Zweiter und letzter Teil:

kreuz und quer

Die Bibel-Jäger (2)

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Auf Müllhalden werden nur selten Schätze gefunden, aber am Rande einer ägyptischen Siedlung des Altertums war das anders. Forscher fanden dort in antiken Mülldeponien uralte Handschriften. Die Sensation: Unter den Manuskripten waren bis dahin unbekannte Jesus-Überlieferungen.

Der Sand über der antiken Müllhalde und das heiß-trockene Klima Ägyptens waren die idealen Konservierungsbedingungen am Rande der Siedlung mit dem sperrigen Namen Oxyrhynchus. In verschiedenen Schichten fand man (ab Beginn der Grabungen Ende des 19. Jahrhunderts) dort entsorgte Papyrus-Texte aus der hellenistischen, der römischen und der byzantinischen Epoche der ägyptischen Geschichte. Für Furore sorgte der Fund zweier junger britischer Archäologen, Bernard Grenfell und Arthur Hunt: Sie förderten Fragmente eines unbekannten Evangeliums aus dem Ende des zweiten Jahrhunderts zutage – mit Aussprüchen Jesu, die man bis dahin nicht gekannt hatte.

"kreuz und quer": Die Bibel-Jäger
ORF/off the fence
Pater Justin bei Katharinenkloster in Ägypten.

Ein halbes Jahrhundert später, 1945, stießen Forscher im weiter südlich gelegenen Nag Hammádi aus Zufall auf die vollständige Evangeliumsschrift mit diesen Aussprüchen Jesu. Ein Hirte hatte das antike Manuskript in einem vergrabenen Tonkrug gefunden. In insgesamt 114 Sprüchen legt Jesus dem Apostel Thomas seine „Geheimlehre“ aus. Dieses von der antiken gnostischen Lehre inspirierte Thomasevangelium war eine Sammlung von einerseits aus der Bibel bekannten, andererseits bis dahin völlig unbekannten Jesus-Worten. Bei manchen der neuen Aussprüche Jesu ist bis heute umstritten, ob darin Aussagen des historischen Jesus von Nazareth bewahrt sind oder ob hier gnostische Lehren Jesus in den Mund gelegt werden. Nach Lehre der Gnosis sollte durch eine geistliche „Erkenntnis“ (Gnosis) Erlösung von der materiellen Welt erlangt werden. In jedem Fall werfen das Thomasevangelium und andere gnostische Schriften aus Nag Hammádi ein neues Licht auf die Spielarten eines damals verbreiteten gnostischen Christentums. Hatte man bis zu den Funden von Nag Hammádi die gnostischen Lehren nur aus christlich-polemischen Schriften gekannt, so lagen nun erstmals Originaldokumente dieser Lehre vor.

Was wiederum die Frage aufwirft: Warum wurden diese Schriften eines alternativen Christentums nicht in den Kanon, das Verzeichnis der biblischen Bücher, aufgenommen? Diesen und anderen Fragen geht der Historiker und Archäologe Jeff Rose im zweiten Teil der „kreuz und quer“-Dokumentation über die „Bibel-Jäger“ des 19. und 20. Jahrhunderts von Tilman Remme (ORF-Bearbeitung: Rosemarie Pagani-Trautner) nach.

Die Einsicht in die Vielfalt des frühen Christentums im Ringen um die authentische Auslegung der christlichen Botschaft verunsicherte viele Gläubige. Fragen nach der historischen Glaubwürdigkeit der alttestamentlichen Geschichten und der neutestamentlichen Jesus-Tradition führten, wie die Doku zeigt, zu lebhaften Diskussionen. Auch wenn vieles davon heute als geklärt gilt, bleibt die heikle Frage nach der göttlichen Inspiration angesichts der keineswegs irrtumsfreien biblischen Autoren in der Debatte um Bibelfundamentalismus bis heute ein wichtiges Thema.

Redaktion

Christoph Guggenberger