George Saunders
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US author George Saunders holds his book and the award for the 2017 Man Booker Prize for Fiction, at the Guildhall in central London on October 17, 2017

Der Beste im Dezember 2024: George Saunders

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Ein gefährlicher Traum

George Saunders schrieb „Die kurze und schreckliche Regentschaft von Phil“ bereits 2005. Was er darin fantastisch-parabelhaft erzählt, bleibt höchst aktuell.

Er wollte den „Wesentlichen Menschlichen Defekt“ isolieren und sichtbar machen, „der in allen Exzessen unserer Geschichte“ steckt, und dachte dabei abwechselnd an „den Holocaust, den Nahostkonflikt, den Völkermord in Ruanda, unseren Krieg im Irak, verschiedene fremdenfeindliche Tendenzen im Kielwasser von 9/11 in den USA und so weiter.“ Als Destillat dieses „Defekts“ erschuf der US-amerikanische Schriftsteller George Saunders „aus dem Sprachschatz der Schrecken des 20. Jahrhunderts“ die literarische Figur des Phil: Dieser sieht sich als Star und Mittelpunkt von allem und versucht, „den Zustand des Gewinnens dauerhaft zu machen“. Der Vielredner weiß sein Publikum zu umschmeicheln und kann es daher auch für einen gefährlichen Traum überzeugen, nämlich jenen „von einer einfacheren Welt, die sich der Notwendigkeit entledigt hat, andere Standpunkte in Betracht zu ziehen“.

Solche Phils stecken aber nicht nur in Tyrannen und Diktatoren, sondern in jedem von uns, schreibt George Saunders in seinem Nachwort zur bereits 2005 im Original erschienenen Erzählung „Die kurze und schreckliche Regentschaft von Phil“. „Es sollte also in jedem Herzen eine kleine Statue des Egos geben, mit dem Schild ‚Monster‘.“ Der Autor habe versucht, schreibend nachzuvollziehen, wie prinzipiell gute Menschen unter Stress böse werden. Und: „Ich versuchte, mir die Medien anzuschauen, die politischen Strukturen, die Art und Weise, wie Machthaber abgelöst wurden und so weiter. Das sind die Nebenfiguren im Buch – die Berater und Besonderen Freunde, die Presse und der arme, abgesetzte Präsident von Außen-Horner.“

Die kurze und schreckliche Regentschaft
Luchterhand

Erklärung nicht nötig

Man hätte Saundersʼ ausführliche Erklärung, die der soeben erschienenen deutschsprachigen Ausgabe seiner Erzählung angefügt wurde, nicht gebraucht. Möglicherweise wollte der Autor mit dem Verweis, dass die Erzählung bereits zur Zeit von George W. Bush geschrieben worden ist (und damals auch nicht als Satire auf Bush gedacht war), deutlich machen, dass sie eben keinen Kommentar ausschließlich zu Donald Trump darstellt und dass, was hier verhandelt wird, immer und überall geschehen kann. Aber gerade das erzählt seine Literatur ohnehin selbst, etwa indem weder ein realer Ort genannt wird noch eine Zeit, die unseren Koordinaten entspräche. Die beinahe predigende Moral von der Geschicht’, die Saunders – teils in Wir-Form – in seinem Nachwort liefert, führt Literatur eher in die Enge, als dass sie ihr den Möglichkeitsraum ließe, den sie eigentlich schafft.

Dabei weiß sich Saunders bestens literarischer Mittel zu bedienen. Seine seltsamen Figuren scheinen aus menschlichen, pflanzlichen und maschinellen Teilen zusammengesetzt, man kann sie daher auseinandernehmen, was aber ein Akt der Bestrafung ist und zu ihrem Ende führt. Saunders erzählt, wie Grenzen zwischen innen und außen, zwischen „Wir“ und „die Anderen“ und die Rhetorik, die diese beständig als nötig proklamiert, dem Diktator dazu dienen, seine Macht auszubauen und zu sichern. Es geht, anders als behauptet, nicht um die Sicherheit einer Gruppe, sondern um die eigene Herrschaft.

Es ist die Kunst der Literatur, dass sie erzählend solche Mechanismen sichtbar machen kann, und es gibt viele Wege, dies zu tun. William Shakespeare hat im 16. Jahrhundert einige Mechanismen in seinen Königsdramen eindrücklich und zu jeder Zeit verstehbar in Szene gesetzt. Seine Stücke beschreiben noch dem Publikum der Gegenwart in demokratischen Gesellschaften präzise, wie Machtübernahmen funktionieren und welche Rolle Rhetorik, Lüge, Gerücht und die Manipulation der Massen dabei spielen.

Die Möglichkeit, dies alles in Science-Fiction-artiger Literatur zu erzählen, hat der 1955 geborene russische Schriftsteller Vladimir Sorokin oft angewandt, der in seinen in die Zukunft verlegten Romanen das Russland der Gegenwart schonungslos analysierte.

Eine andere Methode wiederum wählte der US-amerikanische Schriftsteller Sinclair Lewis 1935 in seinem Roman „Das ist bei uns nicht möglich“, der – als historische Grundlage faktische Vorkommnisse in Österreich aufgreifend – in seiner Fiktion eine mögliche nahe Zukunft der USA entwirft. Detailliert erzählt er, wie ein zukünftiger Machthaber sagt, was er vorhat, und genau das nach seiner Wahl umsetzt, was (und nicht im guten Sinn) auch die betreffen wird, die für ihn gestimmt haben.

George Saunders
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George Saunders

Philip Roth wiederum blickte 2004 in seinem Roman „Verschwörung gegen Amerika“ in die Vergangenheit und spielte ein „Was wäre gewesen, wenn …“ durch. In dieser Fiktion erzählt er zugleich reale Gefahren der Gegenwart und Zukunft.

Fantastische Form

George Saunders wählt eine fantastische Form für seine parabelhafte kurze Erzählung, in der er grundlegende, oft ähnlich ablaufende Prozesse verdichtet und fokussiert. Ursprünglich als Kinderbuch geplant, entwickelte sich die Prosa aber zur Beschreibung von Worten und Taten, die bis zur Auslöschung des Anderen führen. Saunders erfindet zwei Nachbarländer, ein sehr, sehr kleines Innen-Horner und ein größeres Außen-Horner. Innen-Horner hat gerade nur Platz für jeweils einen, die anderen sechs Einwohner müssen warten, „bis sie dran waren“. Viel mehr Drumherum braucht Saunders nicht, außer das dünne Land der Größer-Keller, in dem man damit beschäftigt ist, das „Nationale Vergnügungslevel“ zu erhöhen.

In Außen-Horner hingegen ist man damit beschäftigt, Menschen, die im eigenen, viel zu kleinen Land keinen Platz finden, in „Kurzzeitaufenthaltszonen“ zu drängen. Dieses Elend sehen zu müssen, macht die Außen-Horner übellaunig. Sie könnten den Innen-Hornern etwas Platz vom eigenen Land abtreten, doch wo käme man hin. Dann kämen womöglich eines Tages noch andere Länder und verlangten ein Stück von Außen-Horner. Was für eine Gefährdung für Lebensstil und Selbstwertgefühl!

Buchinfo:
George Saunders: „Die kurze und schreckliche Regentschaft von Phil“, Luchterhand
Erschienen am: 16.10.2024
Originaltitel: The Brief and Frightening Reign of Phil
Übersetzung: Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert
Luchterhand

So lebt man dahin, bis auf einmal das Land der Innen-Horner schrumpft und gröbere Probleme beginnen. Denn nun findet nicht einmal mehr einer genug Platz in Innen-Horner. Außen-Horner ist tangiert. Eine Invasion sei das, die müsse bestraft werden. Phil wittert klug die Gunst der Stunde. Seine Macht wächst, sie wird durch Verächtlichmachung der Innen-Horneriten hergestellt. Die Mittel der diversen Vorgangsweisen überschreiten Grenzen. Und Wirklichkeit wird populistisch verfertigt.

Fakten durch Umfragen

Da helfen auch Beschwerden der Innen-Horneriten an den Noch-Präsidenten von Außen-Horner nicht mehr. Gab es denn je das „Kurzzeitaufenthaltszonen-Steuerdekret“, fragt verdattert der Noch-Präsident, dem Phil, der Manipulator, rät, es anzuwenden. „‚Tja, Sir, das kommt drauf an‘, sagte der Berater mit dem Spiegelgesicht. ‚Wir müssen danach fragen, wie die allgemeine Reaktion auf diese Steuer ausgefallen ist. Waren die Menschen für diese Steuer? Wenn ja, so trifft es nach meiner Einschätzung zu, dass Sie dieses Dekret erlassen haben. Sollten die Menschen andererseits nicht zufrieden mit dieser Steuer gewesen sein, so erinnere ich mich ganz deutlich daran, wie Sie mit der Faust auf den Tisch gehauen und jemanden dafür angeprangert haben, dass er auch nur vorschlug, Sie sollten so ein hirnrissiges Dekret erlassen. Wir müssen doch ganz eindeutig, Sir, unsere Demokratie dadurch hochhalten, dass wir auf die Menschen zugehen, um zu ermitteln, was genau Sie im Einzelnen dekretiert haben.‘“

Nichts, was man daran nicht verstünde. Und so fiktiv die Figuren und Länder auch gestaltet sind, so klar meint man wohl zu jeder Zeit und an unterschiedlichen Orten konkrete Personen und politische Vorgangsweisen zu erkennen. Die Frage ist nur, was man aus dieser Erkenntnis macht. Das allerdings hat nicht die Literatur zu entscheiden.

Und wie lässt Saunders seine Geschichte enden? Gar nicht. Denn Phil wird zwar nach kurzer und schrecklicher Regentschaft zur als Monster bezeichneten und an die Vergangenheit gemahnenden Statue, doch es finden sich gerade dort bald wieder Verehrer ein und träumen …

„ Es geht, anders als behauptet, nicht um die Sicherheit einer Gruppe, sondern um die eigene Herrschaft. “

Ausgezeichnet 1958 in Amarillo, Texas, geboren, lebt George Saunders heute in Oneonta. Für seinen Roman „Lincoln im Bardo“ erhielt er unter anderem den Booker Prize 2017. „Das ist doch immer möglich: Sinclair Lewis’ Roman ‚It can’t happen here‘“ von Brigitte Schwens-Harrant, 18.1.2018, furche.at. Die kurze und schreckliche Regentschaft von Phil Von George Saunders Aus dem amerikan. Englisch von Frank Heibert. Illustr. von Benjamin Gibson. Luchterhand 2024 137 S., geb., € 20,95

Text: Brigitte Schwens-Harrant, Die Furche

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