'Die lange Nacht der Viennale'

Aufzeichnungen aus der Unterwelt

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Wien: Metropole mit der vielzitierten „höchsten Lebensqualität“, sauber und sicher. Dem war nicht immer so. Die Dokumentation „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ blendet zurück in die 1960er-Jahre, als die Messer locker saßen, die Fäuste tief flogen und Schusswechsel rivalisierender Banden aus dem „Milieu“ durch die Nacht hallten. Im Mittelpunkt stehen der von der Boulevardpresse als „Unterweltkönig“ bezeichnete Alois Schmutzer und Wienerlied-Legende Kurt Girk.

Mit illegalen Stoss-Kartenspielen machten die Gauner ihr Geld
ORF/Vento Film

Beide saßen sie häufig in Hinterzimmern beim damals illegalen Kartenspiel „Stoß“, weshalb es die Polizei bald auf sie abgesehen hatte. Letztlich wurden beide aufgrund falscher Zeugenaussagen zu langen Haftstrafen verurteilt. Auf das Äußerste reduziert, in langen Einstellungen und suggestivem Schwarzweiß legt das Regie-Duo Tizza Covi und Rainer Frimmel das Protokoll einer anderen Stadtgeschichte vor. Ohne moralisierenden Unterton erzählen sie von Freundschaft, Gerechtigkeitssinn und einem abgekarteten Spiel der Exekutive, Die ORF-KULTUR zeigt den vielfach preisgekrönten Film im Rahmen der „Langen Nacht der Viennale“.

Alois Schmutzer
ORF/Vento Film

„Die Unterwelt hat´s in Wien nie gegeben“: Gleich eingangs wischt Alois Schmutzer jegliche Mystifizierung und boulevardeske Zuschreibungen vom Tisch. Und räumt dann doch ein, dass Raufereien und Gewalt im Milieu an der Tagesordnung waren. Schon eine freche Bemerkung konnte eine Schlägerei provozieren. Schmutzer erzählt von Revierkämpfen rivalisierender Stoß-Spieler, die aufgrund eines Missverständnisses in der blutigen „Silvester-Schießerei“ zum Jahreswechsel 1967/68 gipfelte.

Wienerlied-Sänger Kurt Girk
ORF/Vento Film

Kurt Girk ist ein eleganter Herr mit Stecktuch, Anzug und Krawatte. Den „Loisl“ lernte er in jungen Jahren im Wirtshaus dessen Mutter in Meidling kennen. So wurden beide zu „Partner in crime“ – am Spieltisch und in einer fast lebenslangen Freundschaft, die auf Loyalität basierte. Die Kino-Premiere von „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ sollte er nicht mehr erleben. Er starb im Februar 2019. Beiden konnte die Polizei das Stoß-Spiel nie nachgewiesen werden. Ins Gefängnis mussten sie aufgrund einer falschen Zeugenaussage dennoch. Die Höhe der Haftstrafen – acht und elf Jahre – überstieg jene eines ebenfalls einsitzenden Nazi-Verbrechers.

Helene "Helli" Martinez die Schwester von Norbert und Alois Schmutzer
ORF/Vento Film
Helene "Helli" Martinez die Schwester von Norbert und Alois Schmutzer

An manchen Stellen des Films kommt so etwas wie Nostalgie der Protagonist*innen auf: Wenn von den legendären Bärenkräften Alois Schmutzers die Rede ist, wenn es heißt, es habe seinerzeit Tote gegeben, „aber weniger dramatisch als heute“ oder wenn Unterwelt-Boss Toni Österreicher lachend von den zwei Kopfschüssen erzählt, die er abbekommen hat.

Auf Tizza Covi und Rainer Frimmel ging für „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ ein wahrer Preisregen nieder. So wurde der Film unter anderem mit zwei Romys, mit dem Österreichischen Filmpreis als bester Dokumentarfilm und mit zwei Preisen auf der „Diagonale“ ausgezeichnet.

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