
Ars erotica - Die Kunst der Enthüllung
Die Story machte vor einigen Jahren international Schlagzeilen: In Florida wurde eine Lehrerin entlassen, weil sie im Unterricht ein Bild von Michelangelos nacktem David zeigte. Die Zeiten werden verschämter, nicht nur in den USA. Es ist freilich ein absurdes Missverständnis, eine Ikone der Renaissance mit Pornografie zu verwechseln. Diese ist indes im Internetzeitalter stets nur wenige Mausklicks entfernt.

Kann unter solchen Bedingungen erotische Kunst noch gedeihen oder wird sie gar umso kostbarer? Wie hat sie sich im Laufe der Jahrhunderte verändert? Was vermögen Bildende Kunst, Film und Literatur über wechselnde Moralvorstellungen im Besonderen und über die condition humaine im Allgemeinen zu erzählen? Und wo liegt die Schwelle zum Tabu?

Die Darstellung des nackten menschlichen Körpers, in perfekter Proportion aus Marmor gemeißelt, war in der Antike Sinnbild für Harmonie in der Welt. Die alten Römer, sie trieben es zum Teil noch toller: bei den Grabungsarbeiten von Pompeji wurden Wandmalereien entdeckt, die eindeutiger nicht sein könnten, viele Alltagsgegenstände waren mit Phalli ausgestattet. Dann eroberte das Christentum mit seiner Vorstellung von Sünde Europa – und schlug vielen Statuen die Nasen ab. Dahinter lag die Vorstellung, so könnten im Inneren eingeschlossene Dämonen entfleuchen. Im Laufe der Kunstgeschichte waren es fast immer Männer, die nackte Frauen malten.

Selbst heute, da es an den Kunstschulen weit mehr weibliche Absolventinnen gibt, dominiert der männliche Blick. Oft florierten provokante Darstellungen dort, wo die moralischen Schranken am engsten gesetzt waren, das war in Japan nicht anders. In der Edo-Zeit ab dem frühen 17. Jahrhundert erlebten dort Wirtschaft, Kunst und Kultur eine Blüte. Es kam aber auch zu starken Restriktionen in einem rigiden Ständesystem. Dagegen wurde aufbegehrt, und zwar mit Darstellungen, die den Sittlichkeitsvorstellungen explizit widersprachen. Diese traditionellen japanischen Holzschnitte nennt man „Shunga“. Das heißt so viel wie „Frühlingsbilder“.

Solange sie nicht holzschnittartig und banal geschrieben ist, kann die Schilderung von Sexualität durchaus gute Literatur ausmachen. „Geschichte der O.“ von Anne Desclos ist mittlerweile ein Klassiker des Genres. Für ein Erdbeben in Frankreichs Literaturszene sorgte Virginie Despentes´ schonungslos radikaler Roman „Baise-moi – Fick mich“. Die Autorin wurde gleichermaßen skandalisiert wie als Feministin gefeiert.

Erotik oder auch die Darstellung von Sex gibt es im Film, seit die Bilder laufen lernten. Zunächst wurde Schlüpfriges in Bordellen oder auf so genannten Herrenpartys gezeigt. Das junge Hollywood zeigt sich erstaunlich offenherzig, bis der berüchtigte Hays-Code dem Treiben einen Riegel vorschob. Das puritanische Regelwerk verbot etwa Küsse über drei Sekunden oder laszive Tänze.

Irgendwann fiel der Code und in den 1970er-Jahren wurden sogar Pornofilme in regulären Programmkinos gezeigt. Mittlerweile gibt sich die Traumfabrik wieder bedeckter. Dafür produzieren Frauen heute Pornos, die andere Frauen nicht kapitalisieren und Wert auf Ästhetik legen.