
Freud - der Außenseiter
Vor 170 Jahren wurde der Vater der Psychoanalyse geboren. Sigmund Freud hat die Pforten zum Unbewussten aufgestoßen, ist in die Untiefen unserer Träume abgetaucht, hat sexuelle Tabus gebrochen und Scheinmoral entlarvt. Liebe und Tod waren zentrale Gegenstände seiner wissenschaftlichen Arbeit.

Somit hat er die Grundpfeiler der menschlichen Existenz erforscht. Obwohl seine Praxis in der Wiener Berggasse 19 von bedeutenden Persönlichkeiten gestürmt wurde, war er doch auch Außenseiter: antisemitische Anfeindungen und sein Bruch mit der medizinischen Tradition hinterließen ein tiefes Gefühl des Andersseins.

Regisseur Yair Qedar hat in seiner Dokumentation Expertinnen und Experten aus Österreich, dem UK, Deutschland, Israel, Frankreich und der Schweiz versammelt. Bildgewaltig, poetisch und in zum Teil surrealen Sequenzen schildert er in vier Akten Leben und Werk von Sigmund Freud. Die Erzählstimme steuert Karl Markovics bei.

Freude und Verwerfungen eines Lebens, die Hürden des Alltags, die wir nicht zu nehmen vermögen – sie liegen oft in der Kindheit begraben, abgelagert in unserem Unbewussten, oft vergessen und in Träumen verrätselt wiederkehrend. Das Kind Sigmund Freud erlebt, wie sein Vater von einem Antisemiten attackiert wird und sich nicht zur Wehr setzt. Dazu kommen dessen geschäftliche Erfolglosigkeit und finanzielle Not. Im jungen Sigmund manifestiert sich eine tiefe Abneigung gegen den Vater, die Mutter aber vergöttert er. Vor Freud galt eine Mutter als nichts Besonderes, mit ihm wurde sie zur großen Sache, heißt es in Qedars Film.

Überrascht ist Freud Jahrzehnte später, wie sehr ihn der Tod des Vaters mitnimmt. In Selbstanalyse erkennt er, dass alle Buben zu einem gewissen Zeitpunkt eifersüchtig auf den Vater, in die Mutter aber verliebt sind. Durch die Entdeckung des Unbewussten hat Freud verstanden, dass wir alle von verborgenen und verbotenen Wünschen getrieben sind. Seine Behandlungsmethode war tatsächlich revolutionär und ließe sich zur Formel „reden hilft“ kondensieren.

Die von ihm entwickelte Gesprächstherapie funktioniert ohne Berührungen, ohne Medikamente. Es ist das Offenbaren und somit Loswerden persönlicher Geschichten, die heilen. Ein Terrain, das zuvor Dichtern vorbehalten war. Im Wien des fin de siècle war Sexualität mit einem Tabu belegt. Die große Zahl an Fällen von Syphilis und Prostituierten straften geheuchelte Moralvorstellungen Lügen. Freud erkannte nicht nur, dass frühkindliche Prägungen sexuelle Vorlieben und Probleme konstituieren, sondern auch, dass wohl alle Menschen bisexuelle Anteile in sich tragen. Seine 1905 erschienen „drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ stünden in den USA heute wohl auf dem Index.

In seinen Abhandlungen über Liebe und Tod befasste sich Freud mit den größten Themen der menschlichen Existenz. Eine seiner prominentesten Patientinnen war Prinzessin Marie Bonaparte, Urgroßnichte Napoleons. Er rettete sie durch seine Behandlungsmethoden und sie rettete ihm das Leben. Sie organisierte nicht nur seine Flucht am 4. Juni 1938 vor den Nazis in die Emigration nach London, sondern rettete auch viele seiner Werke vor der Vernichtung.