Die Quellenstraße - das bunte Herz von Favoriten
Vor zwei Jahrzehnten noch war sie eine viel beachtete Einkaufsstraße, heute ist die gut drei Kilometer lange Quellenstraße oft Brennpunkt für Konflikte. Der Grund dafür ist fast immer der Gleiche. Während Alt-Österreicher ihre angestammte Welt ob deren rasanten Wandels nicht wiedererkennen, hoffen Neu-Zuwanderer vor allem auf ein besseres Leben.
In Favoriten, so scheint es, hat das Tradition. Einst waren es die wenig geschätzten Ziegelböhmen, die kamen und es mit Fleiß und Beharrlichkeit zu bescheidenem Wohlstand brachten. Heute sind es vorwiegend Türken, die das Treiben im Herzen des Bezirks prägen. Sie sollen nach Meinung vieler Österreicher auch der Grund dafür sein, warum so mancher Fleischer oder Wirt bereits das Handtuch warf, und einer Kebab-Bude oder einem Friseurgeschäft weichen musste.
Trotz aller Probleme, die es hier gibt, bei genauer Betrachtung funktioniert das tägliche Leben der 40.000 Bewohner erstaunlich gut. Regisseur Ed Moschitz hat unterschiedliche Lebenswelten entlang der Quellenstraße portraitiert.
Herr Mustafa betreibt zwei Imbiss-Lokale. Kebab, Pizza oder Schnitzel, alles hat er im Sortiment. Diskussionen um Herkunft und Religion kann er nicht mehr hören: „Ich bin in Österreich geboren und zahl hier meine Steuern, was außerhalb unserer Grenzen passiert ist mir egal“. Damit die Geschäfte gut laufen, arbeitet er täglich 14 Stunden, sieben Tage die Woche.
Frau Elisabeth, die früher einmal ein Mann war, hat vor kurzem mit Frau Karin eine kleine Wohnung oberhalb des Erotik-Kinos bezogen. Damit ist das Pärchen nun näher bei ihrer Arbeitsstelle, die vor allem bei älteren Männern rund um die Quellenstraße äußerst beliebt ist. Probleme gibt es seither aber mit den Kindern von Frau Elisabeth. Die wollen nicht wahrhaben, dass ihr Vater nun als Frau lebt.
Als Herr Mike aus Tunesien in Wien angekommen ist, hat er sich sehr darüber gewundert, dass die Menschen hier schlecht gelaunt sind. Heute weiß er, dass es an den wenigen Sonnenstunden liegt. Das schlechte Wetter drücke dem grantigen Wiener gehörig aufs Gemüt.
Herr Martin ist Staatsbediensteter im vorzeitigen Ruhestand. Weil der Hobby-Kriegshistoriker über viel Tagesfreizeit verfügt, kann er nach Lust und Laune seiner Sammelleidenschaft frönen: Zinnsoldaten und blutige Kriegsschauplätze. Weil sein Hund Pablo es nicht leiden kann, wenn Besuch kommt, wissen nur wenige in der Nachbarschaft von seinen Kenntnissen über Napoleon und dessen Kriegsgelüsten.
Herr Okan und Frau Sebahat werden sich in den nächsten Tagen das Ja-Wort geben. Ganz nach türkischer Tradition. Um ein dazu passendes Brautkleid zu finden, kommen viele Austro-Türken aus dem ganzen Land zum größten türkischen Kleidergeschäft in die Quellenstraße. Mehr als hundert prunkvolle türkische Kleider wandern hier jeden Monat über den Ladentisch.
Es sind die Eigenheiten der Menschen, ihre unterschiedlichen Herkunftsländer und Kulturen, die das tägliche Leben auf der Quellenstraße prägen. Auch wenn der Umgangston rauer ist als anderswo in Wien, im Kleinen hier funktioniert vieles weit besser, als man sich das in der großen Welt oft vorzustellen vermag.