Alltagsgeschichte
Tätowiert
Denn seit den 1990er Jahren boomt der Hautschmuck – bei Menschen jeden Alters und aller Schichten. Vorbei die Zeit, als mit Tattoos schlampiges Matrosenleben oder zwielichtige Gestalten assoziiert wurden. Promis und Stars, die unter festlichen Roben bereitwillig ihre bemalte Haut hervorblitzen lassen, machen den Trend endgültig salonfähig. In Österreich ist heute jeder vierte Erwachsene ab 16 Jahren tätowiert.
Elizabeth T. Spira zeigt in ihrer Reportage, die Motive, weshalb Menschen ihr Äußeres gerne bunt zur Schau stellen: Wolfgang trägt auf der linken Brust das Porträt seiner Mutter, die gestorben ist, als er sieben Jahre alt war: „Danach begann eine dunkle Zeit in meinem Leben. Ich wollte meiner Mutter nah sein und habe ihr ein ganz persönliches Denkmal gesetzt“, erzählt der Feuerwehrmann und Tätowierer über seine Beweggründe.
Hauptschullehrerin Brigitte wollte schon als Kind immer auffallen und „aus der Masse hervorragen“. Seit etwa zehn Jahren lässt sie sich tätowieren, denn sie will bunt werden: „Meine Haut ist die Leinwand der Tätowierkünstlerin“.Der Frühpensionist Jolly hat sich einen Buddha auf den linken Unterarm tätowieren lassen. Er hofft auf ein zweites Leben, da das erste nicht gut verlaufen ist. Der Gerichtsmediziner Robert ist ein „Spätberufener“ – er begann erst vor drei Jahren, sich tätowieren zu lassen. Auf dem rechten Oberarm ist das Bildnis des kubanischen Freiheitskämpfers Che Guevara platziert, auf dem linken das aristokratische Familienwappen. Jackson, der Gerüster, trägt über seinem Herzen ein Erinnerungsstück an seinen besten Freund, der vor einigen Jahren verunglückt ist: „In Memory of Ivan“.
Die Tätowiererin Veronika „liebt Kitsch und Farben, die nicht zusammen passen“. Am Busen trägt sie einen prall gefüllten Obstkorb mit Kirschen, Bananen, Himbeeren und Heidelbeeren. Auf ihren Armen tummeln sich Fische und Frösche. „Ich verkauf‘ in Wirklichkeit etwas völlig Sinnloses, das niemand braucht, aber jeder haben will.“
Der Pensionist Enzo lässt sich seit 40 Jahren tätowieren. Er hat ein abenteuerliches Leben hinter sich: Fremdenlegion in Afrika, Aktivist in Südtirol, Portier bei einem kommunistischen Verlag. Seit sechs Jahren lässt er sich auch im Gesicht tätowieren. Auf der Stirn: rote Rosen und ein Vogerl, auf der Nase: eine Eidechse, auf dem Haupt: einen Skarabäus und „Der Schrei“ von Edvard Munch, am Hals eine Eule, einen Puma und die Madonna von Syrakus: „Weil ich Schutz von oben brauche“, sagt Enzo.