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Der Beste im Februar 2025: Wolf Haas
Er hat immer noch ein Ass im Ärmel: Wolf Haas' neuer Roman
„Wackelkontakt“ ist das bislang wagemutigste Buch des Salzburger Autors.
Franz Escher wartet in seiner Wohnung auf den Elektriker, der die Störung der Steckdose über der Küchenplatte beheben soll. So viel scheint immerhin gesichert zu sein: In „Wackelkontakt“, dem neuen Roman des Salzburger Schriftstellers Wolf Haas, schlägt sich ein professioneller Trauerredner namens Escher mit Handwerkerterminen herum. Denn schon bald kippen die Ereignisse zu ihrem eigenen Vorteil ins Surreale und Halbdunkle, wobei etliche spiegelverkehrte Erzählstränge ein Buch der Überraschungen ergeben.
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Haas, 64, erzählt eine Geschichte, die so gar nicht in die aufgeräumte Literaturschulen-Ästhetik passen will. In „Wackelkontakt“ geht es drunter und drüber, ein mittlerer Erzählstromstoß öffnet doppelte und dreifache Böden. Haas mischt eine Mafia-Seifenoper, in der 73 Morde begangen werden, mit einem Wiener Todesfall aus Fahrlässigkeit; sein Hauptakteur ist nicht zufällig nach M. C. Escher benannt, jenem 1972 verstorbenen niederländischen Grafiker, der durch seine Illustrationen unmöglicher Figuren bekannt wurde. Der Escher aus „Wackelkontakt“ ist zudem der Puzzle-Sucht verfallen: In Teamarbeit fügen Haas und Escher, ganz buchstäblich, ein Ganzes aus zahllosen Teilchen zusammen.
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Buchinfo:
Wolf Haas: Wackelkontakt
Erscheinungsdatum: 09.01.2025
240 Seiten
Hanser Verlag
„Neue Fresse“
Im großen Bild spielen Töchter als direkte Folge einer durch nervigen Alarmanlagen-Sound angestoßenen Liebesnacht ebenso eine Rolle wie Witwen im Zeugenschutzprogramm, Scheintodmedikamente und charmant eingeforderte Schönheitsoperationen: „Ich will eine neue Fresse.“ Dazu gesellen sich in Tiefgaragen von Schulen eingemauerte Mafia-Opfer sowie Caravaggios Gemälde „Christi Geburt mit den Heiligen Laurentius und Franziskus“, das 1969 von Kunsträubern in die Kirche Oratorio di San Lorenzo von Palermo dreist aus dem Rahmen geschnitten wurde und bis heute als verschollen gilt. Haas at his best
Man darf sich „Wackelkontakt“ als eine Art Kartenspiel vorstellen, von einem Bühnenzauberer gemischt, das sich über die Schimäre des linearen Erzählens fröhlich lustig macht. Mindestens drei Asse hat Haas dabei im Ärmel: Er hält, erstens, seine aus den Brenner-Krimis sattsam bekannte Witzel-Lust weitgehend im Zaum. Seiner maßlos überdrehten Story weiß der Autor zudem immer noch eine kühne Wendung hinzuzufügen.
Schließlich lässt er den Gedanken seines mindestens zwiegespaltenen Escher freien Lauf. Escher oder der Trauerredner als Lebensphilosoph: „Es ging darum, mit seinen Worten den Übergangsbereich zu berühren. Die unsichtbare Nahtstelle zwischen den Welten des tatsächlich Geschehenen und des möglich Gewesenen. Wie ein Kletterer durfte man von diesem Grat nicht abrutschen und weder in den Himmel reinen Wortgeklingels noch in die Faktenhölle des gelebten Lebens stürzen.“ Ein Roman, von Schlagfertigkeit, Schalk und zahllosen Verweisen auf Malerei und Literatur durchzogen und erhellt.
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Kein Happy End, nirgends. Das Puzzle „Erschaffung Adams“, das Escher auf dem Zimmerfußboden ausstreut, hat statt der 1000 nur 999 Teile. Am Ende starrt Escher in das winzige Loch mitten im Bild. Jener Zentimeter, den Michelangelo auf dem Deckenfresko in der Sixtinischen Kapelle zwischen dem menschlichen und dem göttlichen Zeigefinger gelassen hat, fehlt als Puzzleteil. „Sein Reklamationsbrief an den Hersteller brachte nur den Erfolg, dass sie ihm das ganze Puzzle noch einmal schickten, in dem der Teil wieder fehlte.“ Alles wackelt.
Text: Wolfgang Paterno, profil.at