Am Schauplatz: Frau Annemarie lebt seit Jahrzehnten im Gemeindebau und beobachtet die gesellschaftliche Entwicklung. Sie würde oft gerne plaudern, aber die Ausländer verstehen kein Deutsch, klagt sie.
ORF
Frau Annemarie lebt seit Jahrzehnten im Gemeindebau und beobachtet die gesellschaftliche Entwicklung. Sie würde oft gerne plaudern, aber die Ausländer verstehen kein Deutsch, klagt sie.

Am Schauplatz

Frau Annemarie und der Gemeindebau

Werbung Werbung schließen

Eine Reportage über Konflikte, Migration und Veränderungen im Wiener Gemeindebau

Frau Annemarie ist 82 Jahre alt und lebt im zwölften Bezirk im Gemeindebau. Fast täglich geht sie in den Sozialmarkt, um für zwei ältere Nachbarinnen einzukaufen. Sie ist hilfsbereit und aufgeschlossen - zumindest dort, wo sie sich zugehörig fühlt. Migrant: innen begegnet Frau Annemarie mit Argwohn. „Der Großteil spricht kein Deutsch und niemand sagt Bitte und Danke.Alles für die Ausländer wird gezahlt von meinem Steuergeld!“ ärgert sich Frau Annemarie.

Am Schauplatz
ORF
Der Sozialmarkt ist ein Treffpunkt für Bewohner:innen aus dem benachbarten Gemeindebau. Wer hier einkaufen geht, muss nachweisen, dass er oder sie bedürftig ist.

Im angrenzende Liebknechthof haben Mieter: innen Unterschriften gesammelt – sie fordern, dass die Tore zu ihrem Gemeindebau zugesperrt werden und nur mehr Bewohner: innen mit Schlüssel hineinkommen. Sie fühlen sich von migrantischen Jugendlichen belästigt, erzählen sie, weil sie laut und frech sind und ihren Müll nicht wegräumen. Eine ehemalige Hausbesorgerin spricht aus, was sich hier viele denken: „Wir haben das ganze Land aufgebaut und gespart und jetzt bekommen es die Fremden. Wir haben kämpfen müssen für unsere Gemeindebau-Wohnungen“. Viele Mieter: innen des Liebknechthofs leben an der Armutsgrenze und müssen jeden Cent umdrehen.

Am Schauplatz
ORF
Der Steinbauer Park ist ein beliebter Treffpunkt für Jugendliche aus der Umgebung und grenzt direkt an den Liebknechthof. „Meistens gehen wir nur durch, weil das unser Schulweg ist“, sagen die Jugendlichen.

Der Steinbauer-Park gleich gegenüber ist ein beliebter Treffpunkt für Jugendliche aus der Nachbarschaft. „Wenn die alten Bewohnerinnen aus dem Gemeindebau mehr Respekt hätten, wären wir auch freundlicher“, sagen Jugendliche auf einer Parkbank, „stattdessen hören wir immer Scheiß-Ausländer und Scheiß-Muslime.“

Im Norden der Stadt in Wiens größtem Gemeindebau der Großfeldsiedlung lebt Frau Brigitte. Sie verbringt viel Zeit im Hof mit migrantischen Kindern und Jugendlichen. Dafür wird sie auch oft angefeindet, erzählt sie. „Für mich sind das keine Tschuschen-Kinder, sondern Kinder. Jeder verlangt von den Neu-Österreichern, dass sie sich an uns anpassen, aber niemand zeigt ihnen, wie wir eigentlich sind“, sagt Frau Brigitte.

Am Schauplatz
ORF
„Ich finde wichtig, dass die Zuwanderer auch schön wohnen können - und nicht hausen müssen wie die Gastarbeiter in den 70er Jahren. Nur so fühlt man sich als wertvoller Teil der Gesellschaft“, sagt Frau Brigitte.

Am Schauplatz-Reporterin Julia Kovarik zeigt in ihrer Reportage, warum das Zusammenleben der Kulturen im Wiener Gemeindebau so schwierig ist.