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Kultfigur Kasperl - König der Narren

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Er trägt ein Dauergrinsen im Gesicht und dreht der Welt die buchstäblich lange Nase. Sein bester Freund taugt zum Kuscheltier und anstatt ein Krokodil zu verdreschen, gibt er sich mit einem verschmusten Drachen ab. Seit 65 Jahren ist er überdies Star des ORF-Fernsehens. Der Kasperl – jener, der aus dem Ensemble der Wiener Urania-Puppenbühne hervorging ebenso, wie seine zahllosen Artgenossen und Epigonen – gilt als Kultfigur vor allem der Kinder.

Kasperl
ORF

Das war bei weitem nicht immer so: Seine Vorfahren waren Raufbolde, ungehobelt und vulgär. In seiner Doku zeichnet Regisseur Christian Hager die Entwicklung der Figur vom italienischen Arlecchino über den derben Hanswurst, von der propagandistisch instrumentalisierten Puppe, bis zum heutigen Liebling eines ganz jungen Publikums nach.

Nikolaus Habjan
ORF/epo film

Cancel Culture: das Nicht-Konforme verbannen, das politisch Unkorrekte untersagen. Ein politisches Schlagwort, das manchen sauer aufstößt. Der Grazer Puppenspieler und -Designer Nikolaus Habjan zählt zu den renommiertesten seiner Zunft, längst hat er auch die großen Bühnen mit seiner Kunst erobert. Zu seinem Beruf inspiriert hat ihn einst der Kasperl – ihm seinen subversiven Charakter zu nehmen und ihn durch den Mainstream weich zu spülen, hält er für äußerst problematisch: „Wenn der Kasperl in ganz feste, übervorsichtige Pädagogen-Watte gepackt wird, dann wird die Figur wertlos“, sagt er im Interview.

Schon einmal wurden die zotigen Späße des Kasperls – oder vielmehr seines Vorgängers, des Wiener Hanswurst – gecancelt: seine ausfällige Fäkalsprache wurde im 18. Jahrhundert von Maria Theresia und später von ihrem Sohn, Joseph II, mit Zensur belegt. Vor allem der Schriftsteller und Professor für politische Wissenschaft, Joseph Freiherr von Sonnenfels, führte dagegen einen veritablen Feldzug. Die Wandlung der wortgewandten Renaissance-Figur mit ausgeprägter Narrenfreiheit des Arlecchino der italienischen Commedia dell´arte zum Rauf- und Trunkenbold vollzog sich auf dessen Reise nach Norden.

Kasperlfiguren
ORF/epo film

Im südbayerischen Raum bzw. im Salzburger Lungau trat er als Sauschneider in Erscheinung, bevor er sich zum Wiener Hanswurst weiterentwickelte. Das bayerische Schliersee ist heute ein Zentrum der Kasperltheater-Kunst. Auf dem jährlich stattfindenden Festival versammeln sich internationale Stars des Genres. Uwe Spillmann etwa führt seine selbstgeschriebenen Stücke unter anderem auf Plattdeutsch auf und knüpft an die Tradition der Jahrmarkt-Gaukler an. Er macht den Wandel des Kasperls von dessen Ventil- zur Vorbild-Funktion nachvollziehbar.

Gerhard Polt
ORF/epo film

Schirmherr des Festivals ist Bayerns Kabarettstar Gerhard Polt, der vor seiner Karriere als Puppenspieler arbeitete. „Er nimmt den Dingen den Ernst. Das heißt: er ist leichtsinnig, er ist gutmütig und er ist nicht aggressiv. Er wehrt sich nur. Aber die, die ihn angreifen, die rutschen aus“, sagt er zur Figur des Kasperls.

Eine höchst bedenkliche Vorbildfunktion hatte der Kasperl, wann immer er propagandistisch missbraucht wurde. Im 1. Weltkrieg wurde er – mit grauer Feldmütze ausgestattet – zur Hebung der Truppenmoral an die Front und in Lazarette geschickt. Im roten Wien mutierte er zum Vorzeige-Genossen. Und die Nazis ersetzten das zu dreschende Krokodil mit der Figur des Juden, die übelst antisemitisch mit einer grotesk verzerrten Grimasse versehen wurde.

André Heller
ORF/epo film

Der vielgeliebte Kasperl, der zum Staunen verführt und ein Lächeln in Kindergesichter zaubert – nämlich jener aus dem Urania Puppentheater – war ernsthaft in Gefahr, die Bühne stand vor der Schließung. Vor drei Jahren wurde sie von André Heller übernommen und so ihr Fortbestand gesichert. Er meint, durch sie können schon kleine Kinder an das Kulturleben herangeführt werden: „Es ist ganz bestimmt so, dass wenn die Kinder nicht ins Kasperltheater oder in ein anderes Puppentheater gehen würden, sie nie eine Brücke zum großen Theater finden würden“

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