'Zum Weltfrauentag am 8.3.24'

kreuz und quer

Das Mädchenhaus

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Kinderheirat und Zwangsehe sind verboten, immer noch werden in Indien junge Mädchen und Frauen vielfach in eine ungewollte Ehe gezwungen.

Die Folgen sind gravierend: Ohne Ausbildung bleibt den Betroffenen meist nur ein Leben in Abhängigkeit. Und ihre Töchter müssen diese fatale Tradition später oft fortsetzen.

Im südindischen Chennai versuchen engagierte Sozialarbeiterinnen den Teufelskreis zu durchbrechen. Ihr „Mädchenhaus“ bietet Kindern und Jugendlichen eine Zuflucht – und versucht, ihnen durch gute Bildung und Ausbildung eine neue Perspektive zu eröffnen.

Doch die Traditionen reichen weit zurück. Die preisgekrönte Dokumentation „Das Mädchenhaus“, die „kreuz und quer“ zum Weltfrauentag zeigt, begleitet eine Betreuerin des Wohnheims bei ihrem überzeugten Kampf für ein selbstbestimmtes Leben ihrer Schützlinge.

Im patriarchal geprägten Indien sind Mädchen nach wie vor vielfachen Diskriminierungen ausgesetzt. Vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial prekären Verhältnissen werden häufig als Minderjährige verheiratet. Amulpriya gehört mit ihren 20 Jahren schon zu den Älteren im „Mädchenhaus“ von Chennai. Längst will ihre Familie die junge Frau verheiraten, doch bislang konnte sich Amulpriya mit Erfolg gegen eine arrangierte Ehe wehren. Ihr zur Seite steht dabei die Sozialarbeiterin Sunitha.

Als Leiterin des „Mädchenhauses“ von Chennai, das zur indischen NGO „Paadhai“ gehört, versucht sie alles, um ihren Schützlingen eine selbstbestimmte Perspektive im Leben zu eröffnen. Doch hier in Südindien steht Tradition gegen Emanzipation und gilt eine Heirat vor allem in sozial schwachen Familien oft als einziges Mittel, Mädchen zu versorgen.

Ein eigenständiges Leben dank guter Bildung und Ausbildung wird nicht als erstrebenswertes Ziel für junge Frauen gesehen. Amulpriya jedoch begehrt gegen die Pläne ihrer Mutter auf, die die Tochter trotz der eigenen schlimmen Erfahrungen in einer arrangierten Ehe sehen möchte.

Amulpriya gehört mit ihren 20 Jahren schon zu den Älteren im „Mädchenhaus“ von Chennai. Längst will ihre Familie die junge Frau verheiraten.
ORF/Journeyman TV/ Natalia Preston/© Isabelle Casez
Amulpriya gehört mit ihren 20 Jahren schon zu den Älteren im „Mädchenhaus“ von Chennai. Längst will ihre Familie die junge Frau verheiraten.

Auch die Mutter von Malini (10) und Manisha (7) hat Traumatisches erlebt. Sie wurde mit gerade einmal 14 Jahren an einen Cousin verheiratet und bekam mit ihrem Ehemann die beiden Kinder. Der Vater hat die Familie längst verlassen, der neue Ehemann ist Alkoholiker. Aus Sorge um ihre Enkelinnen möchte nun vor allem die Großmutter, dass die beiden Mädchen zu Sunitha ins „Mädchenhaus“ kommen. Sie weiß, dass die Kinder dort in Sicherheit aufwachsen können.

Und sie hofft, dass Bildung den beiden ein anderes Schicksal als das ihrer Mutter und auch ihr selbst ermöglichen wird. Doch Malini hat großes Heimweh. Und auch die Mutter kann sich von ihren Mädchen nur schwer trennen. Ganz anders die Geschichte der 32-jährigen Radha: Sie kam als Kind zu Sunitha ins „Mädchenhaus“ von Chennai und blieb 15 Jahre lang dort.

Heute selbst Mutter eines Sohnes, kämpft sie mit dem Druck von Familie und Ehemann, die auf mehr Nachwuchs pochen. Doch Radha hat gesundheitliche Probleme. Und sie will nicht hinnehmen, dass ihr Wert als Frau sich nur an der Ehe mit ihrem Mann und der Geburt möglichst vieler Kinder bemisst. Radha hat einen Traum: Sie will sich weiterbilden und einen gut bezahlten Beruf ausüben.

Filmemacherin Natalia Preston begleitet die so unterschiedlichen Protagonistinnen und ihre Familien mit der Kamera, ohne zu kommentieren oder gar zu urteilen. Deutlich spürbar wird dabei das enorme Spannungsfeld, in dem sich alle Beteiligten bewegen: Dem Wunsch nach Selbstbestimmung stehen Jahrhunderte einer tief verwurzelten Tradition entgegen, vielfach sind es auch und gerade die Mütter, die ihre eigenen Töchter trotz persönlicher Leidensgeschichten auf den gleichen Weg schicken wollen.

Armut und Mangel an Bildung gehen eine unheilige Allianz ein und schreiben die immer gleichen Geschichten fort. Dagegen kämpfen Menschen wie Sunitha an, die sich tagtäglich voller Empathie und dabei ruhig und sachlich für ihre Mädchen einsetzt. Beim internationalen Festival DOK Leipzig gewann der Film mit seiner berührenden Geschichte den Publikumspreis.

Gestaltung

Natalia Preston

Redaktion

Christoph Guggenberger

Bearbeitung

Sabine Aßmann