Autor*innen-Generation werden im Österreich Pavillon mit der Serie „Archive des Schreibens“ präsentiert. Dafür entwickelte der ORF ein „filmisches Archiv österreichischer Gegenwartsliteratur“, das sowohl im linearen Fernsehen im Rahmen des kulturMontag als auch auf der Online-Plattform Topos gezeigt wird:
von Anna Baar, die jüngst mit dem Großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet wurde bis zu
Ferdinand Schmalz, der für sein Stück „jedermann(stirbt)“ mit dem Nestroy-Theaterpreis und für „den skurrilen Text „Mein Lieblingstier heißt Winter“ mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis prämiert wurde,
von dem literarischen Poetry-Slammer Elias Hirschl
bis zum musikalischen Grenzgänger Daniel Wisser - 20 unkonventionelle Porträts, die einen Querschnitt durch das literarische Schaffen bieten. Seit 1995 ist Österreich erstmals wieder als Gastland auf einer Buchmesse vertreten. Ein wichtiger Booster, um sich international stärker zu positionieren.
Herzstück der Österreich-Präsentation ist die Ausstellung „Jetzt und Alles“, die Literaturmuseumschef-Chef Bernhard Fetz gemeinsam mit Kerstin Putz gestaltet hat und zu einer Zeitreise zu den wichtigsten Autor*innen der letzten 50 Jahre einladet. Wie experimentierfreudig, vielstimmig, streitbar und musikalisch Österreichs Literatur ist, wird durch das Werk von Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek, Peter Handke, Ilse Aichinger oder Marlene Streeruwitz deutlich.
Welchen Einfluss die Schriftsteller*innen auf die folgenden Generationen haben, analysiert Clemens Setz, Österreichs jüngster Büchner-Preisträger im Gespräch. Seine Texte sind literarische Sonderzonen, im Grenzbereich zwischen Surrealismus und Science-Fiction, sublimem Horror und groteskem Humor.
Kurios und ein wenig exzentrisch mag manchem die Cosplayer-Szene anmuten, die von der Leipziger Buchmesse nicht mehr wegzudenken ist. Ob Darth Vader, oder Spiderman, Harry Potter oder Hulk, Asterix oder Aragorn aus Tolkiens „Herr der Ringe“ – seit rund zehn Jahren mischen sich die bunt-gewandeten Marvel-, Comic- und Sci-Fi-Fans unter die Leseratten am Lesefest und tragen somit sogar ein Stück weit zu dem besonderen Charme der Buchmesse bei. Doch nicht nur für die Super-Helden aus Star Wars & Co ist die Leipziger Buchmesse ein wichtiger Frühjahrstreff.
Seit mehr als 60 Jahren ist die sächsische Metropole Partnerstadt Kiews und betreibt intensiven Austausch sowohl im kulturellen, wirtschaftlichen als auch im politischen Bereich. Zahlreiche ukrainische und russische Autor*innen werden zur Messe erwartet. Das Trauma des Krieges und die Allgegenwart von Verlust und Trauer spiegeln sich in ihren Texten wider.
Den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung, der seit 1994 jährlich vergeben wird, erhält in diesem Jahr die russisch-jüdische Autorin Maria Stepanova. Für ihr waches Geschichtsbewusstsein in ihrer Poesie wird die 1972 in Moskau Geborene, die derzeit im deutschen Exil lebt, ausgezeichnet. Doch schon im Vorfeld regte sich gegen die Entscheidung heftiger Widerstand aus der ukrainischen Community, Proteste erwartete Messe-Direktor Oliver Zille.
Wie erschüttert unsere liberale Demokratie ist, dieser Frage geht der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck in seinem neuen Buch „Erschütterungen. Was unsere Demokratie von außen und innen bedroht“ nach. Im kulturMontag-Interview lotet er die Scherben einer Ostpolitik aus, die im Verhältnis zu Russland zu lange nur auf die Prinzipien „Frieden vor Freiheit“ und „Wandel durch Handel“ gesetzt hat. Eindrücklich zeigt er, wie es in Zukunft gelingen kann eine wehrhafte Demokratie zu werden.
„Nichts bist du, nichts ohne die anderen“, hat die mährisch-österreichische Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach einmal geschrieben. Und so will das Gastland mit dem literarisch-musikalischen Event „Wildes Österreich“ auf die widerspenstige Qualität des homo austriacus aufmerksam machen und auch den Geschmack Österreichs in Leipzig ermitteln.
Denn das Land hat doch mehr zu bieten als das berühmte Wiener Schnitzel oder die legendäre Sachertorte. Morbide wie die Österreicher sind, lädt man hier gar zu mörderischen Menüs mit Krimistars wie Alex Beer, Marc Elsberg oder Eva Rossmann ins Cafè Grundmann ein.
Links:
- „meaoiswiamia“ - Österreich in Leipzig 2023
- Archive des Schreibens
- „meaoiswiamia“ - Podcast-Reihe: Literaturgespräche mit Katja Gasser
- Leipziger Buchmesse-Sammelrezension
- JETZT & ALLES - Ausstellung ÖSTERREICHISCHE LITERATUR. DIE LETZTEN 50 JAHRE
- JETZT & ALLES - Das Buch zur Ausstellung
- „Die Geschichte von Romana. Das Amadoka-Epos 1“ - Sofia Andruchowytsch
- „Erschütterungen. Was unsere Demokratie von außen und innen bedroht“ - Joachim Gauck, Helga Hirsch