Die Kunst der Überwindung
Angeblich wurde über Marina Abramović schon alles geschrieben und gesagt. Und doch fasziniert die fast 79-jährige, energiegeladene Performance- und Konzept-Künstlerin die Massen wie kaum jemand sonst im Kunst-Zirkus: bei ihrem Kurztrip in Wien hat sie einen Vortrag im ausverkauften Stadtkino gehalten, eine Ausstellung in der Galerie Krinzinger eröffnet, unzählige Interviews zur großen Retrospektive in der Albertina Modern gegeben und ihre anstehenden Projekte in Ljubljana, Indien, Barcelona und Venedig beworben.

Den Anfang nahm Abramovićs Karriere in den 1970er Jahren mit ihren von 0 bis 10 durchnummerierten Rhythm-Performances, bei denen sie ihre physischen Grenzen auslotete: 1974 lag sie nackt inmitten eine 5-zackigen, brennenden Sterns und musste vom Publikum gerettet werden, weil sie ohnmächtig geworden war. Im selben Jahre machte sie sich selbst zum Kunstobjekt und ließ dem Publikum mit 72 Gegenständen, darunter Messer und eine geladene Pistole ebenso wie Haarbürsten und Lippenstift, freie Hand. Fast wäre sie damals erschossen worden. Nach dem Ausloten physischer Grenzen thematisierte die in Belgrad geborene Serbin in ihren Arbeiten mehr und mehr mentale Grenzen sowie ihre Beziehung zu Langzeit-Partner Ulay.

Die beiden atmeten sich gegenseitig in den Mund bis ihnen wörtlich die Luft ausging, bildeten nackt den Türrahmen, durch den das Publikum sich quetschen musste, um in ihre Ausstellung zu gelangen. Im Namen der Kunst ohrfeigten sie sich pausenlos oder schrien einander an.

Selbst die Trennung wurde zur Performance erhoben: wochenlang wanderten sie von entgegengesetzten Enden der Chinesischen Mauer auf einander zu, nur um dann beim Zusammentreffen für immer getrennte Wege zu gehen.

Weltberühmt gemacht hat Marina Abramović die Performance „The Artist Is Present“ im Museum of Modern Art in New York 2010. Anlässlich einer ersten großen Retrospektive, saß sie dort sechs Wochen lang acht bis zehn Stunden täglich im Foyer ohne sich zu bewegen – und lud das Publikum ein ihr gegenüber Platz zu nehmen und ihr in die Augen zu schauen. Wortlose Begegnungen, die sowohl die 1.675 Teilnehmenden als auch mehr als eine halbe Million Zuschauerinnen und Zuschauer tief bewegt haben. Was hat sie in diesen Gesichtern gesehen?

Warum ist Performance für sie die einzig mögliche, die einzig „wahre“ Kunst? Was treibt sie immer noch an? Und wie geht sie mit der immensen Popularität und dem Kult um ihre Person um?

Der kulturMONTAG hat die Unermüdliche zum Gespräch gebeten, versucht eine Reise in die Vergangenheit zu unternehmen und letztlich viel über Marina Abramovićs Zukunftspläne erfahren.
TV-Beitrag: Stefanie Simpkins